Wir sind ständig auf Sendung – und immer seltener auf Empfang. Aber wir können üben, anderen uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu schenken. Denn das tut beiden gut: unserem Gegenüber und uns selbst.
"Bitte keine Sprachnachrichten!" Oder kerniger: "No voice!" Solche Mitteilungen finden sich immer öfter in Messenger-Profilen. Das Smartphone ans Ohr pressen müssen und hören, was für ein Anliegen es da gerade gibt, dazu haben viele keine Lust. Oder sie machen parallel eben noch etwas anderes, scrollen durch Instagram, schicken ein Foto an den Liebsten – das passiert so oft, dass es sogar ein Fachwort dafür gibt: Sidebar-Kommunikation. Also, achtsam geht anders, aber so what.
Smartphones und die sozialen Medien haben unser Kommunikationsverhalten stark verändert. Es ist schneller, einfacher und bildlastiger geworden. Aber noch etwas ist anders: wir. Unsere Erfahrungen und Gefühle haben immer selbstverständlicher Prio eins. In Blogs, Posts, Selfies, Tweets und Whatsapp-Nachrichten lassen wir den Rest der Welt daran teilhaben, was wir denken und fühlen, wie cool wir wohnen, wie wir aussehen, was wir gerade erreicht und gekauft haben.
Die Wirkung, die zustimmende Likes oder Kommentare auf unser Belohnungszentrum im Gehirn haben, ist auf jeden Fall gut erforscht: Sie ist einfach großartig. Kaum jemand ist dagegen immun, wir hauen deshalb immer mehr Ich-Ich-Ich-Infos raus. Wobei: Grundsätzlich gelten Ich-Botschaften ja als etwas sehr Positives, als Zeichen von Beziehungsfähigkeit und seelischer Reife. Gerade in Konfliktsituationen ist es wichtig, dass ich sage, was mit mir ist – und nicht den anderen ins Visier nehme oder Eigenes auf ihn projiziere. Aber was, wenn am Ende nur noch eine Ich-Botschaft auf die andere trifft – und keiner mehr da ist, der zuhört?
Eine Studie der US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftler:innen Alixandra Barasch und Jonah Berger ergab einen interessanten Befund: Haben wir ein größeres (Online-)Publikum, neigen wir tatsächlich verstärkt dazu, uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Klicks, gern! Aber deshalb anderen zuhören? Eine Erklärung für die Ego-Eskalation im Netz: Da bricht sich die natürliche Ich-Bezogenheit von uns Menschen Bahn. Es fällt uns generell leichter, um uns selbst zu kreisen, und schwerer, die Perspektive eines anderen einzunehmen. Ohne ein lebendiges Gegenüber, das unsere Aufmerksamkeit, Empathie und unseren Rat wünscht und einfordert, vermeiden wir diesen Aufwand. Im direkten Gespräch, so die beiden Wissenschaftler:innen, wachsen wir am ehesten über uns selbst hinaus. Dann äußern wir deutlich weniger Selbstdarstellendes, schwingen uns stärker auf andere ein und teilen mehr Informationen, die für unser Gegenüber tatsächlich nützlich sind.
Zuhören: ein verlorenes Talent
Aber nicht nur die sozialen Medien haben bewirkt, dass Zuhören so "old school" geworden ist. Wir sind einfach schon von früh an auf Output konditioniert. In Schulen wird mündliche Mitarbeit bewertet, aber es gibt keine Note für die Fähigkeit, ruhig zuzuhören. In Coachings lernen wir, wie wir uns in Meetings erfolgreich durchsetzen, aber eher selten, wie wir konzentriert und nachdrücklich den Gedankengängen von Kolleg:innen folgen können. In der Therapie sollen wir üben, unser Innenleben zu erkunden und darüber zu sprechen. Aber was ist mit den Gefühlen anderer? Die "New York Times"- Wissenschaftsjournalistin Kate Murphy bringt es so auf den Punkt: "Wir hören nicht zu. Und niemand hört uns zu." Sie hat ein Buch darüber geschrieben, was auf diese Weise verloren geht. Und warum es sich sehr lohnt, sich in der Kunst des Zuhörens einzuüben. Denn wir werden dafür beschenkt: mit innigeren Beziehungen, mit mehr Verbundenheit, mit Erkenntnis und Entwicklung.
Der erste Schritt in diese Richtung könnte die Erkenntnis sein, dass Zuhören nicht einfach von selbst passiert. Richtig ist: Augen und Mund können wir verschließen, aber unseren Hörsinn können wir ohne Hilfsmittel nicht ausschalten. Die Schallwellen dringen an unser Ohr, ob wir wollen oder nicht. Aber die Botschaften eines anderen wirklich aufzunehmen – das ist eine Entscheidung, ist Übung, ist ein Talent.
Der Jazzmusiker Miles Davis soll einmal gesagt haben: "Wenn du alles verstehen würdest, was ich gesagt habe, wärst du ich." Tatsächlich glauben wir oft, eh schon zu wissen, was der andere meint und sagen will, und hören deshalb nur noch halb zu. Das passiert besonders häufig in Partnerschaften oder engen Freundschaften, untersucht ist das Phänomen vielfach als Close-Communication-Bias. "So wunderbar Intimität und Vertrautheit auch sind – sie machen uns selbstgefällig, verleiten uns zur Überschätzung unserer Fähigkeiten, gerade diejenigen zu verstehen, die uns sehr nahstehen", fasst Murphy die Forschungsergebnisse zusammen. Eine Einladung, beim nächsten Gespräch, gerade wenn es um ein scheinbar bekanntes "Dauerbrenner"-Thema geht, mal genauer bei der Freundin oder dem Partner nachzufragen! Statt beispielsweise bei Konflikten im Büro "Ach, hat er dich wieder genervt?" zu sagen, könnten offene und damit bessere Fragen lauten: "Was hat dich genau geärgert?" Oder: "Wie hast du dich in dem Moment gefühlt? Erzähl doch mal."
Offenes Mindset, offenes Ohr
Aber auch bei Fremden oder flüchtigen Kontakten verschließen wir oft unbewusst die Ohren. Der Grund: Social Signaling. Die Kleidung, die ein Mensch trägt, Tattoos, politische Überzeugungen, Veganerin ja oder nein, Wohnviertel und Beruf – all das sind wirkmächtige Hinweise, die in unserem Gehirn energisch die Richtung vorgeben, was wir vom Gegenüber verbal erwarten. Unser Denkapparat liebt es, durch solche Kategorisierungen Energie zu sparen. Kate Murphy nennt es: "Vermutungen als Ohrstöpsel." Aktiv zuhören hingegen heißt, bereit zu sein, den Menschen hinter den Signalen zu erkennen.
Doch sogar bei Gesprächen, die uns viel bedeuten, stellen wir uns mitunter selbst ein Bein, nämlich wenn wir uns besorgt innerlich fragen: Was sage ich selbst als Nächstes? Während das Gegenüber noch spricht, beansprucht die mentale Vorbereitung unseres eigenen Beitrags all unsere Konzentration. Verständlich, aber besser geht es anders. Der US-amerikanische Rhetorikprofessor Ralph Nichols untersuchte unter dieser Fragestellung Debatten. Das Ergebnis: Je genauer ein Mensch zuhört, desto klüger sind seine Antworten. Nichols riet, Zuhören wie eine Meditation zu betrachten. "Man akzeptiert, dass man abgelenkt ist, und steht dazu; dann konzentriert man sich erneut."
Der Trick: Statt sich auf den eigenen Atem oder ein Bild zu fokussieren, rät Nichols, die Aufmerksamkeit wieder dem oder der Sprechenden zu widmen. Aber geht es beim Zuhören allein um Worte? Um Tatsachen und Formulierungen? Richtig gut werden wir als Zuhörer:innen dann, wenn wir unser "drittes Ohr" nutzen und in einem Gespräch – im Prinzip wie eine gute Therapeutin – auch die Gefühle wahrnehmen, die dabei aus unserem Unbewussten hochsteigen. Denn das, was das Gesagte in uns auslöst, verrät uns viel über die tatsächlichen Emotionen und tieferen Motive unseres Gegenübers. Ein Beispiel: Eine Kollegin berichtet über einen Konflikt in einem Meeting, vordergründig ist alles, was sie sagt, nachvollziehbar. Möglicherweise bemerken wir in uns trotzdem unerklärlichen Ärger oder ein irritierendes Gefühl von Lethargie. Das kann ein guter Hinweis sein, genau hinzuhören und tastend zu erkunden, um was es möglicherweise wirklich geht.
Ob und wie gut wir zuhören können, hängt immer auch davon ab, wie es uns selbst gerade geht. Manchmal sind wir in einer ruhigen, neugierigen und offenen Haltung, unsere Wahrnehmung ist auf weit gestellt. Das sind die Momente, in denen wir Subtext sensibel wahrnehmen und auch bei schwierigen Erzählungen, die uns durch Grauzonen führen, gut mitgehen können. Wenn wir hingegen im Stress sind, vor Anspannung erstarrt oder uns im Angriffsmodus befinden, ist Zuhören fast unmöglich. Das ist evolutionär sinnvoll. Als der Bär hinter unseren Vorfahren stand, haben sie gewiss nicht gefragt: "Was fühlen Sie? Ich möchte besser verstehen, warum Sie mich fressen wollen." Nein, sie flüchteten oder erschlugen das Tier. Dass es solche "Bären"-Momente auch in unserem Alltag gibt, können wir nicht verhindern. Aber wir können ein Bewusstsein dafür entwickeln. Wir wissen dann, dass die heftigen Gefühle, die während eines Streits in uns toben, den Partner quasi auf "stumm" stellen, dass wir nur noch seine Lippenbewegungen sehen, ihn aber nicht mehr hören und noch weniger begreifen. Daran können wir in dem Moment vielleicht gar nichts ändern, aber wir können es thematisieren: "Mensch, ich bin so aufgebracht, ich kann dir jetzt gar nicht zuhören. Aber später. Denn ich möchte wirklich verstehen, was du mir sagen möchtest." Und das kann der Anfang eines wirklich guten Gesprächs sein.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 8/9 2021.
Mehr Themen: