Knutschen erst in vier Wochen? So oder so ähnlich kann das aussehen, wenn Frischverliebte sich an die Grundsätze der "Slow Love" halten. Einander beim Kennenlernen viel Zeit zu geben, soll laut Expertinnen der Schlüssel zu glücklichen Beziehung sein. Wie das geht, lest ihr hier.
"Suche: einen Mann für Dates" steht auf dem Zettel, den Berit am Schwarzen Brett eines Supermarktes aufhängt. Ein spontaner Versuch der Podcasterin, um Männer außerhalb von Tinder, Bumble und Co. kennenzulernen, denn Dating-Apps hat Berit abgeschworen. Die 38-Jährige ist eine große Verfechterin des Slow Datings: Sie möchte lieber jemanden langsam kennenlernen, statt von einem belanglosen Date zum nächsten zu hüpfen.
"Wisch und weg" tut nicht jedem gut
In unserer schnelllebigen Welt gleicht Dating manchmal einem Shopping-Trip auf Amazon: Uh, der sieht nett aus, ab in den Warenkorb mit ihm! Man swipet, matcht, trifft sich. Nach drei Dates vermisst man immer noch den berühmten Hollywood-Spark, also ghostet man sich gegenseitig und weiter geht die Fahrt auf dem Tinder-Karussell. Wir machen uns mehr Gedanken darüber, welche Couch in unser Wohnzimmer passt, als darüber, wen wir in unser Leben lassen. Auch Berit hat sich so eine Zeit lang durch den Flirt-Dschungel geschlagen. Nach einer langen Beziehung in ihren Zwanzigern fing sie vor ein paar Jahren wieder an, sich mit Männern zu treffen – damals noch mithilfe von Dating-Apps. Es sei zunächst aufregend gewesen, sagt sie, doch irgendwann habe sie festgestellt, dass ihr das schnelle "Wisch und weg"-Prinzip psychisch nicht guttut.
"Ich habe die ganze Palette durch: Ich wurde geghostet, habe auf einem Date einen Übergriff erlebt und mich generell behandelt gefühlt wie Ware, die man wieder zurückgeben kann." Berit beschloss, sich nur noch mit Männern zu treffen, die sie wirklich kennenlernen möchte und die ihre Erwartungen an einen Partner erfüllen. Dazu gehört zum Beispiel: gute Kommunikation. Denn das sei oft das gewesen, woran es in der Vergangenheit, also vor ihrem Entschluss slow zu daten, gehapert hat. Kein Wunder, nach ein paar Treffen weiß man ja noch gar nicht, wie ein Mensch tickt. Genau das sei das Problem an der schnelllebigen Dating-Kultur, sagt die Münchner Paartherapeutin Dr. Sharon Brehm: "Wir müssen den anderen Menschen in unterschiedlichen Kontexten und Situationen erlebt haben, um ihn wirklich zu kennen. Wie geht er oder sie mit Stress um? Wie reagiert er oder sie in Konfliktsituationen? Erst dann können wir entscheiden, ob jemand zu uns passt."
Langsam machen in Liebesdingen, wie geht das überhaupt?
Und wenn Amor dazwischenfunkt? Was, wenn wir uns beim ersten Treffen schon so sehr verknallen, dass uns die Schmetterlinge im Bauch alle Sinne vernebeln? Wie kann man langsam machen, wenn doch alles in einem schreit: Bespring ihn (oder sie)! Was sich vielleicht anfühlt wie Liebe auf den ersten Blick, ist oft nur Schein. Besonders Menschen mit unsicherem Bindungsstil tendierten dazu, den oder die andere gleich zu idealisieren, sagt Brehm. Oft verlieben wir uns eher in die Vorstellung eines Menschen als in den Menschen selbst. Es hilft also, sich am Anfang immer wieder daran zu erinnern: Ich kenne diesen Menschen nicht. Kommt Sex ins Spiel, wird’s – wer hätte es gedacht – noch komplizierter. Wenn wir mit jemandem schlafen, wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet. Das gibt uns ein wohliges Gefühl – und erhöht die Anziehung zu unserem Date-Partner oder unserer Date-Partnerin.
"Sex bindet uns viel leichter an Menschen, die wir noch nicht kennen", erklärt Sharon Brehm. "Wenn man damit umgehen und diese Gefühle einordnen kann, dann spricht natürlich nichts dagegen, dass man früh miteinander intim wird. Wenn man sich aber mehr erhofft, kann es schmerzhaft werden." Natürlich muss jede:r für sich selbst entscheiden, wie schnell er oder sie mit jemandem ins Bett hüpft – da gibt es kein Richtig oder Falsch.
"Mich langsam zu verlieben hat sich viel gesünder angefühlt"
Berit hat sich irgendwann entschieden, damit lieber zu warten. "Es gab Phasen in meinem Leben, in denen ich beim ersten Date Sex hatte. Ich habe aber festgestellt, dass das für mich nur sehr schwer psychisch auszuhalten ist, deswegen mache ich das nicht mehr." Ihr Zettel am Schwarzen Brett hat übrigens funktioniert: Fünf Männer meldeten sich, mit einem verabredete sie sich. Heute, ein halbes Jahr später, sind sie ein Paar. Mit dem neuen Mann ließ Berit es langsam angehen, ohne großen Druck. Sie gingen viel miteinander spazieren, um sich kennenzulernen und um zu sehen, ob es passt. "Früher dachte ich, es braucht gleich dieses Wow-Gefühl, aber mich ganz langsam in ihn zu verlieben, hat sich so viel gesünder angefühlt. Wie eine erwachsenere Art, sich zu verlieben." Dass sich mit diesem Mann alles ruhig angefühlt hat, war für Berit ein Zeichen, dranzubleiben: "Ich wollte einfach immer weiter mit ihm reden, ich habe mir keine Gedanken gemacht. Es gab keine offenen Fragen, ich musste nicht stundenlang mit meinen Freund:innen darüber philosophieren, wie er dies und jenes gemeint haben könnte. Mein Nervensystem war total ruhig – was sonst oft anders war."
Genau auf diese Zeichen sollte man hören, wenn man sich fragt, ob man eine Verbindung weiter vertiefen sollte, empfiehlt auch Sharon Brehm. "Es gibt natürlich Menschen, zu denen wir keine Anziehung verspüren, weder eine emotionale noch eine körperliche. Wenn man sich aber mit einem Menschen total wohlfühlt, den man nicht zu 100 Prozent attraktiv findet, lohnt es, mehr Energie zu investieren." Denn: Was (körperlich) nicht ist, kann noch werden. Eine Studie, die 2015 in der Fachzeitschrift "Psychological Science" veröffentlicht wurde, hat ergeben, dass wir Menschen umso attraktiver finden, je besser wir sie kennen. Die Teilnehmer:innen stuften nach einer Zeit die Menschen als attraktiver ein, mit denen sie mehr Zeit verbrachten.
Vorher Freunde, dann ein Paar? Super!
Eine lange Kennenlernphase kann die spätere Beziehung also stärken. Sharon Brehm sagt: "Als Paartherapeutin habe ich festgestellt, dass Paare, die sich Zeit gelassen haben, die vorher Freund:innen oder Kolleg:innen waren, eine enge Verbindung zueinander haben." Diese Paare verstünden sich grundsätzlich als gut funktionierendes Team, ihre Beziehung gerät durch äußere Einflüsse nicht so einfach ins Schwanken. Nicht nur deswegen sei sie Fan des Slow-Dating-Konzepts. "Das kann heilsam sein, einfach weil wir auch viel achtsamer
uns selbst gegenüber sind. Zum Slow Dating gehört, unseren eigenen Wert zu kennen und bewusst mit unserer Zeit umzugehen. Wenn wir uns auf jemanden einlassen, dann soll dieser Mensch unser Leben bereichern und schöner machen." Für Berit war Slow Dating wie eine Befreiung. Auch, weil sich viele Männer schon im Vorfeld selbst aussortiert haben – sie hatten keine Lust darauf, es langsam angehen zu lassen.
"Dating wird dann sehr einsam", erzählt sie, "aber das ist auch gut, denn es hat dem Dating selbst und meiner Zeit eine Wertigkeit gegeben. Wir brauchen einfach ein bisschen, um herauszufinden, was überhaupt unsere Bedürfnisse sind. Wenn wir super viel daten, dann setzt uns das so unter Stress, dass man das Gefühl für sich selbst verliert. Mal eine Pause zu machen und in sich hineinzuhorchen, hat total gutgetan."
Slow Dating: So fängst du an
Dating-Apps sind natürlich nicht die Quelle allen Übels, aber sie helfen auch nicht gerade dabei, achtsame Verbindungen einzugehen. Um bei dieser Art des Flirtens etwas Geschwindigkeit rauszunehmen, empfiehlt Sharon Brehm, sich lieber gezielt 15 Minuten zum Swipen zu nehmen, anstatt über Stunden hinweg wahllos nach links und rechts zu wischen. Auch wichtig: Qualität geht über Quantität. "Die meisten suchen nach einer Beziehung mit nur einem Menschen und wollen monogam leben. Sich auf weniger Personen beim Kennenlernen zu konzentrieren, ist nicht nur entspannter, sondern auch achtsamer", sagt die Paartherapeutin. Wenn man sich eine neue Couch kauft, bestellt man ja schließlich auch nicht gleich zehn Stück auf einmal und schaut erst dann, welche am besten ins Wohnzimmer passt.
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