Die Influencerin und Aktivistin Melodie Michelberger setzt sich für Feminismus und Body Positivity ein und trifft damit einen Nerv.
Melodie Michelberger (aka Melanie-Jasmin Jeske), 41, ist PR-Managerin, Instagram-Aktivistin und Gründerin der Online-Community trustthegirls.org. Sie lebt mit ihrem Sohn, 10, in Hamburg.
Anhören: Der Podcast mit Melodie Michelberger:
Die Powerfrau im Podcast-Interview mit Katarzyna Mol-Wolf:
Lesen: Das Gespräch mit Melodie Michelberger:
Interview: Kristina Appel
Es schüttet in Hamburg wie aus Kübeln. Trotzdem kommt Melodie Michelberger mit dem Rad zum Interview. Sie streift die Kapuze ab und wuschelt sich durch ihren Statement-Pony. Unter dem Regenmantel kommt ein knallrotes Sommerkleid zum Vorschein. Mit warmer tiefer Stimme erzählt sie mir begeistert vom gestrigen Shooting, und wir sind sofort beim Du.
EMOTION: Melodie, wir wollen über Körper und Selbstliebe sprechen. Aber ich bin verunsichert: Wie soll ich deinen Körper beschreiben? Sagst du: Ich bin dick? Rundlich? Weiblich?
Melodie Michelberger: Weiblich geht gar nicht! Das ist doch absurd. Was ist weiblich? Es gibt eckige, runde, androgyne, dicke und dünne weibliche Körper. Ja, ich finde es auch schwierig, dass es so wenige gute Worte gibt, um dicke Körper, fülligere Körper zu beschreiben. Ich sage schon, dass ich dick bin. Oder pummelig – wobei das etwas plump klingt. Ja, es ist alles ein wenig negativ belegt. "Dünn" ist immer positiv.
Plus-Size?
Plus-Size, Curvy ... Ja. Aber "übergewichtig", das sage ich nie. Wer bestimmt, was übergewichtig ist? Worüber? Wer bestimmt die Norm?
Und früher? Warst du als Kind dünn?
Nein, eher pummelig. Mit zwölf stand ich mal ganz stolz im weißen Badeanzug am See. Ich fand mich total schön, wie man das mit zwölf eben tut. Ein cooler Junge mit Lederjacke kam auf mich zu und sagte: "Du schiebst ja 'ne ganz schöne Wampe vor dir her." Das war der Anfang. Ich begann zu bemerken, dass ich nicht so schön bin, wie ich mich fühle. Mit 16 war ich magersüchtig. Zum Glück habe ich da wieder rausgefunden.
Du bist seit der Schulzeit beruflich in der Modebranche. Wie hat das dein Körperbild beeinflusst?
Es macht natürlich was mit einem, wenn man sich den ganzen Tag mit vermeintlich perfekten Körpern beschäftigt. Ich habe schnell gemerkt, dass es keine dicken Moderedakteurinnen gibt. Da fing ich wieder an mit Hungern. Ich wollte schlank sein für das Modeideal, das ich ja mit gefördert habe. Die einzigen Jahre, in denen ich wirklich diätfrei gelebt habe, waren von 16 bis 19 – bis zu meiner Schwangerschaft mit 31.
Was hat sich damals verändert?
Schwanger zu sein hat mich mit meinem Körper verbunden und auch versöhnt. Ich habe gesehen: Der schafft so viel. Und er weiß genau, was er braucht. Ich habe gemerkt, wie schlecht ich jahrelang mit ihm umgegangen bin. Diese ständige Mangelernährung. Ich ärgere mich über diese verlorene Zeit.
Was meinst du damit?
Ich bin jetzt 42 und die Haut, die ich mit 20 hatte, kommt nie wieder. Warum habe ich mich damals nicht gemocht? Warum habe ich mich versteckt? Ich habe nie kurze Hosen getragen, weil eine Person mal zu mir sagte, ich hätte dicke Beine. Darum ist es mir so wichtig, jungen Frauen ein gutes Gefühl mitzugeben – ein Selbstbewusstsein, das sich nicht so schnell erschüttern lässt.
Du wirkst so stark: Du bist geschieden, alleinerziehend, selbstständig als PR-Frau. Woher nimmst du deine Kraft?
Ich bin auch nicht immer stark – aber ich war schon immer zuversichtlich. Mit Mitte 30 hatte ich einen Burn-out, da waren es tatsächlich andere Frauen, die mir Kraft gegeben haben. Mit Worten, Kinderbetreuung, Zeit. Und das waren nicht immer meine engsten Vertrauten, sondern auch einige, die ich gerade erst kennengelernt hatte. Meine Freundinnen waren ein wichtiger Spiegel für mich. Sie sind alle unheimlich starke Frauen. Natürlich ist ihnen das gar nicht bewusst.
Hast du deshalb deine Community trustthegirls.org gegründet?
Ja, genau. Diese Zeit – es waren fast zwei Jahre – hat viel bei mir in Gang gesetzt. Auch das Thema Feminismus: Ich habe mich mit den Strukturen beschäftigt, in denen wir uns bewegen. Nicht nur, was Schönheit angeht, sondern auch Arbeit. Muss ich zehn Stunden am Tag arbeiten, um mich wertvoll zu fühlen? Was macht mich glücklich? Trustthegirls transportiert diese Empowerment-Gedanken.
In deiner Agentur gibt es eine Regel: "Wir sprechen nicht schlecht über andere Frauen."
Ja. Es ist unglaublich, wie viel sich ändert, wenn man nicht mehr schlecht über andere spricht! Es ist total anstrengend. Weil es so normal scheint. Als Frau ist man schon früh gewohnt, von außen bewertet zu werden. Wegen seiner schönen Zöpfe, eines schönen Kleids, was auch immer. Dieses gegenseitige Vergleichen und Bewerten zieht sich durchs Leben.
Wir Frauen gehen sehr kritisch miteinander um …
Total. Ich glaube, das passiert meist unbewusst. Man denkt einfach: "Das hätte ich an ihrer Stelle jetzt nicht angezogen." Darum ist es so wichtig, dass wir uns positiv und offen begegnen. Das Beste daran ist aber: Wenn du aufhörst, schlecht über andere zu sprechen, hörst du auch auf, schlecht über dich selbst zu reden.
Du bist eine Frau mit Meinung – Feministin, Aktivistin und dick – darf ich das so sagen …?
Ja, darfst du.
… du bietest im Netz also eine Menge Angriffsfläche. Wofür bekommst du am meisten Kritik?
Tatsächlich für das Dicksein: "Das darfst du nicht. Du darfst dich so nicht gut fühlen." Es ist ja auch etwas sehr Radikales. Da bekommt man 20 Jahre lang eingetrichtert, was das Schönheitsideal ist, und dann kommt auf einmal die Dicke, die Bauch und Beine zeigt, und sagt: Ich bin schön, wie ich bin. Das finden Leute gewöhnungsbedürftig.
Was glaubst du, stört die Leute so an deiner Selbstliebe?
Dass sie sich selbst eben nicht schön finden. Es ist auch etwas, das man lernen muss: sich selbst anzusehen und schön zu finden, das innere Licht zum Strahlen zu bringen. Wenn man das gute Gefühl zu sich nicht hat, kann man sich noch so viel Farbe ins Gesicht klatschen und noch so viel abnehmen, es hilft nicht.
Diese mangelnde Akzeptanz des weiblichen Körpers – ist das eher psychologisch oder ein systemisches Problem?
Auf jeden Fall systemisch. Wir werden indoktriniert. Ist es nicht Wahnsinn, dass sich die Schönheitsideale auf der ganzen Welt so angeglichen haben? Wie kann es sein, dass bei Milliarden Frauen die Minderheit der weißen dünnen Frau das Ideal bestimmt? Natürlich will die Industrie, dass wir diesem hinterlaufen. Cremes, Fettweg-Wäsche, Fitness Apps – eine ganze Industrie baut darauf auf, dass wir Frauen uns nicht gut fühlen. Unsere Hülle schippert uns zwar durchs Leben, aber unser Inneres macht uns doch als Menschen aus.
Mode ist doch auch Hülle. Wie unterscheidet sich das für dich?
Mode hat für mich die Aufgabe, den eigenen Charakter zu unterstreichen. Es geht weniger darum, schön zu sein, als ein Gefühl auszudrücken. Leider stellen die meisten Firmen nur bis Größe 44 her. So bekommen Plus-Size-Frauen nicht wirklich die Möglichkeit, sich und ihr Lebensgefühl so zu zeigen.
Gibt es da eine positive Entwicklung?
In Deutschland nicht wirklich. Es gibt Firmen, die große Größen herstellen, aber das ist keine Mode, das ist Bekleidung. Im Ausland tut sich mehr. Aber wenn man das Volumen der Modeindustrie betrachtet, bleibt es verschwindend gering. Dir wird öfter vorgeworfen, ein ungesundes Körperbild zu propagieren. Dicken wird immer unterstellt, einen ungesunden Lifestyle zu haben, sich gehen zu lassen. Letztens riefen mir beim Joggen im Park Jungs hinterher: "Jetzt wird’s aber auch Zeit." Dabei habe ich immer schon Sport gemacht und ich ernähre mich gesund. Ein Körper kann gesund sein, auch wenn er dick ist. So wie er sehr krank sein kann, auch wenn er dünn ist.
Aber wie findet man die Grenze zwischen glücklich und schädlich?
Für mich ist der Body-Positivity-Gedanke der Ausgangspunkt für alles. Jeder dicke Mensch sollte ein gutes Gefühl zu seinem Körper haben, dann ist er auf dem besten Weg, sich selbst zu mögen. Und wenn ich mich mag, dann höre ich auf meinen Körper, gebe ich ihm, was er braucht. Das kann auch sein, Gewicht zu verlieren, um die Gelenke zu schonen. Aber dann ist nicht Schönheit der Antreiber, sondern Selbstfürsorge.
Ist Body-Positivity gekommen, um zu bleiben? Oder ist das nur ein Trend?
Ich hoffe nicht. Ich habe das Gefühl, dass dieses körperliche Konzept greifbarer für viele ist als etwa der Feminismus. Klar geht der auch alle etwas an, aber nicht jeder kann ihn so gut nachvollziehen wie Selbstliebe. Ich habe eine Studie gelesen, laut der 90 Prozent der Menschen nicht mit ihrem Körper zufrieden sind. Das ist doch Wahnsinn! Ich glaube, das Pflänzchen für mehr Selbstliebe ist gesät, aber es wird langsam wachsen. Und vielleicht noch 30 Jahre dauern, bis es in der Gesellschaft, Werbung, in Magazinen, im TV spürbar wird.
Was ist dabei deine Mission?
Zwei Mädchen haben mir diesen Sommer geschrieben, dass sie zum ersten Mal im Leben einen Bikini getragen haben. Wegen mir. Ich will, dass Frauen zu sich selbst finden. Weg von den Schönheitsidealen anderer. Dass sie aufhören zu sagen: "Klar, Schönheit kommt von innen. Aber für mich ist das nichts." Doch! Das ist dein Körper, der trägt dich durchs Leben, der macht tolle Sachen! Schau, was er kann und braucht. Wie kannst du ihn füllen, statt leer machen? Mit Freude? Mit Kuchen? Einem schönen Buch?