Guter Sex braucht mehr als Konsens! In ihrem Buch "Morgen wird Sex wieder gut" nähert sich Katherine Angel einer der heikelsten Debatten um Sexualität, weibliches Begehren und Macht. Wir haben mit ihr über Intimität gesprochen…
Bei wenig machen wir uns so verletzlich wie beim Sex. Das ist aufregend, intim – und riskant. Denn nicht erst seit #MeToo ist klar: Vertrauen kann missbraucht werden. Helfen klare Absprachen? Essayistin Katherine Angel ist skeptisch und fordert eine Kultur, in der wir uns selbst unsicher sein dürfen.
Der Titel von Katherine Angels Buch klingt wie ein Versprechen: "Morgen wird Sex wieder gut". Tatsächlich ist sie hoffnungsvoll. Simple Lösungen hat sie allerdings keine parat. Die britische Autorin, die in Cambridge im Bereich 'Geschichte der Psychiatrie und Sexualität' promoviert hat, hat festgestellt, nach #MeToo halten viele vor allem zwei Dinge für die Voraussetzung für guten Sex: Konsens, also Einverständnis, und Selbstkenntnis. Angel bezweifelt beides, denn es bedeute: Frauen müssten immer genau wissen, was sie wollen, und genau sagen, was sie wollen. Aber was, wenn wir gar nicht genau wissen, was wir wollen, es vielleicht im Voraus nicht mal wissen können – und was, wenn das sogar gut ist?
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Katherine, die Idee, dass Menschen beim Sex vor jedem Schritt zustimmen, ob sie etwas möchten, feiern die einen als selbstbestimmte Rettung der Lust, andere spotten darüber. Sie sind auch skeptisch, dass Konsens eine echte Lösung ist. Was sind Ihre Bedenken?
Was ich an der Konsens-Debatte erst mal gut finde, ist die wichtige Erkenntnis, dass wir uns dafür interessieren sollten, ob die andere Person Sex mit uns haben möchte. Das klingt offensichtlich, ist es aber nicht. Und ich finde es auch gut, darüber nachzudenken, wie man Leuten beibringen kann, dass Sex für beide genussvoll wird. Aber
Konsens kann weder garantieren, dass man einander nicht verletzt, noch ist er eine Sicherheit gegen sexualisierte Gewalt. Wenn wir denken, Konsens löst alle Probleme,
endet das oft damit, dass wir die Last auf die Frauen abwälzen.
Inwiefern?
Sobald Frauen einmal Ja gesagt haben, sollen sie oft für Lust garantieren; gleichzeitig sollen sie durch eindeutige Kommunikation dafür sorgen, dass ihnen keine Gewalt widerfährt. Aber die passiert oft genau in den Situationen, wenn alles gut zu sein scheint und dann plötzlich etwas kippt ...
Und ein Nein dann nicht gehört wird?
Genau. Und wenn so ein Fall dann vor Gericht landet, wird es oft gegen Frauen verwendet: Sie hätte doch eingewilligt. Eine gute Aufklärung über Konsens müsste betonen, dass man Ja sagen kann und das Recht hat, in jedem Stadium seine Meinung zu ändern. Jungen und Männer machen sich durchaus Sorgen über Konsens, aber diese Fixiertheit auf den Moment der Zustimmung bringt nichts, wenn es sie davon abhält, über die sexuelle Dynamik an sich nachzudenken.
Was meinen Sie?
Zu spüren, ob man beim anderen Lust weckt, ob die Frau überhaupt die Möglichkeit hätte, ihre Meinung zu ändern – Männer werden nicht angeregt, über so etwas nachzudenken, sondern allenfalls, sich die Einwilligung zu holen, fast wie eine Versicherung. Deshalb löst die Konsens-Diskussion das Problem auch nicht. Die Frage ist, warum gibt es so viel sexualisierte Gewalt? Wieso fällt es Frauen schwer, Wünsche zu äußern – und wenn sie es doch tun, wieso setzen Männer sie oft unter Druck, diese Wünsche hintanzustellen?
Ist es nicht gerade deshalb wichtig, weibliche Selbstbestimmtheit zu kultivieren? Sie schreiben, das könne nach hinten losgehen. Wieso?
In den 90er-Jahren ist dieses idealisierte Bild von der selbstermächtigten Frau entstanden, die keine Angst hat, Nein zu sagen, und keine Angst Ja zu sagen, sie hat keine Angst ihr eigenes Verlangen zu erforschen, kann sich gegen Männer wehren, aber sie kann auch zum Sex einladen. Frauen wurden ermutigt, sich emanzipiert zu fühlen und über ihr Leben zu entscheiden. Und das wäre alles großartig, wenn es wahr wäre.
Was stimmt daran nicht?
Es gibt so viele Regeln und Zwänge, denen Frauen unterliegen, eine massive soziale, wirtschaftliche und kulturelle Ungleichheit. Aber in den 90ern setzte sich ein Mainstream-Feminismus durch, wonach man sich fast schämen musste, wenn man Schwierigkeiten beim Sex hatte oder es einem schwerfiel, für sich einzustehen. Es gab eine Aufwertung der selbstbewussten Frau, auch im Schlafzimmer. Ich möchte jetzt nicht die Schwäche fetischisieren, aber manchmal kommt es mir so vor, als würde entweder betont, dass Frauen schwach und verletzlich sind, oder man besteht darauf, dass sie stark und mächtig sind.
Was wünschen Sie sich stattdessen?
Dass wir offen sind und uns beides erlauben. Sex kann ein Raum für die unglaublichste Begegnung mit einer anderen Person sein. Ein Raum, sich selbst zu entdecken, aufzublühen, was auf das ganze übrige Leben zurückstrahlt. Als Frauen wird uns immer noch beigebracht, dass wir kein Recht auf diese Art von sexueller Entfaltung haben, dass wir sie nicht vom Leben erwarten können.
Sich selbst entdecken, heißt, es gibt etwas, was wir nicht kennen. Wie passt das zu dem Anspruch, zu wissen, was wir wollen?
Da komme ich von der Psychoanalyse her: Die Vorstellung, dass wir uns selbst kennen, halte ich für eine beruhigende Illusion, denn wir könnten sonst Dinge über uns selbst entdecken, die uns schockieren würden. Tatsächlich glaube ich, es gehört zum Menschsein dazu, dass wir uns nicht völlig kennen. Weder uns selbst noch unsere Wünsche oder Fantasien, vor allem auch, wenn es um unsere Sexualität geht. Das macht zum Teil den Reiz von Sex aus. Wenn wir uns jemandem öffnen und uns einlassen, können wir unter Umständen etwas ganz Neues an uns entdecken. Gleichzeitig läuft das unserem Kontroll- und Schutzbedürfnis zuwider. Doch erst, wenn wir uns Verletzlichkeit trauen, kann echte Intimität entstehen.
Deshalb bin ich überzeugt, eine Sexualethik, die den Namen verdient, muss Raum für drei Dinge lassen: Unsicherheit, Transparenz und Nichtwissen.
Katherine AngelTweet
Was sich nicht mit der Konsens-Idee verträgt, vorher in alles einzuwilligen.
Und es kann passieren, dass ein Mann das ausnutzt: "Du hast gesagt, du weißt
eh nicht, was du willst, also machen wir es trotzdem" – das ist ausbeuterisch und falsch. Aber wenn sich beide erlauben, Dinge zu erkunden, nicht alles vorab zu
wissen, kann das sehr einvernehmlich sein. Ich glaube, die aufregendsten und stärksten Erfahrungen im Leben sind oft genau die, bei denen man nicht im Voraus weiß, was passieren wird oder wie man sich fühlen wird. Und ich denke, je eher wir versuchen, das Gefühl der vollständigen Kontrolle aufzugeben, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir Momente des Vergnügens und der Freude erleben, und wenn die Bedingungen stimmen, gilt das auch beim Sex.
Über Katherine Angel:
Katherine Angel leitet den Masterstudiengang Creative and Critical Writing am Birkbeck College der University of London. In ihrer wissenschaftlichen und publizistischen Arbeit beschäftigt sie sich mit Themen rund um Sexualität und Feminismus sowie der Geschichte der Medizin und Psychiatrie.
Lesetipp:
Katherine Angel: "Morgen wird Sex wieder gut", erschienen im Carl Hanser Verlag, 20 Euro.
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