Warum braucht es mehr Frauen in Technikunternehmen? Und welche haben ihn selbst inspiriert? Katarzyna Mol-Wolf sprach mit Jens Thiemer, Marketingchef bei Mercedes-Benz, über Frauenförderung, weibliche Stärken und das, was ihn am EMOTION.award begeistert.
Katarzyna Mol-Wolf: Lieber Herr Thiemer, wie kamen Sie auf die Idee, das internationale Frauennetzwerk She’s Mercedes zu gründen?
Jens Thiemer: Bei Mercedes beschäftigt sich eine ganze Abteilung namens Business Innovation mit Zukunftsfragen: Worauf wollen wir uns fokussieren? Was passt zur Unternehmens- und Markenstrategie? She’s Mercedes ist eine Idee, die dort ihren Ursprung hat: Frauen weltweit zu vernetzen, zu inspirieren und so zu fördern. Uns ist in den letzten Jahren klar geworden, dass Frauen ganz wesentlich bestimmen, welches Auto gekauft wird – in den USA haben beispielsweise viel mehr Frauen als Männer einen Führerschein. Aus dem Gedanken, uns bewusster und gezielter mit Frauen als eigenständige Zielgruppe zu befassen, ist diese Initiative entstanden, die von vielen Leuten in unserem Unternehmen wirklich umarmt wurde. Mittlerweile machen über 30 Länder mit, jedes geht aber ganz individuell damit um. Wir können nur Denkanstöße geben und Tools liefern, wie Social-Media-Plattformen oder Networking Events. Aber dann läuft es von selbst, da alle den Bedarf sehen, hier etwas zu tun.
Es ist ja auch neu, dass sich ein Automobilproduzent so auf Frauen fokussiert.
Uns ist durch She’s Mercedes richtig bewusst geworden, wie sehr wir durch die männliche Brille schauen. Daher ist es auch kein Marketinggag, sondern ein von innen her motivierter Ansatz, der sich durch die ganze Organisation zieht, von der Produktentwicklung über den Vertrieb bis zum Point of Sale.
Wird auch bei der Entwicklung verstärkt an Frauen gedacht?
Ja! Frauen kaufen offenbar meist nach anderen Kriterien als Männer. Aus unseren Studien wissen wir beispielsweise – und das hat mich selbst erstaunt –, dass für Frauen die Funktionalität im Innenraum eine große Rolle spielt. Wie Ablagemöglichkeiten, eine intuitive Bedienbarkeit, aber auch das Innenraumdesign. Und wir merken, dass Frauen sich viel selbstverständlicher mit den Mobilitätsthemen der Zukunft beschäftigen, wie Carsharing oder Ride-Hailing. Männern geht es noch immer stark um die Technik, Frauen mehr um die Nutzung an sich – und um Empathie, also beispielsweise darum, ob der Autohändler sich auf ihre Bedürfnisse einstellt. Was nicht heißt, dass Frauen egal ist, in welchem Auto sie sitzen: In manchen Ländern punkten vor allem SUVs aus Sicherheitsgründen, in anderen Kompaktwagen und – eine sehr erfreuliche Entwicklung – in China oder Amerika, wo es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, auch die vermeintlich männlich geprägte S-Klasse.
Seit 2017 unterstützt She’s Mercedes auch den EMOTION.award. Was hat Sie daran überzeugt?
Der EMOTION.award ist eine tolle Initiative, bei der interessante Persönlichkeiten zusammenkommen. Er beschränkt sich nicht auf Beruf und Karriere, sondern bezieht alle Aspekte des Lebens mit ein, die für Frauen eine Rolle spielen. Ob das der Kampf gegen Rollenklischees ist oder die Doppelbelastung, die Frauen nun mal oft haben, ob es politische oder gesellschaftliche Themen sind – alles findet beim Award statt, und das finden wir sehr schön.
Sie werden dieses Jahr wieder den Award fürs Lebenswerk übergeben. Wofür wird eine Frau damit ausgezeichnet?
Dass sie die Initiative ergriffen, Mut bewiesen und so Einfluss genommen hat. Dass das, was sie geleistet hat, für die Gesellschaft und insbesondere Frauen relevant ist. Eine Frau wie Bertha Benz, die Daimler maßgeblich mit beeinflusst hat. Sie hat in den frühen Jahren des Unternehmens die erste Langstreckenfahrt mit dem ersten Automobil schlechthin ermöglicht – und auch durchgesetzt. Ihr Mann hätte sich das nie getraut.
Frauenförderung ist auch in der Daimler AG selbst ein wichtiges Thema. Welche Qualitäten bringen gerade Frauen in ein Unternehmen wie Ihres mit ein?
Ich glaube, dass es gerade bei einem technikgetriebenen Unternehmen wie dem unseren wichtig ist, in der Entwicklung von Produkten und Services beide Sichtweisen gleichwertig zu berücksichtigen. Denn das Ergebnis wird nun mal genauso von Frauen wie Männern genutzt. Das andere ist natürlich der Führungsstil: Dass man ganz andere Inspirationen und ein anderes Wertebewusstsein in eine Firma bringt, wenn man ein Gleichgewicht der Geschlechter hat. Da achten wir sehr drauf. So haben wir etwa das "Leadership 2020"-Programm, für das sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über alle Hierarchiestufen hinweg bewerben können.
Wie hoch ist denn der Frauenanteil bei Daimler?
Mittlerweile sind 16 Prozent der Führungspositionen im Unternehmen mit Frauen besetzt. Bis 2020 streben wir einen Anteil von 20 Prozent an. Im Vorstand der Daimler AG sind zwei Frauen, das macht also auch da 25 Prozent. Es geht auf lange Sicht aber nicht um Prozentzahlen, sondern darum, dass man auch die passenden Kandidatinnen und Kandidaten dafür findet. Daher wollen wir uns auch darum kümmern, dass der Grundpool an geeigneten Frauen – aber auch Männern – noch viel größer wird.
Frauen tendieren viel stärker dazu, die Kundenperspektive einzunehmen und aus der Sichtweise dessen zu argumentieren, was wir verkaufen wollen.
Jens ThiemerTweet
Haben Sie auch selbst schon eine Frau kennengelernt, die Sie auf Ihrem Weg inspiriert hat?
Ja, mehrere sogar! Gerade bei Frauen auf der Führungsebene sind mir bemerkenswerte und wohl eher typisch weibliche Charakterzüge begegnet, ob moderatives Know-how oder die Fähigkeit, Dinge mehr inhaltlich und weniger politisch zu betrachten. Oder, wie ich es gern nenne, Gruppen "geländegängiger zu führen" und sich weniger stark zu verkanten, als es Männer manchmal tun. Frauen tendieren viel stärker dazu, die Kundenperspektive einzunehmen und aus der Sichtweise dessen zu argumentieren, was wir verkaufen wollen.
Neben Digitalisierung und E-Mobilität: Was sind Ihre aktuellen Herausforderungen im Konzern?
Die Gesellschaft und somit auch der Markt wandeln sich wie nie zuvor. Weg vom Besitzen, hin zum Teilen, zur Mobilität – dann, wenn ich sie benötige. Auch die Konnektivität, die vollkommene Vernetzung mit dem Auto ist ein Thema. In der Schnelllebigkeit der Zeit gilt es aber vor allem, die Marken so zu positionieren, dass sie weder arrogant noch artifiziell wahrgenommen werden, sondern sehr authentisch mit der Lebenswirklichkeit der Menschen verzahnt sind. Als relevante Orientierungspunkte, denen man glaubt, dass sie eine Lösung für mein tägliches Leben liefern und mir nicht nur ein Luxusproblem abnehmen.
Der EMOTION.award 2018
Am 28. Juni zeichnen wir zum siebten Mal tolle Frauen aus, die andere inspirieren, ob als Gründerin, Teamworkerin oder im Einsatz für soziale Werte. Das Netzwerk She's Mercedes ist Partner des EMOTION.awards 2018.