Seit vielen Jahren gehört Bärbel Schäfer als Autorin fest zu unserem Team. Für ihr neues Buch "Meine Nachmittage mit Eva" hat sie mit einer Frau gesprochen, die als Kind Auschwitz überlebt hat. Das Buch hat mich sehr berührt – vor allem auch nach dem erschreckenden Erfolg der AfD.
Katarzyna Mol-Wolf: Sind Rassismus und Antisemitismus wieder salonfähig?
Bärbel Schäfer: Ja. Wir stehen längst nicht am Anfang der Gewalt. Wir wundern uns immer über das Ende, wenn wir den Ausbruch der Gewalt sehen, wenn Flüchtlingsheime brennen, Hassparolen an Wände geschrieben werden oder wenn Rechtsnationale in allen möglichen Gremien sitzen. Aber die Frage ist doch, ob wir alle genug auf die Anfänge geschaut haben. Sind wir auf die Straße gegangen? Haben wir den Mund aufgemacht, wenn in Fußballvereinen, auf Sporttribünen Hass gegen Schwule, Lesben, Juden oder andere Minderheiten herausgeschrien wurden? Jedes Mal, wenn wir schweigen, ermöglichen wir, dass der Hass größer wird.
Mich ängstigt die AfD. Wie geht es dir als Mutter von zwei Söhnen?
Ihre Großeltern väterlicherseits haben überlebt, weil es Oskar Schindler gab. Aber nicht nur Juden, sondern jede Minderheit ist in Aufruhr, wenn eine Partei an die Macht kommt, die diesen engstirnigen Blick auf die Welt hat. Ich glaube, dass alles möglich ist, jederzeit.
Wie geht es dir mit deinen Großeltern?
Es waren Mitläufer, die feige geschwiegen haben. Ich hasse sie nicht. Aber sie haben auch nach Kriegsende weiter geschwiegen. Das Schweigen hat sich wie ein Bann über unsere Familie gelegt. Ich bin überzeugt, dass es zum Respekt und zur Staffelübergabe an die nächste Generation gehört, wenigstens den Mut aufzubringen, zuzugeben, dass man Fehler gemacht hat.
Was wünschst du dir heute von der Zivilgesellschaft?
Ich wünsche mir einen freien Geist, der unsere Verfassung respektiert. Ich wünsche mir Toleranz, Souveränität und dass wir unsere Empathiefähigkeit nicht vergessen. Dass wir das "Nie wieder" lauter formulieren. In Sachen Demokratie haben wir es uns als Couch-Potatoes zu selbstverständlich und zu gemütlich gemacht. Aber die Menschen, die unsere Demokratie erschüttern möchten, sind viel aktiver als wir, online und offline. Wenn wir jetzt nicht aufwachen, wann dann?
Wie gehst du deinen Söhnen gegenüber mit deiner und der Geschichte unseres Landes um?
Es gilt doch für alle in diesem Land: Zu Deutschland gehören neben Nena und Goethe eben auch Hitler und Himmler. Das müssen wir den Generationen nach uns vermitteln – mit Selbstbewusstsein, Empathie und Verantwortung. Es ist wichtig, in das Leben zu vertrauen. Aber das geht nur, wenn wir auch wissen, zu was Menschen fähig sind. Dass fast 13 Prozent AfD gewählt haben, zeigt, dass die Themen noch nicht ausgestanden sind. In der Zeit, in der wir mit den Schultern gezuckt haben, ist die AfD in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Wo beginnen heute Hass und rassistische Gewalt?
Beim Benutzen der völkischen Begriffe. Bei der Konzentration auf "die Nation", die zur Abgrenzung führt und dazu, es immer auf den Schwächeren abzusehen. Zum Menschsein gehört für mich auch, Schwächeren die Hand zu reichen und ihnen zu helfen.
Bist du mit Eva Szepesi noch in Verbindung?
Wir feiern nachher ihren Geburtstag zusammen.
Wie geht es ihr?
Sie ist sehr aufgeregt. Durch unsere Gespräche ist über die Generationen hinweg eine Freundschaft entstanden. Obwohl unsere Herkunft ganz unterschiedlich ist. Eva hat mir das Geschenk gemacht, mich in ihr Herz blicken zu lassen, aber auch in ihren Schmerz. Mich berührt, dass sie sich auf diese Trauerreise begeben hat und dass ich sie – neben ihrer Familie – ein winziges Stück begleiten konnte, das berührt mich sehr.
Mich berührt, wie viele Menschen sich verkapselt haben und über ihre Erlebnisse im Krieg nie gesprochen haben.
Mein Vater, der im Krieg selbst nur menschliche Kälte erlebt hat, hat mir und meinem Bruder, zur Begrüßung nur die Hand gegeben. Wenn ich daran denke, wie wichtig es für mich ist, meinen Söhnen Liebe und Zuneigung zu zeigen, frage ich mich, wie man überlebt, wenn man selbst eher wie ein Kühlschrank agiert.
Müssen wir uns wieder mehr mit der Geschichte auseinandersetzen?
In vielen Familien in Deutschland gibt es zwischen Eltern und Großeltern keine emotionale Nähe. Und ich glaube, dass das Schweigen dafür eine Ursache ist. Nicht von den eigenen Wunden, Schmerzen und nicht von den eigenen Fehlern zu erzählen, hat dazu geführt, dass Gefühl nicht möglich war. Ich glaube, deshalb hat unser Land an vielen Stellen noch diese Kälteflecken, die schließlich die AfD mit ermöglicht haben.