Mit der Band "Wir sind Helden" wurde Frontfrau und Sängerin Judith Holofernes zum Deutsch-Rock-Star. Doch für das ständigen Touren zahlte sie einen Preis: Sie verlor ihre Stimme. Im Interview mit EMOTION erzählt die 46-Jährige, wie sie ihre Stimme wiederfand.
Vor über 20 Jahren hat die Sängerin und Autorin Judith Holofernes mit der Band Wir sind Helden ihre Gesangskarriere gestartet. Zwei kleine Kinder, der Druck des Musikbusiness, irgendwann wurde alles zu viel. Überlastete, entzündete Stimmbänder zwangen Judith neue Wege einzuschlagen: Im August 2022 erschien ihr erstes Buch "Die Träume anderer Leute".
Judith, vor vier Jahren musstest du deine phänomenale Musikkarriere beenden, unter anderem, weil deine Stimme nicht mehr wollte. Was ist da genau passiert?
Der Druck ist mir auf die Stimme geschlagen. Ich habe immer wieder diese Aussetzer, wie eine Pause aus Luft. Daran bin ich selbst schuld, weil ich meinen Körper jahrelang missbraucht habe. Nach meiner Zeit mit Wir sind Helden habe ich zehn Jahre lang versucht, ein Popstar in Teilzeit zu sein und mit meinem Soloprojekt auf 70 Prozent runterzugehen, aber das hat nicht gereicht. Erfolgreiche Musiker:innen investieren 80 Prozent ihrer Zeit in Selbstdarstellung und Promo-Arbeit, sonst erreichst du niemanden. Ich bekam die ganze Zeit suggeriert: "Du musst mehr Tickets verkaufen! Du brauchst mehr Follower:innen! Du musst dich geiler verkaufen!" Ich hatte aber zwei kleine Kinder, dazu kamen eine Meningitis-Erkrankung und ständige Stimmbandentzündungen. Meine Stimme rebellierte gegen das, was ich mir da antat.
Wie hast du reagiert?
Ich probierte trotzdem alles, um meine Tour so stimmfreundlich wie möglich zu gestalten. Vor der Show jodelte ich durch einen Schlauch in eine Wasserkaraffe, bis die Stimme weichgeblubbert war. Trotzdem konnte ich mich nicht mehr fallen lassen, ich hatte nur einen schmalen Bereich zur Verfügung. Ich war heiser, krächzte, hatte Schmerzen. Irgendwann sagte meine Gesangslehrerin: "Kann es sein, dass du gar nicht mehr singen willst?" Und genau so war es: Singen ist das schönste Gefühl der Welt, wenn die Stimme frei und leicht ist. Aber so? Ich bin dann vor meiner Band im Cateringbereich zusammengebrochen und weinte um meine Stimme, meine Unbeschwertheit, meine Freude. Alles war dunkel und ich bekam keine Luft mehr. Das war es dann. Heute bin ich glücklicher ohne die Musik. Dieser Muskel ist einfach überreizt! Aber ich hoffe, dass er sich erholt.
Du hast es wirklich bis zur letzten Sekunde ausgereizt, oder?
Ich ärgere mich, dass ich nicht eher auf meinen Körper gehört und mein Leben umgekrempelt habe. Ich hatte lange Schwierigkeiten, Wut wahrzunehmen und gemäß dieser Wut zu handeln. Ich wollte immer allen gefallen und jemand sein, mit dem man ganz toll arbeiten kann. Letztlich war es dann meine Stimme, die dem ganzen einen Riegel vorgeschoben hat – weil ich selbst es nicht konnte.
Wie geht es deiner Stimme heute?
Ich bin gerade ganz guter Dinge, weil ich eine neue Stimmtherapie begonnen habe. Aber meine alte Performance-Stimme wird sich sicher verändern durch diesen Prozess. Die hat gesagt: "Schnauze, ich will nicht mehr!" Ich dachte, dass meine Stimme zurückkommt, wenn ich mich mal eine Weile entspanne. Tut sie aber nicht. Ich arbeite jetzt daran, dass mein Körper merkt, dass die Gefahr vorbei ist. Ich kann mittlerweile in einer anderen Stimmlage so ein bisschen Dolly Parton und Joni Mitchell mitzwitschern. Meine Stimme war von Anfang an ein zartes Pflänzchen. Ich litt viel unter Allergien, Asthma und Infekten. Meine Stimmbänder machen generell zu viel, dadurch kommt viel Luft mit durch. Klingt sexy, aber man wird schnell heiser.
Als du Mutter wurdest, hast du dein Baby mit auf Tour genommen, weil dein Mann Pola Schlagzeuger bei Wir sind Helden war. Musstest du dir als Frau blöde Kommentare anhören?
Als ich schwanger wurde, waren einige Männer richtig beleidigt, so als hätte ich ein "Lieblingsspielzeug" von ihnen mutwillig kaputt gemacht. Frauen, die mich kritisierten, haben viel von ihrem eigenen Kram auf mich projiziert, ich habe oft vergiftete Komplimente erhalten. Eine Interviewerin sagte mal, dass sie es total bewundere, wie ich das alles hinkriege – mit den Kindern und der Musikkarriere. (Obwohl ich nie gesagt habe, dass ich das gut hinkriege. Ich habe es einfach nur gemacht.) Sie sagte: "Ich könnte das ja nicht, dafür hänge ich einfach zu sehr an meinen Kindern." Uffz! Es hat mir immer wahnsinnig viel Kraft geraubt, dass ich mich aus beruflichen Gründen so vielen verschiedenen Leuten aussetzen musste, die mich beurteilt haben.
In deinem Buch "Die Träume anderer Leute" gehst du selbst ganz schön hart mit dir und deinem Körper ins Gericht.
Ich bin die meiste Zeit netter zu mir, glücklicherweise, aber hier wollte ich die dunkelsten Momente zeigen. Ich fand es wertvoll, diese grausamen Stimmen, die viele Künstlerinnen ab und zu in sich hören, zu Papier zu bringen. Nach meinen Schwangerschaften war es schlimm für mich, über rote Teppiche zu gehen und fotografiert zu werden. Ich wollte einfach nur schlank sein, um nicht beleidigt oder verletzt zu werden. So geht es, glaube ich, den meisten Menschen. Wenn man einem gewissen Ideal entspricht, ist man einfach auf der sicheren Seite. Das wird verstärkt, wenn man in einem Bereich arbeitet, in dem jeder Schritt öffentlich kommentiert wird. Deshalb reiße ich mich auch nicht um Fotoshootings. Es gibt da viele Machtspiele. Bestimmte Medien sagen, wir lassen unsere Fotos nicht von Künstler:innen freigeben. Das finde ich unfassbar.
Was macht der Ausblick auf die anstehende Buch-Promo mit dir?
Du bist mein erstes Interview und du merkst – ich habe noch immer Probleme mit meiner Stimme, da muss ich mich in Interviews erst mal reinentspannen. Ich kann so ein Buch natürlich nicht zu Tode promoten, das Thema bringt eine gewisse Selbstverpflichtung mit sich. Aber ich freue mich auch darauf, denn gute Interviews geben mir auch immer die Gelegenheit, das, was ich da gemacht habe, besser kennenzulernen.
Wer bist du heute als Sängerin ohne Stimme?
Ich bin eine glückliche Kreative. Ich liebe es, Schriftstellerin zu sein, mache meinen Podcast "Salon Holofernes" und auf der Plattform Patreon schreibe ich über alles, was mich bewegt. Patreon ist wie Crowdfunding, nur im Monatsabo. Man kann dort Künstler:innen unterstützen, indem man einen monatlichen Betrag wählt. Durch diese Unterstützung habe ich einen Grundsockel, der es mir erlaubt, genau das zu tun, was ich mir immer gewünscht habe – nämlich kontinuierlich vor mich hin etwas Kreatives zu machen, ohne ständig sichtbar zu sein. Ich habe leider erst mit 45 Jahren gemerkt, dass es mir immer dann nicht gut ging, wenn ich länger nichts Kreatives gemacht habe.
In unserer Gesellschaft wird jungen Leuten "Fame" als Nonplusultra verkauft, was durch Castingshows und Social Media noch verstärkt wird. Junge Künstler:innen, die dein Buch lesen, könnten es sich zweimal überlegen, ob sie mit ihrer Stimme berühmt werden wollen.
Ich hoffe, dass meine Ehrlichkeit junge Frauen nicht vom Musikmachen abbringt oder von der Freude am Glänzen und Auftreten. Aber ich würde ihnen raten, von Anfang an nicht zu geschmeidig zu sein. Wenn du neu in dem Biz bist, jung, optisch dem Ideal entsprichst und Bock hast, viel zu arbeiten, ist da erst mal wenig Widerstand. Aber es wird sehr schnell sehr fies, wenn du aus dem Muster fällst, weil du z. B. ein Kind bekommst. Da gehen dann viele Frauen dran kaputt, die meisten verschwinden von der Bildfläche. Am schwierigsten ist es für Frauen, wenn sie nicht mehr ganz jung sind, aber auch noch nicht richtig alt. Du hörst erst wieder von ihnen, wenn sie den Preis für ihr "Lebenswerk" bekommen. Einfach dafür, dass es sie überhaupt noch gibt.
Hast du Vorbilder?
Marianne Faithfull hat ihre zweite Karriere damit begonnen, dass sie als Obdachlose mit einer Überdosis aufs Gesicht gefallen ist und mit einer völlig neuen Stimme praktisch wiedergeboren wurde. Nicht, dass ich etwas dergleichen anstrebe, aber ich mag Frauen, bei denen nicht alles aalglatt gelaufen ist.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 10/22.
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