Zwischen Hormonbehandlungen, dem Bangen, dass es endlich klappt und Business-Meetings: Berufstätige Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch stehen unter großem Druck. Was Arbeitgeber tun können und wie betroffene Frauen sich selbst schützen können, verrät Dr. Simone Sesboüé, die Paare als Coachin bei ihrer Kinderwunschbehandlung begleitet.
In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos – das schätzt das Ministerium für Familien, Frauen, Senioren und Jugend. Im Gegensatz zu Themen wie Schwangerschaft und Geburt sind Fruchtbarkeitsprobleme am Arbeitsplatz oft unsichtbar. Dabei kann eine Kinderwunschbehandlung für betroffene Frauen körperlich als auch emotional oft enorm kräftezehrend sein. Manche Behandlungen ziehen sich über Monate oder gar Jahre – alltägliche berufliche Pflichten oder Aufstiegsmöglichkeiten mit einem unerfüllten Kinderwunsch zu bewältigen, ist dadurch sehr schwierig.
Das liegt unter anderem auch an der Wucht an Terminen, die eine Kinderwunschbehandlung mit sich bringt. Während dieser Behandlungen planen Frauen meist ihren gesamten Alltag um ihren Zyklus herum. Besuche in der Klinik, Überwachungssitzungen, Blutuntersuchungen, minimalinvasive chirurgische Eingriffe bei IVF-Zyklen – all das kostet nicht nur Geld und Nerven, sondern auch Zeit.
Über die Autorin:
Dr. Simone Sesboüé ist Kinderwunsch-Coach und Hypnosetherapeutin. In ihrem Coaching-Programm "Fertile Mind Coaching" begleitet sie Frauen, Männer oder Paare mit Kinderwunsch auf dem oft anstrengenden Weg der Behandlungen.
Kinderwunschbehandlungen erschweren eine Karriere häufig
Aber nicht bei allen Frauen, die sich ein Kind wünschen, rückt die Karriere damit automatisch ans untere Ende der Prio-Liste. Viele der Klientinnen, die ich bereits begleiten durfte, hat es belastet, dass sie nicht mehr so leistungsfähig waren, wie sie es eigentlich von sich selbst kannten. Dabei ist das völlig verständlich, wenn man bedenkt, was bei einer Kinderwunschbehandlung alles auf einen zukommt. Trotzdem ist vielen dieser Frauen die eigene berufliche Identität wichtig, sie wollen sie nicht einfach hintenanstellen oder gar aufgeben.
Besonders frustrierend dabei: Im Gegensatz zum "herkömmlichen Prozess", also einer Schwangerschaft und anschließender Elternzeit, können Kinderwunsch-Patientinnen schlicht nicht einschätzen, wie lange es dauert, bis sie tatsächlich ein Baby bekommen. Bei einigen dauert es wenige Monate, bei anderen Jahre. Dadurch entwickelt sich zunehmend eine Abwärtsspirale mit steigender Frustration: es entsteht dann oftmals ein Gefühl von "ich kann nichts" oder "ich schaffe nichts".
Ungewollte Kinderlosigkeit im Job ist immer noch tabuisiert
Sich dem Arbeitgeber in dieser belastenden Lebensphase anzuvertrauen, ist nicht einfach. Zum einen, weil es eine sehr persönliche Erfahrung ist. Mit Kolleg:innen oder Vorgesetzten darüber zu sprechen, kann sich so anfühlen, als würde man sie in seine intimsten Geheimnisse einweihen. Außerdem ist ungewollte Kinderlosigkeit vor allem im beruflichen Kontext immer noch ein Tabu. Viele Frauen befürchten negative Auswirkungen auf ihre Karriere. Das zeigt auch eine US-amerikanische Umfrage, in der mehr als 1000 Frauen befragt wurden. 34 Prozent von ihnen gaben an, dass sie sich unwohl dabei fühlen würden, mit ihren Vorgesetzten über ihren Kinderwunsch und ihre Behandlungen zu sprechen – aus Angst, dass das umprofessionell wirken könnte. Von den befragten Frauen befürchteten 30 Prozent sogar, ihren Job zu verlieren, wenn sie ihren Kinderwunsch im Job thematisieren würden.
Vertrauen ist das Fundament für jede Unterstützung
Dabei ist es wichtig, sich seinem Arbeitgeber zu öffnen. Denn nur dann können betroffene Frauen auch Unterstützung erhalten. Ich habe bei den Frauen, die ich begleite, immer wieder erlebt, dass ein großer Teil ihrer Anspannung förmlich von ihnen abfällt, wenn sie ehrlich zu ihren Vorgesetzten sind. Dazu gehört jedoch viel Vertrauen in die Führungsperson und das jeweilige Unternehmen. Und genau das fehlt manchmal. Eine auf Vertrauen basierte Zusammenarbeit ist die wichtigste Grundvoraussetzung, um berufliche und insbesondere persönliche Themen ansprechen zu können. Im 1:1-Gespräch mit Vorgesetzten kann Betroffenen schon viel Belastung genommen werden.
Aber damit betroffene Frauen und Paare sich überhaupt öffnen können und wollen, braucht es eine unternehmensweite Offenheit dem Thema gegenüber. Führungskräfte, die Inklusion ernst nehmen, sollten auch dazu bereit sein, offen über Unfruchtbarkeit oder Empfängnisschwierigkeiten zu sprechen – und Richtlinien zu entwickeln, um Mitarbeitende in dieser Phase der Familienplanung zu unterstützen. Das können Schulungen von Führungskräften zu diesem Thema oder unternehmensweite Richtlinien für Auszeiten und Wiedereinstieg sein. All das braucht es, um Paare und Frauen mit Kinderwunsch bestmöglich zu unterstützen.
Was können Betroffene selbst tun?
Der erste Schritt muss sein, sich selbst und die Situation, in der man sich befindet, ernst zu nehmen. Das mag sich banal anhören, weil man meinen könnte, dass etwas derart Schmerzhaftes immer ernst genommen wird. Ich habe allerdings bereits vielfach erlebt, dass Einflüsse und Kommentare wie "Stress dich nicht, dann klappt es bestimmt" aus dem Umfeld der Frauen sie verunsichern. Es muss aber ganz klar festgehalten werden, dass ein unerfüllter Kinderwunsch eine sehr belastende Lebenserfahrung ist, die bis heute leider noch immer ein sehr stilles Leid ist.
Als zweiten Schritt empfehle ich, sich achtsam und wohlwollend um die emotionale Bewältigung der eigenen Lebensumstände zu kümmern. Das können kleinere Veränderungen im Alltag sein – sich zum Beispiel jeden Tag zwanzig Minuten nur für sich zu nehmen –, je nach Bedarf aber auch größere. Sich zusätzlich professionelle Unterstützung zu holen, kann helfen, etwas rascher wieder mehr Ruhe und Vertrauen im Kinderwunsch-Prozess zu entwickeln. Die eigenen Ressourcen, über die man ohnehin verfügt, die aber im Schmerz und Leid oftmals nicht mehr gesehen werden, können dann wieder sichtbar gemacht werden und für die Bewältigung im Kinderwunsch mobilisiert werden.
Für die Hormonzyklen, von denen in der Regel nur ein paar wenige pro Jahr möglich sind, kann es hilfreich sein, sich vorab gut zu organisieren, um die terminlichen Herausforderungen bestmöglich zu bewältigen und damit organisatorischen Stress zu reduzieren. Es kann helfen, die Aufgaben, die beruflich wie privat anstehen, zu priorisieren. Ich erlebe immer wieder, wie Frauen sich selbst und ihrer Behandlung dadurch die nötige Priorität einräumen. Auch das kann die Anspannung enorm lindern und die Leichtigkeit, die so wohltuend und wichtig für uns ist, ein Stück weit zurückholen.
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