Bis zum 1.11.2011 konnten sich unsere Leserinnen beim Schreibwettbewerb von EMOTION und Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf als Krimiautoren versuchen. Hier ist die Gewinnergeschichte von Lars Lüke.
In Heft 10/2011 riefen EMOTION und die Peek & Cloppenburg KG Düsseldorf zu einem Schreibwettbewerb auf: Drei Krimis der Autoren Oliver Pötzsch, Elisabeth Herrmann und Hanna Winter warteten darauf, vollendet zu werden. Die Autoren der zwei besten Geschichten werden mit einem Treffen mit den Bestseller-Autorinnen Elisabeth Herrmann und Hanna Winter belohnt.
Hier sehen Sie unseren Krimi-Aufruf
Recht herzlich bedanken wir uns auch bei den anderen Teilnehmern für ihre Kreativität und die tollen Geschichten.
Platz 1: Lars Lüke mit "Das Wiedersehen". Plus Interview mit dem Gewinner.
Das Original: Das Wiedersehen
von Hanna Winter
Es war ein schwülheißer Spätsommerabend, als Beatrix Gardner mit ihrer 16-jährigen Tochter Larissa auf der Veranda saß und Karten spielte. "Wenn du Glück hast, gebe ich dir morgen eine Revanche, aber jetzt bin ich hundemüde", lachte Larissa und streckte gähnend die Arme über dem Kopf aus, ehe sie das Brot und die Oliven abräumte. Beatrix trank ihren Rotwein aus, schaute noch eine Weile in den sternenklaren Himmel und dachte daran, wie viele Sommer sie wohl schon in diesem abgelegenen toskanischen Haus verbracht hatten, da klingelte das Telefon. Irritiert, wer das um diese Zeit wohl sein mochte, lief Beatrix ins Haus und nahm das Gespräch an. "Er ist wieder draußen, offenbar wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen", hörte sie Claudia Schikowski, eine befreundete Münchner Anwältin, jene Worte sagen, vor denen Beatrix sich acht Jahre lang gefürchtet hatte und bei denen sich schlagartig ihr Magen zusammenzog. "Ich habe es eben erfahren, am besten reist ihr gleich morgen früh ab – dieser Kerl ist unberechenbar und du weißt doch noch, was er bei der Urteilsverkündung gesagt hat", fuhr Schikowski fort, während Beatrix wie gelähmt mit dem Telefon in der Hand im Flur stand. "… ja, danke, … ich ruf dich dann morgen an", sprach sie leise, fast flüsternd und als sie auflegte, bemerkte sie, dass ihre Hände zitterten. "Wer war das denn so spät noch?", wollte Larissa wissen, die mit einem Geschirrtuch in der Hand aus der Küche gekommen war. "Ach, bloß eine alte Freundin", gab Beatrix mit einer lapidaren Handbewegung zur Antwort, als das Telefon erneut klingelte. Rasch nahm Beatrix ab, doch zu ihrer Verwunderung meldete sich niemand – und zum ersten Mal, seit sie die Sommer hier verbrachten, lag in der Stille, die im Haus herrschte, etwas Unheimliches.
...
...und so geht es weiter: Das Wiedersehen
von Lars Lüke
Das Knacken von kleinen Ästen im nahe gelegenen Olivenhain, vom dem sie wusste, es waren die Katzen von dem nicht weit entfernten Hof, hätte jetzt auch von etwas Größerem, Schwererem kommen können. Die Zeit dafür wäre zu knapp gewesen, beruhigte sie sich, während sie merkte, dass ihr Rachen so trocken wurde, dass ihr das Schlucken schwer viel. "Mami, was ist los?", hörte sie die Stimme ihrer Tochter durch den Schleier ihrer Gedanken. "Was wollte deine Freundin?" Sie bemerkte die Verunsicherung in der Stimme Larissas. "Trinken wir noch was?", hörte sie sich möglichst unverfänglich fragen, während ihre Gedanken rasten. Stuttgart Stammheim bis San Miniato sind immerhin acht Stunden. Sind nur acht Stunden. Per Anhalter? Länger? Mit dem Zug? Auch. Mit einem gestohlenen Auto und aller Kraft von Hass? Zu schaffen. "Larissa, hör zu." Ruckartig drehte sie sich um. Ein Stein war gegen den alten Öltank geknallt. Hinter dem Haus. "Mami, was ist los?" Sie bemerkte, wie die Angst in Larissas Stimme aufstieg. "Was hast du?" – "Geh nach oben, hol’ deine Sachen, wir fahren." Sie war überrascht, wie barsch und klar ihre Ansage war. Larissa, die sonst nicht mal den Müll raus brachte, wenn sie sie mit Engelszungen darum bat, gehorchte sofort. Doch sie sah, wie ihr Tränen der aufkommenden Angst in die Augen stiegen. Wie schön und anmutig sie war mit ihren 13 Jahren. Fast schon eine junge Frau. Alles, alles durfte passieren. Nur ihr durfte auf keinen Fall etwas geschehen. Sie würde ihr Leben für sie einsetzen.
Fortsetzung der Geschichte
Sie musste sich wieder beruhigen. Klare Gedanken fassen. Sie ging, zögerlich, fast tastend, zur Vordertür hinaus. War es vorher schon so stockfinster gewesen? Wo war der Mond, das Licht, was vorhin noch so friedlich alles beleuchtet hatte. Sie schaute nach oben. Das ist ja lächerlich. Du übertreibst. Du verfällst in Panik. Lange schwarze Wolken verdeckten den Himmel und erstickten das Licht der Nacht. Sie trat zurück in den Hausflur und hörte Larissa in ihrem Zimmer. Das war doch Larissa? Ihre Schritte klangen schwerer als sonst. Sie griff nach dem Schlüssel des altersschwachen Fiats, mit dem sie sich fröhlich und unbeschwert auf dem Weg gemacht hatten. Sie hatten zehn Stunden gebraucht. Fuck!, schoss es ihr durch den Kopf. Ein Wort, das sie sonst nie benutzte. Der Tank war fast leer. Das reicht keine zehn Kilometer mehr. Ich wollte ihn auftanken. Ich wollte ihn auftanken. Fuck. Fuck. Fuck. Sie rannte zum Fiat. Die Wagentür war nicht abgeschlossen. Sie zitterte als sie versuchte den Schlüssel in die Zündung zu stecken. "Mami!" Larissa stand mit ihrer Tasche auf der Veranda und irgendetwas schien hinter ihr zu stehen. "Larissa! Komm her!" Larissa hatte den letzten Rest ihrer teenagerhaften Fassung verloren und rannte los. Sie drehte den Schlüssel im Zündschloss. Keine Reaktion des Motors. Zweiter Versuch. Nichts. Sie bewegte das Lenkrad, trat auf Gas, drehte die Zündung. Nichts.
Sie hatten sich beim Italiener, ihrem Stammitaliener, kennengelernt. Ein Abend wie er nicht so häufig vorkommt bei Paolo. Die Stimmung war überschäumend, Korken knallten, Flaschen wurden spendiert und Männer forderten die Frauen auf dem nächtlichen Trottoir zum Tanz auf. Charmant und männlich trat er auf. Andreas. Und dafür, dass er irgendwas mit IT machte, war er geradezu ein Prachtexemplar. Doch sie hatte sich im Griff in dieser Nacht. Ein Kuss, vielleicht zwei. Säuselndes Aneinanderschmiegen bei alten italienischen Liedern. Sich ein bisschen begehrt fühlen. Ein bisschen Frau sein. Larissa war sechseinhalb und der Babysitter bis um ein Uhr bezahlt. Ihre Handynummer hat sie ihm gegeben. Dem Andreas. Und dann erst mal nichts gehört. Ihn fast vergessen. Er wusste, wie man das Spiel spielt. Und dann direkt ein Anruf. Keine feige SMS. Essen. Picknick in der Sommerfrische? Larissa beim Vater, was selten genug klappte. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Er schien Manieren und so etwas wie Geschmack zu haben. Geld war auch vorhanden und seine ruppige Art, sich ihr zu nähern, würde sich sicherlich ausschleifen. Pah, da hatte sie schon anderes erlebt.
Larissa. Andreas. Andreas. Larissa. Die offizielle Vorstellung. Sie mochte ihn. Sie wurde nicht stutzig, als er schnell, schneller als schnell bei ihr einzog. Sie wollte es ja auch. Endlich wieder jemand da, der ihr zuhörte, ihr half mit der Tochter und für sie, nur für sie da war. Hätte jemand man nach der perfekten Beziehung gefragt, sie hätte laut hier geschrien. Sie lachten zusammen. Sie alberten herum. Sie machten sich lächerlich verliebt vor anderen und fanden es großartig. Er filmte alles mit seiner Kamera, einem verschrobenen alten Modell mit Kassetten. Larissa auf dem Arm. Larissa und Mami beim Picknick. Der tolle Bootsausflug. Beim Filmen wäre er beinahe über Bord gegangen. Sie mochte ihn. Liebte sie ihn sogar? Es fühlte sich so an, und er sagte es ihr ständig, immer, jeden Tag. Sie wollten heiraten. Nein, das stimmt so nicht. Er wollte sie heiraten. Sie zögerte noch, im Grunde mehr aus Koketterie denn aus Zweifeln. Larissa fragte immer: "Seid ihr dann Mami und Papi?" Es trieb ihr Tränen in die Augen.
Er berührte sie. Fasste sie an. Hart. Bestimmend.
Sie wollten es ihren Eltern sagen, und er wollte es filmen. Natürlich. Am nächsten Tag, einem Freitag wollten sie die 100 Kilometer mit ihrem Auto fahren. Er war den Abend vorher beim Sport oder woanders, so richtig wusste sie das nie. Sie nahm schon mal die Kamera, um sie einzupacken. Ein rotes Lämpchen leuchtete und blinkte. Der Akku neigte sich seinem Ende zu. Sie suchte nach der Kameratasche, um das Ladekabel anzuschließen und fand sie ziemlich weit hinten im Schrank. Fein säuberlich beschriftet lachten sie die Kassettenhüllen an. Sie musste Schmunzeln als sie die verschiedenen Titel las und die Erinnerung wieder kam. "Bootsausflug mit Larissa und Beatrix" stand da. Sie schob die Kassette in das dafür vorgesehene Fach und drückte auf Play. Sie lachte laut auf als sie Aufnahmen wieder sah, auf dem kleinen Bildschirm der Kamera. Sie spulte ein wenig vor. Sie wollte die Szene sehen, wo er fast über Bord gegangen war und da war es. Sie musste laut auflachen und bremste sich, da sie Larissa nicht wachmachen wollte. Als sie wieder hinschaute, veränderte sich das Bild. Es wurde krisselig als wäre im Spurlauf der Kamera etwas kaputt. Sie schüttelte sie Kamera ein wenig und dann wurde es wieder klar. Sie sah Larissa in ihrem romantischen Kinderbett liegen, schlafend, aus einem gewissen Abstand gefilmt. Friedlich sah sie aus. Andreas, der die Kamera irgendwo aufgesetzt haben musste, näherte sich ihrem Bett. Hob die Bettdecke und betrachtet sie. Er trug ein T-Shirt und diese Boxershorts mit Motiven drauf, die sie immer als etwas lächerlich empfunden hatte. Er legte sich zu ihr. Larissa wurde wach. Schlug die Augen, diese wunderschönen Augen auf und sie sah Angst in ihre Augen. Verzweiflung. Er berührte sie. Fasste sie an. Hart. Bestimmend. Keine Widerrede duldend. Er presste ihr seine große schwere Hand auf den kleinen, dreijährigen Mund und die Hand fuhr brutal zwischen ihre Beine. Das Bild wurde schlechter. Wie verrückt schüttelte sie die Kamera und das Bild wurde wieder klarer. Sie spürte wie ihr übel wurde. Sie wollte schreien doch sie konnte nicht. Ihr Hals war wie ausgedörrt. Das konnte nicht, das durfte nicht sein. Sie schaute wie erstarrt wieder auf den kleinen Bildschirm und sah wie er sich befriedigte während er seine große schwere Hand zwischen ihren unschuldigen Beinen hatte und sich dann über sie ergoß. Sie übergab sich auf den Teppich. Es roch nach Magensaft. Wie mechanisch nahm sie die Kassette aus der Kamera. Tat sie zurück in die Hülle und steckte sie in ihre Jeans.
Das Urteil war eindeutig. Acht Jahre Haft ohne Bewährung. Ihr Anwalt hatte Sicherungsverwahrung beantragt, weil er schon früher sexuell auffällig geworden war, doch niemals konnte man es ihm nachweisen. Jeglicher Liebreiz war aus seinem Gesicht gewichen. Sein Charme, dem sie so einfach erlegen war, hatte sich in eine hässliche Fratze verwandelt. Ein ums andere Mal schien er sie auszulachen. Provokativ, kaltherzig, ein anderer Mensch. Er wählte seine ihm per Gesetz zustehenden Schlussworte mit bedacht: "Ich komme hier wieder raus und dann werde ich dich finden, denke jeden Tag daran, mein Schatz." Der Richter unterbrach ihn und das Urteil wurde in seiner Abwesenheit gesprochen. Acht Jahre ohne Bewährung.
Sie sprang aus dem Auto und rannte auf Larissa zu. Durch die Olivenhaine gab es eine Abkürzung zu dem Nachbarhof. Sie nahm ihre Tochter fest an die Hand und rannte los. "Mami, du tust mir weh. Meine Tasche…" Sie zehrte sie weiter und schaute sich um. Eine Schatten zuerst, dann eine klar auszumachende Gestalt war vielleicht 100 Meter hinter ihnen. Sie konnte den Hof sehen. Es brannte kein Licht. Noch 200, vielleicht 300 Meter dann würden sie den Hof erreichen. Da fiel es ihr ein. Was hatten Michele und Angela vorgestern als sie auf ein Glas da waren gesagt? Sie würden am Freitag für zwei Tage nach Rom fahren, um ihre Tochter zu treffen, die dort ein Auslandssemester machte. Panisch und nassgeschwitzt erreichten sie den Haupteingang. Die Tür war verschlossen. Angela hatte mal irgendwas von einem Schlüssel gesagt. Denk nach! Mit mehr als einem Anflug von Panik schaute sie unter den Blumenkästen, die Angela immer so liebevoll mit frischen Kräutern bepflanzt. Nichts, außer modriger Erde und aufgescheuchten kleinen Insekten, die aufgeregt auseinanderstoben. Pietra lavorata, hatte Angela gesagt. Sie kannte das Wort nicht, hatte aber so getan als ob und wollte es später nachschlagen. Sie hatte es nicht getan. "Vielleicht hier, Mami", sagte Larissa und streckte sich, um auf der Fensterbank neben der Haustür einen mittelgroßen Stein anzuheben. Sie half, und fand den Schlüssel. Ihre Hände zitterten als sie den Schlüssel ins Schloss steckte. Sie achtete darauf, dass Larissa nah bei ihr war. Sie spürte, wie sie zitterte. In der Ferne hörte sie Motorengeräusch. Sie schaute sich um. Niemand. Die Wolken hatten dem Mond wieder ein wenig Platz eingeräumt. Pechschwarz war es trotzdem. Sie konnte Licht in ihrem Haus erkennen. Hatte sie Licht angelassen? Die Tür sprang auf. Sie zog Larissa herein, drehte den Schlüssel zweimal ins Schloss und fand den Stein noch in ihrer Hand. Sie wollte kein Licht machen. "Mami, was machen wir hier? "– "Es ist alles gut", antwortete sie. "Ich passe auf dich auf!" Sie wusste, dass sie log, und Larissa schien es auch zu spüren. "Der Hintereingang" schoss es ihr in den Kopf, als sie ein lautes Krachen hörte. Ein schweres Stemmeisen hatte die hintere Tür aufgeknackt.
Sex als Bestrafung. Sex als Ausübung von Macht.
"Nach oben!", zischte sie und packte ihre Tochter an der rechten Schulter und schob sie die Treppe in den ersten Stock hinauf. Schwere Stiefel waren auf dem alten Holzdielen zu hören. Sie bewegten sich jetzt schneller auf sie zu. Larissa stolperte vor ihr und weinte jetzt. Eine starke Hand griff sie an der linken Fessel. Sie fiel auf der Treppe hin, drehte sich im harten Griff des Mannes und schrie Larissa an, "Nach oben, lauf!", und trat ihm vor die Brust. Er stolperte zurück, verlor nur beinahe das Gleichgewicht und setzte wieder an, sie die Treppe herunterzuziehen. Sie hatte immer noch den Stein in der Hand und schleuderte ihn auf dem Rücken liegend, ihrem Angreifer entgegen. Sie hörte das dumpfe Geräusch, wenn etwas Festes mit großer Wucht auf menschlichem Gewebe trifft. Das Stöhnen des Mannes verriet ihr, sie hatte getroffen. "Du verdammtes Miststück!", waren die ersten Worte. Die ersten Worte nach acht Jahren. Andreas. Ohne ihn sehen zu können, hatte sie sein hassverzerrtes Gesicht aus dem Gerichtssaal vor Augen. Es gab keinen Zweifel. Sie war wieder auf den Beinen; ihre Augen hatten sich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt und sahen wie jemand am Treppenabsatz kniete und sich den Kopf hielt und dann zu ihr hoch sah. Trafen sich ihre Augen? Fast schien es so. Der Stein hatte ihn nicht außer Gefecht gesetzt. Aber er war jetzt angeschlagen. Es erschien ihr nicht wie ein Vorteil. Sie musste an ein verletztes Tier denken, was sich blutend weiterschleppte, um die Beute zu erlegen. Wo war Larissa? Sie nahm die letzten Stufen der Treppe und hörte wie er bereits wieder hinter ihr war. Er stand jetzt am Treppenabsatz, vielleicht vier Meter von ihr entfernt. Aus der Dunkelheit von hinten kam eine Gestalt und schlug mit einer Nachttischlampe auf den Rücken des Mannes. Larissa. "Lass uns in Ruhe", schrie sie. Der Angriff überraschte Andreas, doch die Lampe verfehlte eine nachhaltige Wirkung. Er packte sie an ihren langen blonden Haaren und schleuderte sie in die Ecke, wie einen jungen Hund. Larissa war stumm vor Entsetzen und benommen vom Schmerz.
Das, was alles so perfekt erschien, hatte irgendwann Risse bekommen. Sie wusste gar nicht genau wann. Sie wollte es wahrscheinlich auch nicht wahrhaben. Immer häufiger wurde er eifersüchtig. Wenn sie mit den Arbeitskollegen wegblieb, mal etwas trinken, erwarteten sie 28 verpasste Anrufe in drei Stunden, die eine deutliche Sprache sprachen. Die Streitigkeiten wurden heftiger. Immer öfter wurde das Kind davon wach. Und aus dem Ruppigen, was sie am Anfang irgendwie als wild und neu empfunden hatte, wurde jetzt Wutsex. Sex als Bestrafung. Sex als Ausübung von Macht. Immer öfter hielt sie den Atem an. Von Lust und Befriedigung keine Spur mehr. Sie ergab sich. Sie traute sie nicht gegen diesen schweren Mann aufzustehen. Immer öfter roch er nach Alkohol. Was passierte den ganzen Tag, wenn Sie bei der Arbeit war? Und er Larissa aus der Kita holte? Hatte sie sich nicht verändert? Das fröhliche Kind war immer verschlossener geworden, fast verängstigt. Sie selbst schlief mittlerweile auf dem Sofa und da sie sich nicht mehr im Intimbereich rasierte, war er so angeekelt, dass er sie meist in Ruhe ließ. Es gab auch zärtliche, liebevolle Momente, die sie wieder zweifeln ließen und alle guten Ratschläge ihre Freunde schoss sie in den Wind. Sie schob es auf den Alkohol. Der verdammte Alkohol. Wie bei ihrem Vater. Wie bei ihrem verdammten Vater. Doch daran wollte sie nicht denken.
Er machte drei schnelle Sätze auf Sie zu, bevor dann ohne ein weiteres Wort seine Faust krachend in ihrem Gesicht einschlug. Sie knallte hart auf den Boden. Ihre Arme und Beine versagten. Nichts half ihr den Sturz abzubremsen. Sie war ohnmächtig.
Fortsetzung & Interview mit Lars Lüke
Sie schmeckte Blut, als wieder zu sich kam. Ihre rechte Gesichtshälfte war geschwollen. Sie saß am Tisch. Die Deckenleute brannte. Ihre Händel waren auf Ihrem Rücken gefesselt. Plastik schnitt in ihre Handgelenke. Kabelbinder. Er saß ihr gegenüber. Der Stein hatte ihn an der rechten Schläfe etwas oberhalb des Auges getroffen. Es hatte stark geblutet. Sie konnte das getrocknete But an seinem Hemd sehen. Wo war Larissa? Sie schaute sich um. Er lächelte sie an. Es war das Lächeln, was sie so sehr an ihm mochte. Es war das Lächeln des anderen Andreas. Jetzt erschien es ihr nur abstoßend. Wie eine leere Fratze. Sie wollte hart und mutig erscheinen und wunderte sich selbst, wo sie Kraft hernahm. "Etwas tiefer und es wäre dein verdammtes Auge gewesen." Er blieb ruhig. Hatte sich gesammelt. Die Provokation verfehlt ihr Ziel. "Wie geht es dir, meine Süße? Ist lange her." Er machte eine Pause, lächelte süffisant, um dann fortzufahren: "Glaub’ mir, es gab nicht einen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe." – "Wo ist Larissa?" fuhr sie ihn an, "du Stück Scheiße!" – "Das steht dir nicht, das bist du nicht Beatrix, mit dieser Vulgärsprache", antwortete er. "Warum nur, musstest du alles kaputt machen? Wir waren doch glücklich?!" Er klang jetzt fast weinerlich. "Warum musstest du in meinen Sachen herumschnüffeln?" – "Glücklich?", sie unterbrach ihn, "du krankes Stück Scheiße hast meine Tochter missbraucht!" Sie schrie, "Larissa!", in der Hoffnung eine Antwort zu erhalten! Nichts. "Acht Jahre, meine Süße. Weißt du, was acht Jahre Gefängnis bedeuten? Du hast keine Ahnung." – "Die Eier hätten sie dir abschneiden sollen! Larissa!", schrie sie wieder und versuchte die Kabelbinder zu lösen. Ihr Gesicht war jetzt stärker angeschwollen und sie spuckte Blut. "Schrei so viel du willst! Schrei, schrei, schrei", seine Stimme überschlug sich, er verlor beinahe die Contenance, fing sich aber wieder. "Du wirst nicht so sehr für die acht Jahr bezahlen, meine Süße, sondern dafür, dass du alles kaputtgemacht hast. Keiner hätte jemals etwas gemerkt und deiner Tochter hätte es früher oder später schon noch gefallen." Es sprach so viel Verachtung aus seinen Worten, dass es ihr schwerfiel, sich daran zu erinnern, wie sie auch nur eine Minute, mit diesem Menschen, der frei von jeglichem Einfühlungsvermögen war, hatte zusammensein können.
Sie hörten ein Auto auf knirschendem Kies zum Haus fahren. Er erhob sich vom Stuhl, ging zum Fenster, schob die Gardine ein wenig beiseite und ging zur Tür. Er schaute sich im Raum um, als wenn er eine Waffe suchte. Draußen schlug eine Autotür und jemand bewegte sich auf das Haus zu. "Michele", schoss es ihr durch den Kopf. Er war zurück, vielleicht mit Angela. Sie konnten die Carabinieri rufen, vielleicht hatten sie es schon getan, als sie das Licht sahen? Hatte Michele nicht eine Waffe im Keller, für die Jagd. Sie war jetzt aufgeregt vor Erleichterung. Die Haustür wurde von außen geöffnet. Michele trat herein. Andreas machte einen Schritt auf ihn zu. Stumm schüttelten sich die beiden Männer zur Begrüßung die Hand…
"Frau Winter hat mich inspiriert"
Interview mit Lars Lüke
EMOTION: Wieso haben Sie sich für die Geschichte von Hanna Winter entschieden?
Lars Lüke: Als ich den Anfang gelesen habe, entstanden in meinem Kopf direkt Bilder wie es weitergehen könnte.
Was gefiel Ihnen besonders an der Geschichte?
Frau Winter hat mich von Anfang an mit ihrem sensiblen und klaren Sprachstil angesprochen, der eine subkutane Gänsehaut-Stimmung erzeug.
Wie kamen Sie auf Ihre Idee? Haben Sie sich an echten Fällen orientiert?
Reine Phantasie. Ich habe eigentlich immer gedacht, ich könnte gar keine Krimis schreiben, sondern eher gesellschaftskritische Texte und Romane. Aber der Text von Frau Winter hat mich inspiriert. Ich habe auch schon Ideen, wie es weitergehen soll….
Wie holen Sie sich Inspiration zum Schreiben? Was tun Sie dabei?
Ich muss Zeit haben und entspannt sein. Leider mangelt es daran massiv. Mein Traum wäre, ein Jahr Zeit zu haben, um den Krimi zu Ende zu schreiben. Auf einsamen Berghütten. Zurückgezogenen Strandhäusern. Und einer kleinen Kemenate mitten in Berlin.
Wie wurden Sie auf den Schreibwettbewerb in der EMOTION aufmerksam?
Meine Frau kauft die Zeitschrift öfters. Von daher: ein glücklicher Zufall.
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