Um Andacht zu halten, muss man nicht unbedingt in die Kirche gehen.
Meran ist ein bisschen mediterraner (Palmen!) als Bozen und ein bisschen schicker. Da gibt es die Wandelhalle an der Passer, so heißt der Fluss, der durch das Städtchen fließt, das Sissi-Denkmal gegenüber – die Gegend gehörte einst zu Österreich und die Kaiserin wohnte in den Wintermonaten gern auf Schloss Trauttmansdorff –, das Kurhaus, das Theater, die Therme. Und es gibt wie in Bozen eine Laubengasse, eine Einkaufsstraße, die rechts und links von Rundbögen gesäumt wird, als seien die Geschäfte darunter kleine Seitenkapellen. Von diesem Gedanken inspiriert, biege ich ein paar Meter weiter nach links ab, Richtung Pfarrkirche. Als ich die schwere Tür öffne, schlägt mir eine angenehme Kühle entgegen. Ich bin ganz allein in dem weiten gotischen Kirchenraum. Wie herrlich diese Stille ist. Vorsichtig setze ich mich mit meinen Einkaufstüten – neue Wanderschuhe mit türkisen Schnürsenkeln aus dem Sportgeschäft Hutter, Südtiroler Speck aus dem Feinkostladen Seibstock, ein Pfeffermörser von der Tischlerei Hofer – auf eine der Kirchenbänke und will mich gerade zurückzulehnen, als ein Kreischen die Stille zerreißt. Die Alarmanlage schrillt ohne ersichtlichen Grund. Nur kurz, aber lang genug, um mich aus dem Gotteshaus zu vertreiben.
„Ja, Fehlalarm kann man das auch nennen“, sagt etwas später eine gute Bekannte, mit der ich auf der Sonnenterrasse des Cafés Darling verabredet bin. Sie schaut mich schon eine ganze Weile ernst an, während ich erzähle, was ich die letzten Tage so alles erlebt habe. „Aber vielleicht war das auch ein Zeichen “, fährt sie fort, als ich endlich mal Luft hole. „Wie meinst du das“, frage ich irritiert. „Du packst schon wieder so viel in deine Tage, willst bloß nichts verpassen. Und dann denkst du, zwei Minuten durchatmen reicht. Nimm den Alarm als Zeichen, dass du ein bisschen mehr auf Dich aufpassen solltest. Mach doch mal ein bisschen langsamer.“ – „Habe ich ja auch vor“, beruhige ich sie. „Morgen geht es in die Berge“, ich deute auf meine neuen Wanderschuhe. „Aber jetzt muss ich noch schnell in das Dörfchen Niederlana, da gibt es diesen berühmten Holzaltar“. – „Niederlana ist eine gut Wahl“, sagt meine Bekannte und grinst. „Schnell geht da nämlich gar nichts, wirst schon sehen!“
Nein, nicht mal die Hinfahrt. Eigentlich sind es nur zehn Minuten von Meran, aber wenn man wie ich jetzt hinter einem Traktor hertuckern muss… 30 Stundenkilometer, das macht mich rasend! Schon merkwürdig, denn Zeitdruck habe ich ja eigentlich wirklich keinen.
Als ich endlich vor der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt stehe, sind die Türen fest verschlossen. Ein Mann, der eine Schubkarre über den Friedhof schiebt, kommt auf mich zu: „Die öffnet erst in einer Stunde. Und seien Sie pünktlich, wenn niemand vor dem Eingang steht, wird wieder abgeschlossen.“
Ziellos umrunde ich das Fünf-Häuser-Dorf. Hinter der Kirche liegt das Obstbaumuseum und noch ein paar Schritte weiter beginnt ein Wanderweg. „Wohin führt der“, frage ich die Frau an der Museumkasse. „Nach Lana, hin und zurück brauchen Sie etwa eine Stunde.“ Das passt ja perfekt. Ich eile hinauf und gelange auf einen Panoramaweg. Er führt vorbei an Weinreben, durch Kastanienhaine – und plötzlich merke ich wie sich meine Schritte verlangsamen. Zwischen dem Laub der Bäume unter mir blitzen die gelben und grünen Schindeln einer Kapelle hervor. „Schön, nicht“, sagt eine alte Frau, die neben mir stehen geblieben ist. „Soll ich ihnen etwas von der Kapelle erzählen? – „Gerne.“ Wir setzen uns auf eine Bank. „Mein liebstes Bild darin zeigt die heilige Notburga.“ Den Namen habe ich ja noch nie gehört. „Sie war eine Magd. Jeden Samstag ging sie früher von der Arbeit, um sich in der Kirche auf den Sonntag vorzubereiten. Einmal verbot ihr der Bauer das, weil ein Gewitter nahte. Doch Notburga ging trotzdem und ihre Sichel blieb einfach in der Luft hängen.“ Work-Life-Balance auf Katholisch denke ich und lächle die Frau an. Schweigend genießen wir den Ausblick. In der Ferne höre ich die Glocken von Niederlana. Übrigens die ältesten von ganz Südtirol. Höchste Zeit umzukehren, sonst stehe ich wieder vor verschlossenen Türen. Aber ich bleibe sitzen. Die Sonne wärmt mein Gesicht, die Luft duftet nach frisch geschnittenem Gras. Den Altar kann ich ja auch morgen anschauen. Oder übermorgen. Jetzt ist jetzt. Und das tut mir gerade verdammt gut.
Tipps zum Entspannen:
>> Ins Gleichgewicht kommen mit Südtirol Balance, im Mai und Juni 2015 in Südtirol
>> Schritt für Schritt den Rhythmus finden an den Orten der Balance in Südtirol
>> Bei einer Wanderung mit Atemtraining die Natur spüren