Frauen leisten einen großen Beitrag, um unsere Welt besser zu machen. Das wurde uns wieder einmal bewusst, als wir letzte Woche die EMOTION.awards 2023 verliehen haben – an großartige Frauen, die wichtige Projekte und Themen vorantreiben und damit die Gerechtigkeit, unsere Gleichstellung, die Sicherheit oder auch die Bildung von Kindern in unserer Welt voranbringen. Hier stellen wir sie vor.
"Frau der Stunde": Menschenrechtsaktivistin und Autorin Düzen Tekkal
Düzen ist Journalistin, Menschenrechtsaktivistin und Sozialunternehmerin. Sie berichtete für RTL aus Krisen- und Kriegsgebieten, machte eigene Filme. Sie klärt unermüdlich und mit großer Ruhe auf, besonders eindrücklich seit Beginn der Proteste im Iran, besonders über den Mut der Frauen dort. Sie hat drei Organisationen gegründet: die Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help, die humanitäre Hilfe, Empowerment und Bildung für Mädchen und Frauen leistet. Dann die Bildungsinitiative GermanDream, die an hunderten Schulen Gespräche über Werte organsiert. Schließlich die Organisationsberatung Mut:Republik, die zu Inklusion und Diversität berät.
Als die Jury über die Kategorie "Frau der Stunde" abstimmte, war noch gar nicht abzusehen, welche Aktualität diese Wahl gewinnen würde. Denn die bestürzenden Entwicklungen der letzten Wochen in Israel, Gaza, im ganzen Nahen Osten treffen den Kern des Engagements von Düzen Tekkal. Das beginnt mit ihrem Kampf gegen religiösen und politischen Extremismus, für die Rechte und den Schutz von Minderheiten. Und es betrifft – indirekt, aber sehr spürbar – ihr zweites großes Thema: nämlich, Migration als Chance zu begreifen und für ihr Gelingen zu kämpfen. Die Politik redet derzeit lieber über Abschiebungen als über Menschenrechte, Solidarität und den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Wenn sie ihren Antrieb erklären soll, verwendet Düzen gern die lautlich und inhaltlich verwandten Begriffe "Wut" und "Mut". "In der Wut liegt auch die Kraft!", das ist so ein Tekkal-Zitat. Ihre Kraft scheint schier unerschöpflich, das beweisen ihr Lebenslauf und ihre Initiativen. Ihre Wut versiegt auch nicht – und sie hat das Recht, wütend zu sein. Solche Gefühle sind gesellschaftlich nicht angesehen. Aber womöglich ist Wut besser als Erschöpfung und Fatalismus, die uns alle befallen können, wenn wir Nachrichten sehen. Die Wut trübt übrigens nie ihr Urteil: Düzens moralischer Kompass ist unbestechlich, sie ist immer auf der Seite der Benachteiligten, Schwachen, Unterdrückten, Verfolgten. Solche Klarheit macht ihre Stimme in dieser historischen "Stunde" so wichtig.
Gewinnerin der Kategorie "Soziale Werte": Miriam Peters, Initiatorin der Land-Grazien
Alle vier Minuten wird ein Mensch in Deutschland Opfer von Partnerschaftsgewalt, das errechnet sich aus der Kriminalstatistik. Eine Dunkelziffer von mindestens 80 Prozent kommt hinzu – ein gruseliger Begriff, und gerade bei dieser Dunkelziffer operieren die Land-Grazien, eine mobile Frauenberatungsstelle für Opfer von Gewalt in der Partnerschaft.
Die Entwicklung dieser Initiative, die von Miriam Peters gegründet wurde, ist beeindruckend konsequent. Sie begann regional, als Verein "Frauen helfen Frauen Sandesneben und Umgebung", das ist östlich von Hamburg, im ländlichen Holstein. Die Land-Grazien erweitern das Angebot auf allen Ebenen: online, telefonisch, mit dem "Beratungsmobil", das an vereinbarte Orte kommt. Sie helfen und begleiten bei Ämtern und Polizei, organisieren weitere Unterstützung. Ein neues Zusatz-Projekt ist der "Kids-Club", eine Anlaufstelle für die bei häuslicher Gewalt immer mit-betroffenen und mit-leidenden Kinder.
Seit einiger Zeit übernehmen ehemals von Gewalt betroffene Frauen ehrenamtlich Wochenend-Notdienste bei den Land-Grazien, begleitet von Fachpersonal. Diese Frauen, sagt Miriam Peters, eröffnen neue Perspektiven, bekommen selbst Auftrieb und erfahren Selbstwirksamkeit. Das ist nach unserem Eindruck der Kern von Miriams Engagement: nicht nur helfen und retten, sondern Empowerment – sie nennt es "Eigenmacht". Die braucht es, gegen Gewalt und gegen das verdammte Tabu. Der EMOTION.Award in der Kategorie "Soziale Werte" kommt aus vollem Herzen und mit größter Bewunderung.
Gewinnerin der Kategorie "Frauen in Digitalisierung": Oberstaatsanwältin Jana Ringwald
Bei Jana Ringwald steht "Podcasterin" in der Kurzbeschreibung an der zweiten Stelle, was ja nicht ungewöhnlich ist. In Kombination mit dem ersten Punkt aber schon: Oberstaatsanwältin. Die Mischung führt immer wieder zu lustigen Effekten, wenn sie auf Bühnen oder in anderen Podcasts zu Gast ist. "OBERSTAATSANWÄLTIN?", fragen ihre Gegenüber. Oha! Man stellt sich Staatsanwältinnen wohl nicht so lässig und cool vor. Und nicht so digital bewandert.
Das ist nun aber ihr Spezialgebiet, sie ist in Frankfurt bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, abgekürzt ZIT, leitet dort das Team Cybercrime und ist auch zuständig für Crypto-Währungen.Was Jana Ringwald dort im Detail tut, ist rechtlich, technisch und intellektuell äußerst anspruchsvoll. Was Hacker mit Erpressungen durch "Ransomware" vorhaben, ist für den vorwiegend analogen Alltagsverstand noch halbwegs nachvollziehbar. Schwieriger zu verstehen ist schon Ringwalds größter publikumswirksamer Erfolg: als sie in einer internationalen Zusammenarbeit den "Wall Street Market" vor Gericht brachte, den damals zweitgrößten Drogen-Umschlagplatz im Darknet. Die Täter, junge Leute aus der deutschen Provinz, landeten im Gefängnis.
Die Justiz, Behörden überhaupt, stehen im Ruf, starr und konservativ zu sein und dem Geschehen im Internet stets um Jahre hinterzuhinken. Jana Ringwald hat sich aufgemacht, das zu ändern.
Gewinnerinnen der Kategorie "Diversity in Media": Die Frauen hinter "Wer macht Meinung?"
Man stellt sich immer vor, dass Daten-Journalist:innen mit nicht so vielen Klicks – es müssen nur die richtigen sein – bequem wertvolle Erkenntnisse hervorzaubern. Das geht aber nicht immer, wie unsere Preisträgerinnen der Kategorie "Diversity in Media" – die Frauen hinter der Medienanalyse "Wer macht Meinung?" (Jeanette Gusko, Elisa Harlan, Kübra Gümüsay, Salsabil Hamadache, Julia Kloiber, Cecilia Palmér) – feststellen mussten.
Ihre Fragestellung war elementar: wie steht es mit dem Anteil von Männern und Frauen in den größten Online-Medien, und zwar bei den publizierten Artikeln? Solche Daten existieren nicht, Nachfragen in den Redaktionen erbrachten nichts, also ging’s an Zählen. Händisch, wie man so leicht dahinsagt: 15.000 Artikel, drei Stichproben in drei Jahren, bei den Großen der Branche: ZEIT, Spiegel, Bild, taz, FAZ, SZ.
Die Mühe hat sich gelohnt, denn das Ergebnis ist spektakulär. Nur 20 Prozent aller analysierten Artikel haben eine Autorin. 52 Prozent sind von Männern, der Rest von gemischten Teams oder nicht zuzuordnen, oft Agenturstücke. Noch einmal: Männer sind mehr als doppelt so oft als Autoren vertreten wie Frauen. Was das bedeutet, im Hinblick auf Repräsentation und Meinungs-Macht, müssen wir hier wohl nicht diskutieren. Wohl aber, wie es dazu kommt.
Uns bleibt im Moment, die sechs Frauen zu feiern, die diese Erhebung gemacht haben. Übrigens ein diverses Team, interkulturell, interdisziplinär. Sie haben Beweise geliefert, wo es vorher nur Vermutungen gab, sehr begründete, wie wir jetzt wissen. Die Gruppe, die mit der feministische Research- und Advocacy-Organisation Future_s verbunden ist, will die Analysen fortschreiben und verbreitern, und sie wird weitere Diskussionen IN den Medienhäusern anstoßen, wo der Wandel geschehen muss.
Team-Sonderpreis "Hand in Hand": Initiative "Schule im Aufbruch"
Mit dem diesjährigen von EMOTION und HanseMerkur ausgelobten Team-Sonderpreis "Hand-in-Hand" wurde die Initiative "Schule im Aufbruch" mit ihren Gründer:innen Margret Rasfeld, Prof. Gerald Hüther und Prof. Stefan Breidenbach ausgezeichnet.
Dass unsere Schulen mit dem Idealbild des Voneinander- und Miteinander-Lernens wenig zu tun haben, wird kaum jemand leugnen. Umso weniger, als das Ungenügen des Systems gerade so deutlich wird, dass viele schon von einer Krise sprechen. Lehrer:innen-Mangel und nachlassende Kompetenzen der Schüler:innen bei grundlegenden Themen sind dafür nur zwei Symptome.
Wer nicht beruflich in dem Feld zu tun hat, wird überrascht sein, wie sehr von Lagerdenken geprägt und bitter umkämpft die Bildungspolitik ist. Wenn jemand so meinungsfreudig und pointiert ist wie Gerald Hüther und auch seine Mitgründer:innen Margret Rasfeld und Prof. Stefan Breidenbach, ist in der Auseinandersetzung ein rauer Ton zu erwarten. Die eigentliche Provokation liegt aber schon im Ansatz: Potentialentfaltung, das Schlüsselwort für "Schule im Aufbruch", verträgt sich nicht mit 45-Minuten-Unterrichtsblöcken, die zuallererst auf Klausuren und Noten zielen.
Die Initiative will die Schulkultur verändern, das historisch gewachsene Verständnis von Unterricht transformieren. Die Ziele decken sich mit dem UNESCO-Programm "Bildung für nachhaltige Entwicklung", zu den Werten zählen Partizipation, Verantwortung und Wertschätzung. Schüler:innen sollen Sinn und Selbstwirksamkeit erfahren. Das gelingt über selbstorganisiertes und projektbezogenes Lernen.
Wir wünschen "Schule im Aufbruch" den Mut und die Mittel, weiter ihre Ideen umzusetzen.
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