Sibel Kekilli kennen wir schon so lange, diese auffällige, vielseitige, widerspenstige Frau, die mit nur drei Wochen Schauspielunterricht zum internationalen Filmstar wurde. Und doch ist sie uns immer noch ein Rätsel. Wir sprachen mit ihr über ihr wichtigstes Lebensmotiv: die Freiheit
Sie wirkt sehr selbstbewusst – und gleichzeitig sehr verletzlich. Sibel Kekilli, 37, hat sich nie gescheut, klar ihre Meinung zu sagen. Auch, wenn sie weiß, dass das nicht immer gut ankommt. Sie erntet Lobeshymnen für ihre Darstellung der verführerischen Shae in der weltweit gefeierten US-Fantasyserie "Game of Thrones". Sie verlässt scheinbar wider alle Vernunft den "Tatort", dreht stattdessen die finnische TV-Serie "Bullets", in der sie Selbstmordattentäter rekrutiert, oder steht mit Helen Mirren, Keira Knightley und Patrick Dempsey für "Berlin, I love you" vor der Kamera. Dazu engagiert sie sich als Botschafterin von Terre des Femmes für Frauenrechte und erhielt dafür das Bundesverdienstkreuz. Wir wollten wissen: Wer ist Sibel Kekilli?
EMOTION: Sibel, starten wir mal mit einer klassischen Frauenmagazin-Frage: Was ist Ihre Vorstellung von Glück?
Sibel Kekilli: Wenn ich nicht vergesse, den Moment zu genießen. Keine Gedanken daran verschwende, was in der Vergangenheit war oder was in Zukunft sein wird.
Und? Klappt das?
Meist versäume ich, mir bewusst zu machen: Wahnsinn, was gerade passiert! Aber beim Dreh von "Game of Thrones" ist mir das gelungen – das war für mich so besonders, dass ich jede Sekunde davon ganz intensiv in mich aufsaugen wollte. Wir sind heute alle immer auf der Jagd nach dem Glück. Nach dem ganz Besonderen. Die Leute haben Angst, gewöhnlich zu wirken.
Mich halten viele wahrscheinlich für langweilig, weil ich es liebe, zu Hause zu sein, früh schlafen zu gehen oder eine alte Serie wie "Columbo" zu gucken, die ich schon 1000 mal gesehen habe. Tatsächlich finde ich eine gewisse Langeweile sogar toll. Früher hätte ich gedacht: Du musst jetzt eine Freundin treffen – selbst, wenn ich nur eine halbe Stunde Zeit hatte.
Sie haben keine Angst vor unorthodoxen Entscheidungen. "Folge deinem eigenen Weg" – Ihr Motto?
Das ist das Ideal. Dafür muss man sich aber mit sich selbst auseinandersetzen. Sich fragen: Was will ich? Was will ich nicht? Ich habe definitiv meinen eigenen Kopf.
Woher kommt das?
Meine Kindheit und Jugend war geprägt von Regeln und Verboten, die nie begründet wurden. Herauszufinden, was man will, was einem guttut und was nicht – das ist ein schwieriger Prozess. Dabei bin ich leider manchmal übers Ziel hinausgeschossen. Inzwischen versuche ich, eine Nacht über Dinge zu schlafen.
Was hat sich dadurch für Sie geändert?
Man kann schon lernen, sein Temperament zu zügeln. Nicht einfach Worte rauszuhauen, die man nachher bereut. Aus Wut ein Glas gegen die Wand zu schmeißen – das erschreckt andere und mich auch. Wut oder anderen Emotionen freien Lauf zu lassen, finde ich nicht richtig. Dass man andere nicht verletzt, das hat auch mit Reife zu tun. Man muss lernen, seine Emotionen zu kanalisieren. Es wäre ja auch traurig, wenn ich heute noch wie mit 14 oder mit 25 wäre, dann hätte ich keine Entwicklung erlebt.
Mit dem Begriff "sich ausprobieren" können Sie also was anfangen.
Ja. Und dazu gehört auch Mut. Menschen sind meist Gewohnheitstiere. Sie bleiben lieber da, wo sie sind, mit dem, was sie haben. Aber es würde mich langweilen, nichts Neues auszuprobieren. Ich musste allerdings lernen, das zu tun, ohne gewisse Grenzen zu überschreiten. Denn ich habe erlebt, dass das nicht gesund ist. Man sollte sich eigentlich in der Kindheit ausprobieren dürfen, wenn man die Eltern als Sicherheit im Hintergrund hat. Als Erwachsene gilt es dann gewisse Dinge auszuloten: Möchte ich dieses oder jenes wirklich, oder möchte ich das nur, weil man das halt so macht? Wie will ich leben? Ich gucke, wohin es mich treibt.
Das birgt natürlich auch Potenzial, Fehler zu machen …
Ich habe generell keine Angst, Fehler zu machen. Denn auch Fehler bedeuten Entwicklung – wenn man daraus lernt. Entscheidungen treffe ich meistens aus dem Bauch. Wie bei der Frage, ob ich aus dem "Tatort" aussteigen soll. Das Gefühl sagte: Schluss! Der Verstand hingegen: Du musst deine Miete zahlen, bleib dabei! Natürlich denke ich nach, wäge ich ab – aber am Ende entscheidet dann doch meist das Bauchgefühl.
Bitte vervollständigen Sie den Satz: Was andere über mich und meine Handlungen denken …
Bin ich jetzt ehrlich, wenn ich sage, dass es mir komplett egal ist, was andere von mir denken? Ich muss mal kurz überlegen … Natürlich kommt es vor, dass ich mich frage: Oh Gott, war das jetzt richtig? Aber eigentlich ist mir egal, ob andere meinen: Das war falsch. Ich sage meine Meinung. Ich bin darüber hinweg, dass ich von allen geliebt werden will.
Was in Ihrer Branche sicher nicht einfach ist.
Ja, vielleicht. Ich habe immer nach der Freiheit gestrebt, so zu leben, wie ich das möchte. Manchmal denke ich, dass mein Beruf es mir schwermacht: Man wird als öffentliche Person die ganze Zeit bewertet: von Kollegen, von Regisseuren, von Zuschauern. Bei mir findet fast alles unter Beobachtung statt. Deshalb bin ich in gewisser Weise immer in Habachtstellung: Kommt da wieder ein blöder Spruch? Letztens hat jemand geschrieben: Mein Gott, du bist aber auch alt geworden! Stimmt, ich bin keine 20 mehr. Soll ich das jetzt als Beleidigung empfinden? In der heutigen Zeit brauchst du gerade als Frau in meiner Branche eine große Stärke, um „normal“ zu altern.
Wie wirken Sie auf andere?
Ich glaube, dass viele mich unterschätzen. Aber ich werde lieber unterschätzt als überschätzt. Als jüngere Frau hatte es wohl auch mit meinem Alter zu tun, dass ich manchmal nicht ernst genommen wurde. Wenn du nett und höflich bist, verleitet das manche, das auszunutzen. Das ist auch ein Machtspiel: Wie weit kann ich bei ihr gehen? Dadurch habe ich gelernt, noch früher Grenzen zu setzen. Wenn man es erst mit Freundlichkeit versucht und dann sagt: Stopp, so nicht!, dann heißt es: Die ist ja kompliziert!
Welche Erfahrung haben Sie damit gemacht, zu sagen, was für Sie geht und was nicht?
Wer Grenzen setzt, wird mehr respektiert, als jemand, der zu allem und jedem Ja sagt. Wenn ich jedoch geradeheraus meine Meinung sage, werde ich als Zicke bezeichnet. Aber was nützt es mir, wenn ich mich über etwas aufrege, das aber nicht äußere? Das Komische ist: Wenn ich hinter dem Rücken über jemanden rede und er bekommt das mit, scheint das fast weniger schlimm als ihn direkt mit etwas zu konfrontieren. Ich glaube manchmal, die Leute wollen belogen werden in unserer Gesellschaft.
Was hat bei Ihnen die Oberhand: das Gefühl oder der Verstand?
Das Gefühl. Das ist meine Stärke, aber auch meine größte Schwäche. Denn die Menschen haben Angst vor wahren Emotionen. Emotionalität kommt bei uns nicht gut an – sie wird als Schwäche ausgelegt. Du musst eher Thatcher, Merkel oder Queen Elizabeth sein, um als stark zu gelten. Wer kühl, diszipliniert, überlegt wirkt, wird als tough wahrgenommen. Doch in meinen Augen ist emotionale Intelligenz genauso wichtig. Die haben leider wenige Menschen. Das ist auch der Grund, warum Einsamkeit entsteht.
Und vielleicht auch der Grund, warum Social Media so beliebt sind?
Ich bin erst sehr spät zu Facebook gekommen und habe es nach einem Jahr wieder drangegeben, weil ich nicht verstanden habe, welchen Sinn das macht. Vielleicht, um seine Einsamkeit nicht zu spüren? Ich finde, die muss man auch aushalten können. Erst, wenn man mit sich selbst einsam sein kann, ist man bereit für eine echte Beziehung ohne Erwartungen.
Darf man denn nichts erwarten?
Wir verlangen zu viel von einem Menschen, wollen, dass er alles mit einem gemeinsam macht, einen versteht. Manche bleiben bei ihrem Partner, weil sie sagen: Lieber mit dem als allein. Das ist traurig.
Flirten Sie gern?
Nee, dieses Spiel beherrsche ich leider nicht. Darin bin ich ganz schlecht. Ich will’s aber auch gar nicht können – das ist mir viel zu anstrengend. (lacht)
Haben Sie eine Art Masterplan fürs Leben? Ein konkretes Ziel?
Du kannst dein Glück nicht planen. Aber ich möchte an den Punkt kommen, wo ich ich selbst bin. Immer wieder innehalten und mich fragen: Was will ich eigentlich – unabhängig von allen anderen. Man muss sich analysieren: Warum bin ich so, wie ich bin? Sich mit sich selbst konfrontieren. Ich wusste lange nicht, wer ich bin, war nicht bei mir. Es hat mich viel Kraft und Schmerzen gekostet, dahin zu kommen, wo ich heute bin. Die meisten Menschen sind auf der Suche, aber sie wissen nicht, wonach.
Sind Sie selbst Ihre beste Freundin?
Ich glaube, ich bin meine größte Kritikerin. Ich bin sehr streng mit mir. Doch inzwischen habe ich ganz gut gelernt, mich selbst zu fragen: Was tut mir gut? Aber noch bin ich weit davon entfernt zu sagen: Ich bin meine beste Freundin.
Von Heilbronn nach Westeros: Der Weg von Sibel Kekilli
Schauspielerin Sibel Kekilli, 37, kam in Heilbronn als Tochter türkischer Eltern zur Welt. Gleich für ihre erste Rolle in Fatih Akins Film "Gegen die Wand" wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Als einzige Deutsche war sie im Cast der US- Fantasyserie "Game of Thrones". Von 2010 bis 2017 spielte sie im "Tatort" Kiel die Kommissarin Sarah Brandt. Wegen ihres Engagements für Frauenrechte erhielt sie 2017 das Bundesverdienstkreuz. 2018 ist sie in der finnischen Serie "Bullets" und in dem Episodenfilm „Berlin, I love you“ (Start: 18.11.) zu sehen.