Es gibt 1001 Varianten des Flirtens. Und es gibt ungefähr genauso viele Möglichkeiten für Missverständnisse. Klarer Vorteil, wenn man lesen kann – nämlich die Zeichen des Gegenübers. Unser Kolumnist weiß, wie das geht.
Rollo wirft mir einen irgendwie besorgten Blick zu, während er im Fußraum des Autos nach einer Dose Bier fischt. "Für dich muss das ja jetzt auch schlimm sein mit dem Me-Too-Dings", sagt er und ich bin so entgeistert, dass ich völlig ernsthaft nicht darauf komme, was er meint. "Weil ich Töchter habe?", frage ich und schiebe nach: "Guck bitte auf den Verkehr." Er schüttelt entschieden den Kopf. "Nein", sagt er, "weil du ja potenziell eine Frau suchst, und jetzt muss man sich ja immer überlegen, was man sagt." Er guckt selbst verlegen, weil er merkt, wie bescheuert das rausgekommen ist.
"Ich würde behaupten", beginne ich, "ich habe mir vorher auch schon ..." Er unterbricht mich, und ich kann mich nicht konzentrieren, weil ich Todesangst habe. Ich bin ein schlechter Beifahrer, und er fährt immer so, als wäre Fahren von den drei Dingen, die er gleichzeitig tut, die unwichtigste. "Nein, nein, mein' ich nicht", sagt er, "aber früher kam was doof raus, und dann hat man gesagt: Tut mir leid! Heute hat man Angst, die rennt sofort zur Personalabteilung." Das ist ein Gedanke, den ich mir ehrlich noch nie gemacht habe. "Ernsthaft?", frage ich, und er zieht die Schultern hoch. "Hör' ich dauernd", sagt er dann, "dass sich viele Gedanken machen." "Aber das ist doch gut", sage ich fahrig, weil viel zu knapp vor uns einer in die Spur einschert, und ich nicht sicher bin, ob Rollo ihn rechtzeitig sieht. "Ja, schon, aber es sind immer die Falschen", sagt er, "die sowieso immer nett waren. Die machen sich Gedanken. Du wahrscheinlich auch."
"Nein", sage ich, zu schnell und zu laut, auch deshalb, weil ich mir verkneife zu sagen, fahr bei der Geschwindigkeit nicht so dicht auf. "Aber glaubst du echt, ich hätte es irgendwie leichter, Frauen kennenzulernen, wenn ich ihnen im Büro mehr Komplimente machen könnte? Über ihre Beine oder was?"
"Na ja", sagt er, "nicht so schmierig. Aber Flirten!" Ich sehe mein Leben vor meinem inneren Auge vorbeiziehen, was an dem Lkw vier Zentimeter rechts von mir in der engen Baustellenspur liegt, und es kommen nicht wirklich wenig Frauen darin vor, mit denen ich bei der Arbeit geflirtet habe. "Das geht schon", sage ich, "es geht ja nicht um Flirten bei #MeToo, sondern um Anmache, die eigentlich kleinmachen soll. Das ist doch was anderes. Den Unterschied merkt man doch." Er guckt mich viel zu lange an, gemessen an unserem Tempo und der Enge der Spur. "Das denken alle", sagt er dann, "warum sollte es bei dir stimmen?"
Die Baustelle ist vorbei, die Spur wird breiter, und ich habe rechts freie Sicht über die Felder. Weil sie mich geküsst hat, denke ich, aber ich sage es nicht. Ich möchte das noch ein bisschen für mich haben. Weil das letzte Mal, als ich geflirtet habe, sie mich geküsst hat. Ich lächle in den grauen Nachmittag hinaus. "Ich sag' dir was", sage ich Rollo, "und es gilt eigentlich für alles. Für mein ganzes Leben. Ich habe keine Ahnung, wie es geht. Aber es geht."