Was für ein Werk! Fünf Jahre lang reiste der Fotograf Gregor Hohenberg durch Deutschland, um traditionelle Trachten in Szene zu setzen.
Von Amrum bis Rügen, vom Schwarzwald bis in den Spreewald – in 22 deutschen Regionen stieß der Berliner, der normalerweise Modestrecken für internationale Magazine produziert, auf ein beeindruckendes Spektrum von Formen, Farben und Lebensweisen der Trachtenträger.
Auf 320 Seiten ist daraus ein prachtvoller Bildband entstanden, der demnächst im Gestalten Verlag erscheint.
Trachten – ein Stück Heimat
Regionale Unterschiede in einer Zeit der modischen Gleichmacherei – Tillmann Prüfer, Style Director des Zeit-Magazins, beschreibt es im Vorwort des Buches sehr treffend: „Heute ist es einerlei, ob man auf einem Flughafen im Nahen Osten oder Südamerika ist – überall gibt es das gleiche Angebot. Sogar die Hipster-Viertel in San Francisco unterscheiden sich nicht wesentlich von den Hipster-Vierteln in Berlin oder Kopenhagen.“ Dabei ist jedes Land – gerade auch Deutschland – voll von spannenden, geschichtsträchtigen Kleidungsstilen und Accessoires. Trachten zeugen von Herkunft und Handwerkskunst, sie lassen ihre Träger nicht nur in besonderer Schönheit erstrahlen, sondern verleihen ihnen etwas, was niemals aus der Mode kommt: Würde und Anmut.
Fernweh als Inspiration: die Amrumer Tracht
Oft war es diese Heimatliebe, die Stil und Stoffe der festlichen Kleidung prägten. Es wurde mit den Materialien gearbeitet, die vor Ort verfügbar waren. Die eigenwilligen Nordfriesen aber ließen sich von ihrem Fernweh inspirieren. Die heutige Amrumer Tracht fand ihr Vorbild in der spanischen höfischen Kleidung um 1800. Der Silberschmuck, „Panzerkette“ genannt, wurde von portugiesischen Seefahrern zur Inseln gebracht und wird auch heute noch in Portugal hergestellt.
Wissen, woher man kommt
Es sind nicht nur die faszinierenden, oft fremdartig wirkenden Kostüme, die mich dieses Buch Seite für Seite, Bild für Bild intensiv haben studieren lassen. Es sind die Menschen und ihre Geschichten. Gregor Hohenberg hat die Trachten nicht an professionellen Models fotografiert, sondern an den Bewohnern der jeweiligen Region. Die stillen Bewahrer der Tradition werden zu Stars – in einer ganz unaufgeregten und doch glamourösen Weise. Sie wirken nicht wie nostalgische Gestrige, sondern einfach sehr gut gekleidet.
Blick zurück ins Morgen?
Trachten, das vermittelt das Buch sehr glaubhaft, erden die Menschen. Sie erinnern uns daran, dass wir an einen bestimmten Ort gehören, dass wir ein Zuhause haben. Und wenn wir heute feststellen, dass es eine Sehnsucht, eine neue Lust am Einfachen gibt, dann passt in die alltagskompatible Land- und Naturromantik womöglich bald auch wieder eine traditionelle Kleidungsweise. Natürlich in einer zeitgemäßen Version. Designer wie Karl Lagerfeld und Dolce & Gabbana haben es mit ihren Kollektionen längst bewiesen: Es gibt keine Modernität ohne Reminiszenzen an die Vergangenheit, gerade in der Mode. In Deutschland tun wir uns mit der Traditionspflege naturgemäß auch hier schwer. Das Buch „Trachten“ aber weckt die Hoffnung, dass regionale Kleidungsgepflogenheiten nicht aussterben, sondern als das gewürdigt und gelebt werden, was sie sind: ein spannendes, kulturelles Erbe.
Trachten
Fotografiert von Gregor Hohenberg
Gestalten Verlag, 320 Seiten, ca. 50 Euro
Mareile Braun ist Chefredakteurin von EMOTION Slow und liebt ihr Leben zwischen Gucci und Gummistiefeln. Wenn sie nicht gerade auf Fashion Weeks reist, bummelt sie zuhause gern mit ihrem Esel Pepe durchs Dorf.
Was sie sonst gerade bewegt: Yoga unter freiem Himmel, Tanzabende mit dem Gatten und ihre Workshops als "Slow-Down"-Trainerin.