Für viele Menschen bleibt "Treue" immer noch die zentrale Bedingung für eine funktionierende Partnerschaft. Fremdgehen, Seitensprung, Betrug, Untreue: Sex außerhalb der Beziehung bleibt – ganz altmodisch – weiterhin für die meisten Paare die denkbar größte Katastrophe.
Für ihr neues Buchprojekt "Seitensprünge: Warum Untreue nicht zur Trennung führen muss" hat sich die Paarberaterin und Autorin Stephanie Katerle mit der Erotik-Community JOYclub zusammengetan und 5.000 Mitglieder nach ihren Erfahrungen und Einstellungen zum Thema befragt. Die Ergebnisse zeigen deutlich: Ideal und Praxis klaffen weit auseinander. Das Plädoyer der Autorin gilt daher auch einer "aufgeklärten Monogamie", die Seitensprünge als erwartbare Nebenwirkung einer Beziehung akzeptiert.
Veraltete Klischees sind längst überholt
Es gibt unendlich viele, individuelle Meinungen darüber, wo Untreue beginnt und wie mit dem Fremdgehen in einer Partnerschaft umgegangen wird. Unterschiede finden sich vor allem zwischen den Geschlechtern. "Frauen spielen in der Tendenz die Zahl ihrer Fremdkontakte herunter, Männer übertreiben eher. Das hängt mit unseren tradierten Vorstellungen vom Mann als wilden Stier zusammen und der Frau als scheues Reh. Dass das in Wirklichkeit nicht immer stimmt, wissen wir ja."
Fakt ist: Ein Drittel ist schon einmal in einer Beziehung fremdgegangen – unabhängig vom Geschlecht (1). Und entgegen den vorherrschenden Klischees geben 71,5% der befragten Frauen an, bereits mehrere Sexualpartner zur gleichen Zeit gehabt zu haben. Bei den Männern sind es nur 63,2%. Wirklich interessant sind die Details der Befragung in Bezug auf Motivation oder Ehrlichkeit. Wie wird ein Seitensprung begründet? Welche Motivation gibt es? Und wie gehen Männer und Frauen damit um?
Frauen haben eine andere Motivation als Männer
Unterschiede gibt es vor allem bei den Ursachen, die nicht direkt mit der partnerschaftlichen Beziehung zu tun haben. Bei den Männern ist die häufigste Begründung, dass die Partnerin keinen Sex mehr haben will oder kann (34%). Auch Langeweile ist für 28% die Motivation zum Fremdgehen. Erst an dritter Stelle ist eine konkrete Person "Auslöser" für Sex außerhalb der Beziehung (26,7%). Eine solche Kennenlern-Situation ist bei den Frauen der häufigste Grund für einen Seitensprung (33,4%). Eine wichtige Motivation ist für die weiblichen Befragten zudem, von mehreren Menschen begehrt zu werden und sich attraktiv zu fühlen (21,5%). Für Männer ist dieser Grund mit 14,9% offensichtlich recht unwichtig. Im Gegensatz dazu scheinen sie durch den Aspekt der Heimlichkeit einen besonderen Kick zu bekommen (13,2%, Frauen 8,2%).
Männer experimentieren, Frauen fühlen sich begehrt
Welche positiven Effekte hat ein Seitensprung für die Befragten? Hier zeigt sich ebenfalls ein klares Bild. Für Männer (28,7%) ist es definitiv die Möglichkeit, "Dinge auszuprobieren, die mit der Partnerin nicht ausgelebt werden konnten". Frauen sind da mit 15,3% deutlich weniger experimentell. Stattdessen ziehen sie aus dem sexuellen Abenteuer vor allem ein gesteigertes Selbstwertgefühl. 27,4% nennen die Tatsache, sich "wieder begehrt zu fühlen", als wichtigstes, positives Ergebnis ihrer Seitensprung-Erfahrungen. Für Männer spielt das mit 12,7% nur eine untergeordnete Rolle.
Frauen sind kommunikativer, Männer wollen nicht verletzen
Frauen sind ehrlicher und erzählen ihrem Partner sehr viel häufiger von ihrem Seitensprung (30,2%), davon 14,9% sogar jedes Mal. Bei Männern dominiert der Wunsch, niemanden zu verletzen und die Beziehung nicht zu gefährden. Sie sind mit 22,8% sehr viel weniger ehrlich zu ihren Partnerinnen. Absolute Ehrlichkeit gibt es sogar nur von 8,7%.
Gefragt danach, ob es "etwas bringt, danach darüber zu reden", plädieren 34,7% der Frauen für absolute Ehrlichkeit. Bei den Männern sind es lediglich 19,5%. Interessant ist hier vor allem, dass die meisten Männer (44,1%) auch dann nicht ehrlich wären, wenn sie wüssten, dass die Partnerin sie nicht verlässt. Der Grund: "Ich will niemanden verletzen." Die Frauen würden in diesem Fall größtenteils (42,8%) sogar schon vorab von ihrem Begehren erzählen.
Seitensprung als Chance für eine ehrlichere Beziehung?
Ganz besonders stark ist bei Frauen offensichtlich der Wunsch, ihre Beziehung nach einem Seitensprung neu auszuloten. 49,4% sehen in einem offenen Gespräch die Chance, zu vereinbaren, wie sie mit ihrem Partner in Zukunft leben wollen. Leider sehen das die Herren mehrheitlich eher kritisch. 40,9% sind der Meinung, ein offenes Gespräch führe zum Scheitern der Beziehung und Seitensprünge sollten lieber geheim gehalten werden.
Stephanie Katerle verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Ergebnisse einer Studie des Bundesfamilienministeriums (2), die darauf hinweisen, dass Männer deutlich mehr als Frauen an eine Beziehung und noch mehr die Ehe als "sicheren Hafen" glauben. Frauen hingegen glaubten stärker an die Beziehung als kommunikativen und kontinuierlich neu zu verhandelnden Prozess.
"Wenn das so ist, dass Männer ein „ganz oder gar nicht“-Denken haben und sich Frauen eher in einem Entwicklungsprozess sehen, dann wird klar, dass Männer ihr Fremdbegehren lieber für sich behalten. Sie nehmen dann vielleicht an, dass dieses Eingeständnis das gesamte Beziehungskonstrukt in Frage stellen könnte und fürchten einen Zusammenbruch", so die Autorin. "Da Frauen auf den Prozess bauen, könnte es sein, dass sie diese Aufbruchsstimmung eher als Chance für eine Verbesserung und Weiterentwicklung sehen und deswegen offensiver damit umgehen, wenn sie einen anderen Mann interessant finden."
Quellen
(1) YouGov-Studie "Wir Deutschen & die Liebe" (Juli 2017)
(2) Studie des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend "Partnerschaft und Ehe – Entscheidungen im Lebensverlauf" (Oktober 2014)