Als Frau hat man es in der Graffiti-Szene immer noch schwer. Wir haben die Powerfrau Claudia Walde (36) alias MadC getroffen.
Buchstaben malen, große Wände oder Züge besprühen, bei Wind und Wetter los – genau das hat Claudia Walde (36) alias MadC alles getan. Sie hat ganze 700 Quadratmeter Fassade besprüht und das bei teilweise bei minus 25 Grad im Schnee, sogar im Krieg im Libanon. Den Respekt der Männer hatte die Deutsche daraufhin. Dann pfiff sie auf deren Regeln und malte auch auf Leinwand. Mit Erfolg! Die Kunstwelt reißt sich um sie.
Wie lange brauchen Sie für eine Hauswand, nehmen wir die 50 Meter breite Fassade in Mexiko?
Mindestens eine Woche. Vier Monate war das Längste.
Wie sahen die widrigsten Wetterbedingungen aus, bei denen Sie je gesprüht haben?
Bei minus 25 Grad im Schnee. Das war im tiefsten Winter in Norwegen, als ich Busse ansprühen sollte. Ich musste drei Hosen und Lederhandschuhe tragen.
Sind Sie Links- oder Rechtshänder?
Ich sprühe beidhändig. Das geht gar nicht anders. Wenn man zwölf Stunden an einer Wand steht, auf einer Leiter, und man will oben links eine Stelle erreichen, muss man mit links sprühen.
Wie behalten Sie bei einer Häuserwand den Überblick?
Man legt sich einen Entwurf auf ein Foto und sucht sich dann entweder Referenzpunkte, eine Lampe oder einen Riss in der Wand. Oder man rastert die Wand, das heißt, man teilt sie in Quadrate ein. Dadurch weiß man, in welchem Quadrat was passieren muss. In der Zukunft werden wir wahrscheinlich mit Drohnen arbeiten.
Sie haben ein um 20 Prozent höheres Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Lassen Sie sich regelmäßig untersuchen?
Ich trage eine Vollgesichtsmaske mit Filter, ein Großteil der Dämpfe werden nämlich von den Schleimhäuten der Augen und von der Haut absorbiert. Außerdem benutze ich Molotow-Farben. Die haben maximal acht Prozent Giftstoffe, während andere bis zu 35 haben.
Lassen Sie Ihre Sprühdosen einfliegen?
Ja, in der Regel bekomme ich sie überall hingeliefert.
Wieviele Dosen sind für die 700 Wall draufgegangen?
1500 Dosen. Ich habe sie anschließend recycelt und einen Stuhl aus ihnen gebaut. Bei den ganz großen Flächen streiche ich aber auch.
Von wem bekommt man eigentlich eine Genehmigung zum Sprayen? Auf dem Bezirksamt mit Nummer ziehen?
Ich bin mittlerweile in der Luxusposition, dass mir Flächen angeboten werden. Aber mit 16 bin ich nachts losgezogen, um Brückenpfeiler zu besprühen. Und in jeder großen Stadt gibt es natürlich auch legale Flächen.
Aber da wird man doch sofort wieder übermalt…
Nach einem Tag, ja. Aber so fängt man an.
Gibt es Fans, die Ihren Murals hinterher reisen?
Ja. Es gibt sogar Streetart-Fotografen, die sich gegenseitig anrufen, wenn sie einen Künstler entdeckt haben, der gerade sprüht. Für sie ist das eine echte Sammelleidenschaft.
Streetart-Paparazzi?
So kann man sie nennen. Ein paar von ihnen haben es geschafft. Sie werden über Instagram gesponsert, zu Events eingeladen, etc.
Banksys Marktwert wird derzeit auf über 20 Millionen Dollar geschätzt. Wird die Kunst von der Straße endlich ernst genommen?
Jede neue Kunstrichtung wird von der etablierten Kunstwelt erst einmal abgelehnt. Das war schon immer so. Aber langsam merken die Leute, dass es Sprayer gibt, die Talent haben.
Sie verdienen Ihr Geld vor allem mit Leinwandbildern?
Inzwischen ja. Ich bemale fünf bis zehn Fassaden im Jahr. Der Rest sind Leinwände.
Ein Zwiespalt für jemanden, der eigentlich von der Straße kommt?
Gar nicht. Ich sehe es als Erweiterung. Man muss aus seiner Wohlfühlzone herauskommen, um sich weiterzuentwickeln. Immer wieder. Es war für mich eine unheimliche Herausforderung, vom großen Format mit vollem Körpereinsatz aufs kleine Format zu wechseln. Diese Energie, die aus dem ganzen Körper kommt, musst du auf einmal aufs Winzigste transferieren. Du musst Deine Technik verändern, die Art, wie du malst. Und es trotzdem schaffen, dieses Lebensgefühl einzufangen. Dann nimmst du das, was du gelernt hast, wieder mit auf die Straße.
Warum wird Streetart immer noch von Männern beherrscht?
Weil sie aus der Graffiti-Szene entsprungen ist. Und die ist ein enges Korsett. Es gibt strenge Regeln. Man muss Buchstaben malen, so groß wie möglich, auf Zügen, in schwindelerregenden Höhen, bei Wind und Wetter. Auch Banksy hat früher nur Buchstaben gemalt. Außerdem muss man mit Sprühdosen sehr schnell arbeiten und viel Kraft haben. Ich habe das alles mitgespielt und mich bei den Männern durchgeboxt. Aber glücklich bin ich erst geworden, als ich mich von den Regeln befreit habe und anfing, auch mit Pinseln, Farbe, Stickern oder Plakaten zu arbeiten.
2016 haben Sie eine Häuserwand in der Altstadt von Marrakesch besprüht. Wie kam das zustande?
Das war anlässlich der Biennale. Eigentlich sollte ich eine andere Wand weiter außerhalb des Zentrums bemalen. Aber als ich ankam, fehlte eine Unterschrift. In Marokko muss noch alles vom König abgezeichnet werden. Meine Gastgeber haben mir innerhalb von 24 Stunden eine neue Wand aufgetrieben. Nur dass die nicht breit, sondern hoch war. Ich brauchte also über Nacht ein neues Konzept. Im Endeffekt habe ich einen Screenshot von meinem Rechner gemacht und vom Handy abgemalt. Abenteuerlich.
Wie kam es zu der Kollaboration mit der Kosmetikmarke Rituals?
Wir haben einen gemeinsamen Freund, der Trendforscher ist. Er hat uns zusammengebracht. Es war gar nicht einfach, diese Energie von der Straße auf den Tiegel zu bekommen. Aber es hat funktioniert. Es ist immer noch Kalligrafie, immer noch mein Tag, also mein Künstlername, aber so abstrahiert, dass jeder hineininterpretieren kann, was er möchte.
Beauty and the Beast: Manchmal ist das, was kollektiv als hässlich empfunden wird, inspirierender als das Schöne…
Ich bin politisch interessiert, aber ich habe bewusst entschieden, das nicht in meiner Kunst zu thematisieren. Das machen schon genügend andere. Banksy etwa, der brisante Themen perfekt auf die Spitze treibt. Das brauchen wir auch, das ist wichtig. Aber mich persönlich zieht das runter. Ich möchte anderen Kraft geben, im Alltag weiterzukämpfen. Hass kann man nicht mit Hass beantworten. Ich meine, es gibt einen Donald Trump. Da brauche ich gar nicht mehr nachlegen.
Was steht in diesem Jahr an?
Wieder mehr Fassaden. Letztes Jahr ging das nur bedingt, weil ich mit meiner zweiten Tochter schwanger war. Die letzte große Wand habe ich gemalt, als ich im fünften Monat war. Aber das hat dann auch gereicht. Da ist der Bauch irgendwann im Weg. Und es ist auch gefährlich, weil man auf den Hebebühnen ziemlich hoch in der Luft ist und ständig ausbalancieren muss. Aber jetzt geht es wieder.
Ende des Jahres fliege ich nach Kenia. Ich habe dort einen Auftrag vom Goethe-Institut bekommen. Was toll ist – ich habe meine Kindheit in Äthiopien verbracht. Vorher bemale ich ein Museum in Helsinki, in dem ich auch ausstellen werde.
Die perfekte Wand steht an welchem Ort?
Die gibt es nicht. Aber ich würde gerne in einem Land, in dem die Frauenrechte noch mit Füßen getreten werden, eine große Fassade bemalen – als Frau, unverschleiert. Ich hatte eine Einladung nach Pakistan, aber als frischgebackene Mama war mir das zu gefährlich. Ich habe schon im Krieg gemalt. 2006 etwa im Libanon, wo im Nachbarort geschossen wurde. Da kam der Bürgermeister aus dem Panzer geklettert, hat mir die Hand geschüttelt und ist wieder in den Kampf gefahren. Nachts kam ich nicht mehr in mein Hotel, weil auf dem Weg geschossen wurde.
Schrecklich.
Ja. Aber auf was ich hinauswollte: Seit ich Mutter bin, habe ich noch mehr Respekt vor uns Frauen, was wir leisten, was unser Körper leistet. Das kann kein Mann jemals verstehen. Es gibt so viele Länder, in denen Männer mal eine Frau bräuchten, die ihnen die Stirn bietet. Die sagt ,Wir lassen uns nicht sagen, was wir können und was nicht’. Aber diese Länder muss ich mir aufheben. Für die Zeit, wenn meine Töchter groß genug sind und es mir verzeihen würden, wenn ich nicht mehr zurückkomme.