Die Geschichte von Leserin K.J. gewann den 1. Platz beim EMOTION-Schreibwettbewerb: Ihr Vater starb an Krebs und auch ihr Mann verlor den Kampf gegen die Krankheit - dennoch begegnet sie dem Leben mit Freude und Hoffnung.
"Sie müssen sich daran gewöhnen, dass Ihr Mann an einem Gehirntumor sterben wird …" Das ist der klägliche Versuch der Psycho-Onkologin, mir irgendwie klar zu machen, dass es das nun für meinen Mann gewesen sein soll. Ein knallhartes Todesurteil drei Tage nach seiner OP. Er wird aus dieser Nummer nicht mehr lebend raus kommen. Das weiß ich, als ich in ihr Gesicht schaue. Ich dagegen schon. "In guten wie in schlechten Zeiten", hieß es bei unserer Hochzeit damals vor fast zehn Jahren. Wer malt sich da aber schon bitte solch unvorstellbaren und beschissenen Zeiten aus?
Zum wiederholten Mal fliegt mir in diesem Moment in jenem schmalen Zimmer des dritten Stockes in der Neurochirurgie Heidelberg mein Leben um die Ohren. Schon wieder ich. Schon wieder passiert so etwas uns. Das kann doch einfach nicht wahr sein!
Ich hadere, ich schreie und ich drehe völlig durch in diesem Krankenhaus. Niemand kann mir helfen, niemand kann mir dieses Schicksal abnehmen. Man kann mir nur Hilfe anbieten, mir bei- und gleichzeitig daneben stehen. Dieses wilde Meer mit den Wellen der tiefsten Emotionen schlägt über mir zusammen und ich versuche, mich immer wieder an die Oberfläche durchzukämpfen, oben zu bleiben und merke, dass ich da alleine durch muss. Zum wiederholten Mal.
Die erste Begegnung mit dem Tod
Gleich zweimal forderte mich das Leben heraus, als ich 24 war. Ich hatte gerade mein Abitur bestanden und eine solide Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau absolviert, da traf es mich einmal im positiven und einmal im negativen Sinne: Gerade hatte ich meinen zukünftigen Mann kennengelernt und genoss den wunderbaren Sommer mit ihm zusammen in Stuttgart, da eröffnete mir mein Vater, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war. Die andere Seite des Lebens erwischte mich zum ersten Mal eiskalt. Mit dem Tod, tödlichen Erkrankungen, insbesondere dem Krebs, hatte ich in meinen jungen Jahren bisher keine Berührungspunkte. Daher war ich überfordert mit der Situation, wusste nicht so recht, was das nun für uns hieß. Für ihn und für meine damals erst 49-jährige Mutter.
Ich versuchte, meinen Vater, soweit es mir neben der Arbeit möglich war, zu unterstützen und für ihn da zu sein. Die Zeit, die uns als Familie verblieb, waren keine 15 Monate. Dann hatte der Krebs die Oberhand gewonnen und mein Vater verstarb eine Woche vor seinem Geburtstag in einer Tübinger Klinik. Mein Mann versuchte den Schmerz mit mir zu tragen, mich zu stützen und für mich da zu sein. Ich bin froh, dass mein Vater ihn noch kennenlernen durfte.
Ein positiver Schwangerschaftstest - und eine neue Krebs-Diagnose
Dass der Krebs so kurze Zeit später wieder in unser Leben zurückkehren würde, damit hatte wirklich niemand gerechnet. Zwei Monate nach dem Tod meines Vaters wurde ich schwanger. Meinen Plan, erst Karriere zu machen und dann ein Kind zu bekommen, habe ich nach der Erfahrung mit meinem Papa über Bord geworfen. Es war eine bewusste Entscheidung, die tief aus dem Bauch heraus kam und sich als goldrichtig herausstellte.
Wir freuten uns sehr über diese positive Nachricht und dachten, dass es ab nun nur noch bergauf gehen konnte. Ein neues Leben entstand, was konnte es Schöneres geben? In meinem Leben allerdings kristallisierte sich schon ein wenig heraus, dass man auf der Hut sein sollte mit der Freude.
Als ich in der neunten Woche war, wurde bei meinem Mann Hodenkrebs diagnostiziert. Bähm. Da war er wieder, dieser Krebs. Man hört so oft davon, immer wieder, aber immer nur bei den anderen. Aber warum schon wieder wir und warum so nah aufeinander, frage ich mich. Aber niemand wird es mir je beantworten können.
Nach einem kurzen Schockmoment mussten wir schnell reagieren. Hodenkrebs ist ein Turbokrebs. Früh erkannt sind die Heilungschancen aber recht gut. Ein Hoffnungsschimmer für uns in all diesen schrecklichen Zeiten.
Nach erfolgreicher OP und Therapie wurden wir im Herbst Eltern einer zauberhaften Tochter, die uns all die schweren und herausfordernden Zeiten vergessen ließ. Das Glück hatte uns wieder gefunden. Eine gesunde und wunderbare Tochter wurde uns in unsere Arme und in unser Leben gelegt. Ab da, sollte man meinen, war uns ein entspanntes und schönes Leben gegönnt. Mit zwei kurz nacheinander aufgetretenen harten Schicksalsschlägen hatte man doch erst mal ein Recht auf ein schönes Leben, oder etwa nicht?
Aber meine Erfahrung zeigt leider, dass die lieben Götter da oben sich schief lachen, wenn man auf sein Recht pocht oder gar Pläne macht.
Mit einem negativen Gefühl im Bauch weiter durchs Leben laufen und alles nur noch doof finden? Das war und ist nicht mein Ding. Ich bin stark, stärker als das Schicksal.
K. J., Zweitplatzierte beim EMOTION-SchreibwettbewerbTweet
Unserer war es, nach zwei Jahren ein zweites Kind zu bekommen. Mit entsprechend Abstand zu der Chemotherapie meines Mannes stand dem medizinisch zumindest nichts im Wege. Umso mehr freuten wir uns als es klappte. Zumindest für sieben Wochen. Dann wurde bei mir leider eine Eileiterschwangerschaft diagnostiziert. Ich musste zwei Mal operiert werden, gefolgt von einer dreimonatigen Therapie. Danach wurde ich nie wieder schwanger.
Mit Wut über die Ungerechtigkeit schadet man nur sich selbst
Nun stand ich da, mit dreißig Jahren, und wusste nicht so recht, was ich von diesem Leben halten sollte. Von meinem Leben. Hadern und unglücklich sein und mich beschweren, weil es so ungerecht war? Mit einem negativen Gefühl im Bauch weiter durchs Leben laufen und alles nur noch doof finden? Das war und ist nicht mein Ding. Ich bin stark, stärker als das Schicksal. Auch wenn ich oft daran zweifle und mir das als eine Art Mantra immer wiederholen muss. Tief in mir drin habe ich schon immer nach den schönen Dingen gesucht, die versteckt in meinen Herzen liegen und die man so selten betrachtet, weil sie so selbstverständlich sind. Ich richtete also meinen Blick auf die Liebe zu meinem Mann, die Liebe zu meiner Familie und vor allem die Liebe zu mir selbst und versuchte, nicht die Wut über die Ungerechtigkeit die Oberhand bekommen zu lassen. Ich hätte auch nur mir selbst geschadet.
Aber eines weiß ich sicher: Auch wenn ich immer wieder falle, werde ich nie müde werden, aufzustehen. Das bin ich mir selbst schuldig.
Ich hatte den Frieden erneut gefunden. Mich über unser eines gesundes Kind gefreut und versucht, die Dinge nicht mit Neid oder Eifersucht zu betrachten, sondern ausschließlich mit Liebe. Diese Erfahrung der Selbstliebe hat mir geholfen, die nun bevorstehende größte Herausforderung in meinem Leben anzugehen und nicht daran zugrunde zu gehen.
Nach Jahren des Friedens ein neuer Schicksalsschlag
Als unsere Tochter zehn Jahre alt war, wurde der Gehirntumor meines Mannes festgestellt. Die für mich schlimmste und bitterste Erfahrung auf meinem Lebensweg …
In diesem Zimmer in Heidelberg werde ich also erneut mit einer ganz neuen Dimension eines Schicksalsschlages konfrontiert. Da habe ich mich nach all den Jahren wieder aufgerappelt, sitze dort mit meiner positiven Selbstliebe und kann es kaum fassen. Fühle mich, wie in einem schlechten Film und weiß nicht, wie ich das auch noch überstehen soll.
Ein aggressiver Gehirntumor, meist diagnostiziert als ein Glioblastom, ist eine der unangenehmsten Krebsarten, die man haben kann. Ab dem Zeitpunkt der Diagnose läuft die Zeit gegen einen und egal, was die Ärzte tun werden, sie werden am Ende verlieren. Chemotherapie schlagen entweder gar nicht oder nur bedingt an. Das Glioblastom erfindet sich immer wieder neu und trotz Operationen, neuen Studien und individuell auf den Patienten abgestimmten Therapien breitet sich dieser Tumor wie die Tentakeln einer Krake im Kopf des Patienten aus und nimmt einen Großteil des Raumes im Gehirn ein. Was das ab einer bestimmten Größe bedeutet, muss ich nicht extra ausführen.
Freunde, Familie und Bekannte können die Tränen nicht für mich weinen, aber das Aushalten kann auf mehreren Schultern verteilt werden.
K. J., Zweitplatzierte beim EMOTION-SchreibwettbewerbTweet
Die verbleibende Zeit ist uns nicht bekannt, aber ich weiß, ICH muss das überleben. Der Tumor darf nicht auch noch mein und das Leben unserer Tochter zerstören. Mein Mann ist inzwischen seit mehreren Wochen verstorben und wir hatten trotz dieser niederschmetternden Diagnose zwei wunderschöne Jahre. Ich hadere nicht, ich drehe mich nicht um oder frage nach dem Warum. Das alles würde es noch viel schlimmer machen. Und der Weg nach vorne wäre der gleiche. Ob mit oder ohne Hass.
Wie schafft man es, daran nicht kaputtzugehen?
Viele fragen mich, wie ich so stark sein kann und an vielen Tagen sogar lächle. Oft weiß ich das selber gar nicht so genau, aber die Option, daran kaputtzugehen, steht einfach nicht auf meinem Plan. Alles im Universum hat einen Plan. Ich gestehe, ich tröste mich auch ein wenig damit, dass es ganz viele Männer, Frauen, Kinder, Eltern, Menschen gibt, die ein ähnliches Schicksal teilen, und es geht immer noch schlimmer. Oft lese ich in Foren oder Gruppen Geschichten von anderen Menschen, bei denen auch ich nur noch mit dem Kopf schütteln und weinen kann. Lange dachte ich, ich sei die einzige Frau auf diesem Planeten, der so viel Leid geschieht, aber da habe ich mich getäuscht.
Ich möchte kein Opfer sein. Ich will nicht in den Augen der anderen die arme Ehefrau sein, die ihren Mann verloren hat und der so viel Schlimmes widerfahren ist. Einen solchen Stempel will ich nicht tragen. Mein Wunsch ist es, das Leben anzunehmen wie es ist und nicht davon zu reden, dass das Leben mir passiert. Das Steuer habe ich in der Hand. Ich selbst kann entscheiden, ob ich mich von der Trauer zerfressen oder die schönen Erlebnisse und Erfahrungen in meinem Herzen aufblühen lasse. Das Leben ist für viele nicht gerecht verteilt. Wer für die "Verteilung" zuständig ist, wissen wir nicht, aber es macht am Ende auch keinen Unterschied.
Liegenbleiben ist zu keiner Zeit eine Option und wird es nie sein. Das Leben ist dafür und trotz allem viel zu schön…
K. J., Zweitplatzierte beim EMOTION-SchreibwettbewerbTweet
Meine Traurigkeit ist da, jeden Tag. Und an manchen schlechten Tagen ist sie zum Zerreißen groß und die Tränen fließen in einen riesigen Fluss. Dann gibt es aber am Ende des Tales der Tränen wunderbare Freunde, die an meiner Seite stehen, Familie und Bekannte, die unbezahlbar sind. Sie können die Tränen nicht für mich weinen, aber das Aushalten kann auf mehreren Schultern verteilt werden. So werde ich jeden neuen Morgen mein Leben weiterleben. Hand in Hand mit meiner zauberhaften Tochter, die ebenso stark ist wie ich. Ich lebe ihr vor, dass man nicht gefangen ist in seinem Leben, egal wie hart es einen treffen mag.
Liegenbleiben ist zu keiner Zeit eine Option und wird es nie sein. Das Leben ist dafür und trotz allem viel zu schön.
EMOTION-Leserin K. J. ist 39 und bringt gerne die Gedanken in ihrem Kopf auf Papier, um die vielen Schicksalsschläge verarbeiten zu können. Zudem möchte sie Frauen helfen, die das Gefühl haben, mit all der Last in ihrem Leben alleine zu sein. Denn sie sagt: "Es hilft zu lesen oder zu wissen, dass man nicht alleine ist mit seinem Schicksal. Ich möchte offen teilen, dass das Leben oft ungerecht ist und man das annehmen, aber nicht darin gefangen sein muss." EMOTION und der Knaur Verlag danken ihr für diese bewegende Geschichte!
Die Gewinner-Geschichte des EMOTION-Schreibwettbewerbs von Maria Bantschow könnt ihr in aktuellen Ausgabe lesen, ab 7.11.18 am Kiosk.