Was die Parteien in der Pflegepolitik verändern wollen und was Benjamin Salzmann, Vorstandsmitglied des Vereins "Wir pflegen", davon hält – lesen Sie hier
CDU / CSU:
- Die Union will Angehörige von pflegebedürftigen Eltern vor Überforderung schützen. Finanziell sollen die Kinder erst einspringen, wenn sie mehr als 100.000 Euro im Jahr verdienen.
- Um der Altersarmut von Frauen entgegenzuwirken, wollen die Parteien Mütter besserstellen. In der laufenden Legislaturperiode hat die Bundesregierung einen weiteren Rentenpunkt für Kinder eingeführt, die vor 1992 geboren wurden – eine Rentensteigerung um rund 30 Euro je Kind für knapp zehn Millionen Mütter. Mehr als eine Anerkennung ist das jedoch nicht.
- Für das strukturelle Problem, dass es zu wenig Pfleger gibt und Pflegeberufe als unattraktiv gelten, bietet die Union keine Lösung an. Wie Männer dazu bewegt werden können, sich bei der Pflege von Angehörigen stärker zu engagieren, spielt im Wahlprogramm beider Parteien ebenfalls keine Rolle.
SPD:
- Die SPD plant eine Entlastung für pflegende Angehörige. Sie sollen sich bis zu drei Monate lang vom Job freistellen lassen können, mit einer Finanzspritze vom Staat, die dem Elterngeld nachempfunden werden soll.
Bündnis 90 / Die Grünen:
- Die Grünen wollen Angehörigen ebenfalls drei Monate lang ein Pflegegeld zahlen. Außerdem sollen sie sich pro Jahr zehn Tage freinehmen können, um sich besonders intensiv um einen Kranken zu kümmern.
- Die Partei betont, wie wichtig die Kommunen für alle Generationen seien. Alternative Wohnformen wie Pflege-WGs und Hausgemeinschaften könnten helfen, Angehörige zu entlasten – ein Aspekt, dem sich sonst keine Partei widmet.
- Damit Frauen nicht in Altersarmut abrutschen, fordern die Grünen, soziale Berufe besser zu bezahlen. Gleichzeitig soll die gesetzliche Rente mit Steuergeldern aufgebessert werden. Menschen, die ihr ganzes Leben Kinder erzogen, gearbeitet oder jemanden gepflegt haben, sollen eine Regelrente bekommen und kein Hartz IV. Auf diese Rente wollen die Grünen private Ersparnisse und betriebliche Vorsorge nicht anrechnen.
- Langfristig plant die Partei eine Bürgerversicherung, die auch Selbstständige, Abgeordnete und Mini-Jobber miteinschließt. Dies stößt jedoch seit Jahren auf erbitterten Widerstand in den konservativen Parteien und bei den Liberalen. Die SPD spricht sich dafür aus.
Die Linke:
- Die Linke will eine Pflegevollversicherung einführen. Damit soll der Staat für die gesamte Pflege eines kranken Menschen aufkommen – nicht nur für einen Teil, wie es bislang der Fall ist. Die Partei will so verhindern, dass sich Menschen mit einer kleinen Rente ihre Pflege nicht mehr leisten können.
- Kindererziehungszeiten sollen vollständig bei der Rente angerechnet werden, ebenso wie Pflegezeiten. Frauen sollen auf diese Weise vor Altersarmut geschützt werden.
AfD:
- Im Programm der AfD findet sich nur wenig zum Thema Pflege von Angehörigen. Die Partei fordert, dass "diese Familienarbeit" gleichwertig anerkannt werden müsse wie jede andere berufliche Tätigkeit. Die Situation von Frauen als hauptsächlich Pflegende thematisiert die AfD nicht.
Benjamin Salzmann, Sozialarbeiter und Vorstandsmitglied des Vereins "Wir pflegen": Ohne die Bereitschaft von Angehörigen zur Pflege und Betreuung wird das Pflegesystem in Deutschland zusammenbrechen. Dennoch sind die Reformen der Bundesregierung hilfreich, gerade für Betroffene mit einer Demenzerkrankung. Auch ihre Angehörigen profitieren davon, dass ihnen mehr Leistungen der Pflegeversicherung zustehen. In der Realität können viele das allerdings nicht in Anspruch nehmen, weil vielerorts die Pflegeanbieter überlastet sind.
Pflegebedürftige werden im Alltag unterstützt, aber den Betrag von 125 Euro pro Monat halten wir für ausbaufähig – bei einem Stundensatz von 25 Euro für professionelle Anbieter kommt man da nicht weit. Umso mehr erwarten wir, dass die Parteien sich für flächendeckende Beratung starkmachen und die Möglichkeiten zur Selbsthilfe unterstützen.
Häusliche Pflege macht finanziell schwache Familien noch ärmer. Viele Angehörige reduzieren ihren Job oder geben ihn ganz auf. Tausende werden als 'Arbeitssuchende' in ALG II eingestuft. Sie werden stigmatisiert, diskriminiert und sind überfordert, denn Pflege, zumindest in höheren Pflegegraden, ist ein Vollzeitjob. Um das zu lösen, wäre ein höheres Pflegegeld denkbar, das teilweise an die Pflegeperson weitergegeben wird und das bei Inanspruchnahme der Sachleistung nicht gekürzt werden dürfte. Man könnte auch die Beiträge zur Pflegeversicherung erhöhen: Denn 0,1% Beitragserhöhung erbringen Mehreinnahmen von jährlich 1,2 Milliarden Euro.
Die ganze Gesellschaft ist bei diesem Thema gefordert. Dazu passt es, dass Freunde und Nachbarn schon heute oftmals die häusliche Pflege übernehmen, wenn Kinder oder andere Verwandte weit weg wohnen. Es braucht eine solidarische Finanzierung. Wir begrüßen daher Ideen wie die der Linken zu einer Pflegevollversicherung.
Dass die SPD Angehörige für drei Monate freistellen und ihnen ein Pflegegeld zahlen will, ist ein guter Schritt. Klar, damit kann man nur schnell etwas organisieren, wenn der kranke Mensch zum Beispiel aus der Reha kommt. Aber das sollte man ausbauen.
Die Rentenansprüche für pflegende Angehörige sind gestiegen, aber nicht ausreichend. Zudem wird die Rentenanhebung wieder gekürzt, wenn man sich von Pflegediensten helfen lässt. Ein Schlag ins Gesicht! Dass Angehörige dafür bestraft werden, ist ein Schritt weg von der Wertschätzung für familiäre Pflege.
Beratungsangebote sind oft nicht auf die Vielzahl der Situationen eingestellt. Neben den körperlich Pflegebedürftigen gibt es eine wachsende Zahl von Demenzkranken. Es gibt aber auch minderjährige Kinder, die pflegebedürftig sind, das Thema sexuelle Orientierung spielt eine Rolle, und es gibt pflegebedürftige Geflüchtete.
Mehr Infos unter www.wir-pflegen.net