Ihr Engagement zeigt: Gemeinsam können Frauen die Welt verändern. Katarzyna Mol-Wolf mit Tina Brown im Interview.
Vor wenigen Wochen besuchte ich mit meiner Freundin und Geschäftspartnerin Anke auf der Suche nach einer sinnvollen Auszeit vom vollgestopften Alltag die internationale Konferenz "Women in the World" (WITW) in New York. Seit 2009 stehen dort einmal im Jahr außergewöhnliche Frauen im Fokus, die weltweit für Schlagzeilen sorgen, weil sie sich mit großem Engagement für ihre Sache einsetzen – als Politikerinnen, Aktivistinnen, Künstlerinnen, Unternehmerinnen, Feministinnen. Schon nach wenigen Minuten spürte ich, dass hier der richtige "Fluchtort" für mich war: als der Frauengipfel von Sonita Alizadeh eröffnet wurde, einer 19-jährigen Künstlerin aus Afghanistan, die von ihrer Mutter mit zehn Jahren als Braut verkauft werden sollte (wir haben Sie Ihnen in der Vergangenheit bereits in EMOTION vorgestellt). Sie fand in der Musik einen Weg, nicht nur ihr Leid in Worte zu fassen, sondern auch eine Bewegung gegen die Zwangsheirat zu starten. Bei WITW zeigte sie ihr Musikvideo "Brides for sale" (zu sehen auch auf YouTube) – brutal und berührend weckte es sofort mein Unrechtsbewusstsein, die Stressmomente meines eigenen Alltags waren prompt vergessen. Beeindruckt hat mich Sonita nach diesem Auftritt aber noch mehr durch ihre Haltung: "Ich bin nicht wütend auf meine Mutter. Sie liebte mich, aber sie kannte keinen anderen Weg. Sie war selbst mit zwölf Jahren verheiratet worden." Jetzt möchte sie anderen jungen Mädchen und Frauen in Afghanistan zeigen, dass es für sie andere Wege und Perspektiven gibt.
Keiner von uns kann alles tun, aber jede von uns kann etwas tun
Meryl StreepTweet
Sonita war die erste von mehr als neunzig Frauen, die bei der zweieinhalbtägigen Konferenz auftraten und unsere Aufmerksamkeit auf die vielen Herausforderungen richteten, die Frauen weltweit meistern müssen. Ihre Geschichten bestätigten mir, wie wichtig es ist, einen eigenen Beitrag für andere zu leisten. Nur gemeinsam werden wir es schaffen, etwas mehr Ruhe in die Welt zu bringen und der Gleichberechtigung von Frauen näher zu kommen (von der wir derzeit wieder weiter entfernt sind). Um es mit Meryl Streep zu sagen, die zu den Gründungsmitgliedern von WITW gehört: "Keiner von uns kann alles tun, aber jede von uns kann etwas tun."
Der erste Schritt ist, ein Ohr für die vielen beeindruckenden Frauen zu haben, die ihre Welt verändern möchten. Mit ihrer Kraft haben sie mich inspiriert, und ich freue mich, Ihnen einige davon in den nächsten Heften vorzustellen. Eine von ihnen ist Tina Brown. Die erfolgreiche Journalistin hat "Women in the World" ins Leben gerufen (nytimes.com/womenintheworld). Mit ihr sprach ich am Rande der Konferenz:
Welche Frau hat sie in diesem Jahr am meisten bewegt?
Schwer zu sagen, denn es waren so viele! Zum Beispiel Schwester Rosemary Nyirumbe, eine Nonne aus Uganda, die Mädchen rettet, die von der brutalen "Lord Resistance Army" entführt wurden. Sie ist unglaublich. Ebenso hat mich Liz Clegg beeindruckt, eine Feuerwehrfrau aus England, die kurzerhand in das Flüchtlingslager von Calais gefahren ist, um dort zu helfen. Sie ist dann neun Monate geblieben, als Ersatzmutter für die vielen Flüchtlingskinder, die ohne ihre Eltern in dem Auffanglager leben.
Sie haben selbst bewiesen, dass sie eine mutige Frau sind und sich erfolgreich in der männerdominierten US-Medienbranche durchgesetzt. Welchen ratschlag möchten sie anderen Frauen mitgeben?
Lasst die Männer nie sehen, wenn Ihr weint!
Was war bislang die größte Herausforderung in ihrem beruflichen Leben?
Als Chefredakteurin die Kehrtwende beim "New Yorker" zu schaffen. Das Magazin war kurz vor dem Sterben, und der Einsatz war sehr hoch.
Und der wichtigste Wendepunkt?
Als ich vom Verlag Condé Nast gebeten wurde, von London nach Amerika zu kommen, um die Chefredaktion der "Vanity Fair" zu übernehmen.
2009 haben sie den "Women in the world"-Kongress ins Leben gerufen. was hat sie dazu bewogen?
Meine Arbeit bei "Vital Voices Global Partnership" hat mich inspiriert. Diese NGO unterstützt Frauen in Schwellenländern; ich arbeite seit einigen Jahren im Beirat mit. Dort traf ich ständig auf diese außergewöhnlich mutigen, optimistischen Frauen, die enorme Risiken auf sich nehmen – und konnte nicht glauben, dass sie in den Medien einfach nicht stattfanden. Niemand nimmt die Außenpolitik durch die Augen von Frauen wahr. Niemand erzählt von den Frauen, die außergewöhnliche Dinge an Orten leisten, die in den Zeitungen meist übergangen werden. Deshalb habe ich es zu meiner Mission gemacht, diese Frauen in die Öffentlichkeit zu bringen, damit andere von ihnen und ihren Erfahrungen lernen können.
Nach welchen Kriterien wählen sie die Frauen und die Themen für WITW aus? Ich bin in erster Linie Erzählerin und Journalistin. Wir suchen also nach Frauen mit starken Geschichten, die ihre eigene Lebenswirklichkeit auf eindringliche Weise anderen Menschen näherbringen können.
Nach der Konferenz hatte ich den Kopf voll mit Themen, die Frauen auf der Welt bewegen und die unsere Unterstützung brauchen. Was sind ihrer Ansicht nach die derzeit wichtigsten?
Frauen können eine wichtige Rolle als Friedensstifter spielen, werden bei diesen Prozessen aber oft nicht involviert. Dabei haben sie großartige Fähigkeiten, ob es nun Diplomatie ist, Einsicht oder Fantasie. Im Kampf gegen den Terrorismus sind sie daher bedeutend.
Haben sich die Themen verändert, seit sie den Kongress zum ersten Mal veranstaltet haben?
Nicht alle. Der Terrorismus beherrscht nun die öffentliche Diskussion, aber die Frauenfeindlichkeit taucht weiterhin konstant an vielen Orten in verschiedener Gestalt auf – dieses Jahr sogar mit überraschender Heftigkeit in der aktuellen US-Präsidentschaftskampagne.
Mit welchen Problemen werden wir im 21. Jahrhundert konfrontiert?Durch das Abrutschen in den Fundamentalismus werden Frauen in manchen Ländern wieder stärker unterdrückt, in denen die Gesellschaft schon viel weiter war. Zum Beispiel in Afghanistan und im Irak, aber auch in der Türkei und überall, wo der IS erfolgreich voranschreitet.
Was ist ihre Vision für Frauen weltweit?
Ich sehe "Women in the World" als eine globale, wachsende Plattform mit einer starken digitalen Gemeinschaft, die unsere Datenbank mit Frauen füllt, die in der Lage sind, das Leben anderer zu verändern.
Tina Brown, 62, ist eine preisgekrönte Journalistin und Autorin. Als Chefredakteurin prägte die gebürtige Engländerin renommierte US-Magazine wie "Vanity Fair" und "The New Yorker" sowie "Tatler" in London. 2008 gründete sie das Webportal "The Daily Beast". Sie hat zwei Kinder und lebt in New York.