Vom Bergsteigen kann man viel lernen – fürs Berufsleben wie vor allem für sich selbst. Katarzyna Mol-Wolf trifft Extrembergsteigerin und Autorin Helga Hengge.
Helga Hengge lernte ich bei einer Veranstaltung meines Unternehmernetzwerks Entrepreneurs Organisation im März in Hamburg kennen – und war sogleich von ihrer Persönlichkeit und ihrer Geschichte als erste Deutsche auf dem Mount Everest begeistert. Wir trafen uns ein paar Wochen später im „Café Ella“ in München und sprachen über Mut und das Meistern von Herausforderungen.
Der perfekte Partner für eine Bergtour?
Ist jemand, der mit mir kompatibel ist. Der dort Stärken hat, wo ich Schwächen habe. Der einen größeren Rucksack tragen kann oder gut darin ist, Routen zu finden. Zudem ist essenziell, dass er offen und ehrlich ist, nicht versteckt, wenn es ihm nicht gut geht. Und so auf schwierigen Bergen nicht zur Gefahr wird.
Was kann man daraus für den normalen Job im Flachland ableiten?
Egal ob es um die Familie oder ein berufliches Team geht: Wirkt man zusammen, muss jeder Raum haben, das zu tun, was er gut kann, Herzblut mitbringen und die Passion, das gemeinsame Ziel zu verfolgen.
Mit 32 wollten sie den Mount Everest besteigen. Das war ein gewaltiges Ziel!
Ich glaube, das Wichtigste war – wie bei allen Herausforderungen im Leben – durchzuhalten, dranzubleiben und mich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen. Ich habe schon auch mal vor Enttäuschung geheult und getobt, aber dann bin ich aufgestanden und weiter aufgestiegen. Das braucht viel Selbstvertrauen, und dieses wächst, indem man sich kleine Ziele setzt, Schritt für Schritt Dinge ausprobiert, die größer sind, als man sie sich zuerst zugetraut hätte.
Ich glaube, das Wichtigste war – wie bei allen Herausforderungen im Leben – durchzuhalten, dranzubleiben und mich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen.
Extrembergsteigerin und Autorin Helga HenggeTweet
Dazu braucht man sicher Disziplin.
Eiserne Disziplin! Ich kann hart arbeiten, in der Modebranche musste ich das auch. Die Konkurrenz ist groß, da muss man bereit sein, diese Extrameile jeden Tag zu gehen. Es hilft aber, wenn man sein Herz daran hängen kann, das macht die Arbeit leichter und man entwickelt einen besseres Gefühl für den Sinn, warum man etwas tut.
Welche Erfahrungen vom Bergsteigen haben sie in den Alltag übernommen?
Es geht nicht darum, bis zum Gipfel aufzusteigen. Was zählt, ist, die Erfahrung des Wegs nach oben mitzunehmen. Wir versteifen uns oft so auf das Ziel, dabei sind die Erkenntnisse, die wir unterwegs gewinnen, viel wichtiger. Und noch essenzieller ist, den Mut zu haben, auch kurz vorm Gipfel umzukehren, also das Herzensprojekt loslassen zu können, um nicht sein Lebensglück zu riskieren.
Macht ihnen auch etwas Angst?
Am meisten, mich selbst zu überschätzen und andere so in Gefahr zu bringen. Denn je höher man steigt, umso gefährlicher wird es und desto mehr muss man sich selbst und seine Grenzen kennen.
Welches Lebensmotto treibt sie an?
Ich liebe diese Idee: Mut bedeutet, dass man sich traut und fähig ist, etwas zu wagen. Mut fliegt einem also nicht zu, sondern ich kann mich bewusst jeden Tag darin üben. Denn "sich trauen" hat mit Vertrauen zu tun, Vertrauen in die eigene Kraft, Vertrauen ins Team. Und das kann nur wachsen, wenn man sich immer wieder etwas traut – und sich auch traut, Fehler zu machen. Die Sherpas etwa haben dem Berg vertraut. Die meinten am Everest: "Die Sonne wird kommen, es wird windstill sein und dann werden wir zum Gipfel steigen." Und genauso kam es. Ich glaube, es hat etwas mit Respekt zu tun, mit Ehrfurcht und Glauben.
Kann Frau da noch von Mann lernen?
Ja, ich glaube, uns fehlt oft genau dieser Mut. Männer gehen los, obwohl sie sich noch nicht sicher sind, dass sie es wirklich schaffen, sagen sich aber: "Wird schon!" Vielleicht trauen sie sich eher, Fehler zu machen, und es ist wichtiger für sie, es gewagt zu haben. Das täte uns Frauen auch gut. Statt des deutschen "Hätte ich dir gleich sagen können, dass das in die Hose geht", etwas mehr von dem, was man ja auch aus der amerika- nischen Kultur kennt: "Ist nicht schlimm, du hast es wenigstens probiert."