Teil zwei unserer Interview-Serie zur Bundestagswahl: Diesmal mit Franziska Brantner, der Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grüne
Franziska Brantner und ich treffen uns in ihrem Büro im Bundestag. Sie ist charmant und dabei sehr konzentriert bei der Sache. Man spürt, sie möchte etwas bewegen.
Frau Brantner, Sie haben für die Vereinten Nationen gearbeitet, und u. a. die UN-Frauenrechtsorganisation beraten. Sie hatten einen Lehrauftrag für Internationale Politik, wann war Ihnen klar, dass Sie selbst in die Politik wollen?
Ich bin immer politisch gewesen. Ich habe immer für Frauenrechte gekämpft und mich seit Kindesbeinen als überzeugte Europäerin für Europa eingesetzt. Als ich dann in Brüssel gearbeitet habe wurde mir klar: Ich-muss-selbst-was-tun. Ich hatte das Gefühl: Die Politik ist der Ort, an dem ich jetzt am meisten bewirken kann.
Sie sind Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, und Sie haben inzwischen eine 7-jährige Tochter, die Sie allein erziehen. Wie bekommen Sie das hin?
Mir hilft mein soziales Netzwerk, und als Alleinerziehende brauche ich gute Organisation und harte Regeln. Ich bringe meine Tochter jeden Tag in die Kita, weil mir unsere Zeit morgens wichtig ist. Deshalb fallen bei mir frühe Termine aus, und ich mache nur zwei Abendtermine pro Woche. Man muss Nein sagen können, sonst würde ich meine Tochter gar nicht sehen.
Ist das für Politikerinnen schwerer als für Politiker?
Alle, die Verantwortung für Kinder tragen, haben es einen Tick schwerer. Von uns Abgeordneten wird häufig erwartet, dass wir überall präsent sind. Das geht nun mal mit Kindern nicht. Aber es ändert sich auch etwas. Wir haben gerade fraktionsübergreifend eine Initiative für Eltern in der Politik gegründet. Wir wollen das Selbstverständnis in der Politik ändern und unsere Arbeitsweise familienfreundlicher gestalten und nicht nur an andere Anforderungen zu stellen. Im Bundestag gibt es oft abends um halb zehn noch Abstimmungen. Andere Parlamente haben Zeitfenster: Abstimmungen finden tagsüber statt. Das ist also möglich.
Sie haben viel zum Thema Alleinerziehende geschrieben. Was sind die größten Herausforderungen für Sie selbst?
Dass man alle Verantwortung im Alltag alleine trägt, dass man die Aufgaben nicht teilen kann, niemandem mal schnell was übergeben kann. Die Belastung ist groß, manchmal stößt man an seine Grenzen, das ist der Moment, wo es zu zweit einfacher ist. Deswegen beeindruckt es mich immer wieder, wie viele Alleinerziehende diese Herausforderung täglich wieder neu meistern. Umso inakzeptabler, dass die Politik sie bis jetzt nicht besser unterstützt. Das muss sich ändern.
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Was wollen Sie ändern?
Alleinerziehend zu sein, ist objektiv das größte Armutsrisiko. Nach der Trennung rutschen viele in den Hartz-IV-Bezug, obwohl sie arbeiten. Ein Frauengehalt ist in Deutschland immer noch geringer und reicht oft nicht. Außerdem gibt es verheiratet eine steuerliche Entlastung, das Ehegattensplitting. Nach der Trennung fällt die weg obwohl die Ausgaben höher sind. Es wird nicht unterstützt, dass jemand Kinder hat, sondern dass jemand verheiratet ist. Das ist anachronistisch. Es muss darum gehen, die Kinder zu unterstützen. Der Steuerfreibetrag für Alleinerziehende hilft außerdem nur denjenigen, die genügend verdienen, um überhaupt so viel Steuern zu zahlen. Wir wollen, dass dies durch eine Steuergutschrift ergänzt wird. Der Freibetrag wird an Niedrigverdienerinnen ausgezahlt, damit auch diejenigen – die ja alle arbeiten, aber eben nicht so viel – nicht um ihre Existenz bangen müssen.
Ihr Artikel über Alleinerziehende in der ZEIT hat zum Teil sehr krasse Kommentare ausgelöst. Wie gehen Sie mit solchen Reaktionen um?
Es ist wichtig zu wissen, dass bis zu zwei Drittel dieser Kommentare von Robotern geschrieben werden. Die sind spezialisiert auf Worte wie ‚alleinerziehend’, sodass dann sofort ein negativer Kommentar kommt. Das ist eine ganz neue besorgniserregende Form der Meinungsmache.
Wer programmiert solche Social Bots?
Es gibt offenbar organisierte Gruppen gegen die Gleichberechtigung von Frauen. Das entspricht neuen reaktionären Bewegungen in unseren Gesellschaften. Trumps Pussygrabbing. Oder das Familienbild der AfD. Dazu gehören auch wieder Töne, die fordern, dass es finanziell schmerzhaft bleiben soll sich zu trennen. Für mich ist das ein starker Ansporn, noch viel härter zu kämpfen.
Unsere Aktion #wasfrauenfordern setzt da an, uns zuerst darüber klarzuwerden, was wir brauchen, um dann aktiv zu werden. Das ist das einzig Gute an Trump: Er hat uns aktiviert.
An Trump sieht man wie zerbrechlich unsere Errungenschaften sind. Auch in anderen Ländern gibt es Rückwärtstendenzen: In Russland wird Gewalt gegen Frauen wieder legalisiert, Erdogan hat ähnliches vor. Wir sehen daran: Alles hier in den letzten Jahrzehnten erkämpfte kann schnell wieder weg sein. Und wenn wir denjenigen den Raum lassen, die Emanzipation rückgängig machen wollen, müssen wir uns irgendwann fragen lassen: Warum habt ihr nichts dagegen getan?
Bezeichnen Sie sich als Feministin?
Ja, klar!
Solidarität unter Frauen – sind Politikerinnen da Vorbilder?
Es gibt sehr starke Frauen, die ganz entschieden Jüngere fördern. Natürlich machen das nicht alle, genauso, wie nicht alle Männer junge Männer unterstützen. Aber ich habe den Eindruck, dass wir aus der jüngeren Generation uns ganz gut unterhaken. Das Bewusstsein dafür ist vorhanden.
Laut der jüngsten IAB-Studie finden Frauen im Alter von 18 bis 60 im Schnitt, Mütter sollten erst drei Jahre und zwei Monate nach der Geburt wieder arbeiten, in Vollzeit sogar erst, wenn das Kind sieben Jahre alt ist. Wie erklären Sie sich, dass bei uns mehr als anderswo so viele selbstbewusste Frauen, die Augen davor schließen, wie wichtig Arbeit ist, um sich abzusichern?
Ich glaube, das ist tief in unserer Geschichte verwurzelt. Vom Mutterbild der Nazis über die deutsche Nachkriegsgeschichte, wo die Frau wieder zu Hause blieb und der Mann arbeiten ging. Bis heute gibt es das schlechte Gewissen der arbeitenden Mütter. Als meine Tochter in Brüssel in die Kita kam, hat mich der Kitaleiter zur Seite genommen: "Ich muss mit Ihnen sprechen, Sie sind Deutsche." Dann hat er gesagt: "Ich habe hier 20 Jahre Erfahrung mit über 20 Nationalitäten. Die einzigen Kinder, die hier am Anfang immer Probleme haben, sind die aus Deutschland und Österreich. Denn da haben die Mütter ein schlechtes Gewissen. Wenn Sie wollen, dass es Ihrer Tochter hier gut geht, dann müssen Sie Ihr schlechtes Gewissen abschalten – nicht für sich, sondern für Ihre Tochter."
Haben Sie es abschalten können?
So ganz gelingt einem das nie. Aber die Mahnung des Kitaleiters, mein schlechtes Gewissen für meine Tochter abzustellen, hat bei mir viel bewegt. Ich habe daran gearbeitet und gemerkt, wie entlastend das für alle, auch für meine Tochter, war.
Sie wollen Müttern den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern. Was planen Sie da?
Indem es gezielte Programme gibt und auch die Jobcenter besser darauf ausgerichtet sind, den Wiedereinstieg zu erleichtern. In manchen Berufen fühlt sich eine Abwesenheit über zwei bis drei Jahre an, als wäre man ein Jahrhundert weggewesen. Hier müssen wir bessere Fortbildungsmöglichkeiten anbieten; und bessere Kooperationsmöglichkeiten mit den Kitas, damit die Betreuungszeiten mit der Fortbildung zusammenpassen. Eine Vollzeitausbildung ist gerade für Alleinerziehende oft sehr hart. Hier müssen wir neue Formate finden, zum Beispiel eine Ausbildung in Teilzeit. Da gibt es schon Modellprojekte. So etwas muss generell gefördert werden und nicht gelegentlich ein Projekt und ein anderes da.
Um Ihre Forderungen umzusetzen, brauchen wir mehr Erzieher. Woher sollen die kommen?
Wir benötigen mehr Ausbildungsplätze. Auch die Universitäten müssen mehr Kinderpädagogikplätze anbieten. Und dann hängt viel von der Bezahlung ab, der Wertschätzung des Berufs und wie er gesellschaftlich angesehen wird. Außerdem möchten wir Quereinstiege ermöglichen, etwa von der Theaterpädagogik zur Kinderpädagogik. Und schon die Ausbildung muss bezahlt werden. Der Beruf muss so ausgestaltet sein, dass er lange ausgeübt werden kann. Aktuell ist es so, dass viele Erzieher irgendwann einfach nicht mehr können. Das hängt ganz stark mit dem Betreuungsschlüssel zusammen, für wie viele Kinder ein Betreuer verantwortlich ist. Hier brauchen wir bundesweit einen gesetzlichen Standard – wissenschaftlich ist der schon längst festgelegt: zum Beispiel für unter drei Jahre alte Kinder nur drei Kinder pro Erzieher oder Erzieherin.
Wie möchten Sie diese Veränderungen finanzieren?
Gute Bildung für Kinder gibt es nicht umsonst. Wir wissen aber auch, dass wenn man in die Bildung von Kindern investiert, dass sich das mehrfach auszahlt. Es sind Investitionen in unsere Zukunft. Dennoch braucht man natürlich das Geld. Deutschland ist ja gerade in der glücklichen Situation, dass es viele Überschüsse gibt, dass wir Reserven von 15 Milliarden Euro haben. Wenn wir das Geld gut investieren wollen, dann gehört das jetzt in die Bildung von Kindern. Außerdem macht das auch möglich, dass Mütter so arbeiten können, wie sie wollen. Sie müssen nicht – aber wenn sie es wollen, sollte es möglich sein. Es gibt spannende Studien von den Sozialverbänden dazu, die zeigen, wie das Geld aus diesen Investitionen wieder dem Staat zugutekommt. So entlastet jedes Neugeborene, dessen Entwicklungspfad zu Berufs- oder Hochschulabschluss führt, die öffentlichen Kassen um 173.000 Euro im Vergleich zu einem Neugeborenen, das im Lebensverlauf ohne Berufsabschluss bleibt. Das zeigt, dass sich Investitionen in diesem Bereich sehr schnell auszahlen.
Eine Studie dazu, wie der Bund die sozialen Teilhabe- und Verwirklichungschancen von Kindern aus Familien in prekären Lebenslagen wirksam verbessern kann, finden Sie hier.
Die Weichen für die Chancen im Leben werden früh gestellt. Was wollen Sie für die Kinder tun?
Wir sind in Deutschland das Schlusslicht, wenn es darum geht, Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Drei Viertel der Kinder aus Akademikerhaushalten gehen später zur Uni und nur ein Viertel aus Arbeiterhaushalten. Und zur Frage der Chancengleichheit gehört auch die Möglichkeit an Kultur und Sport teilzuhaben. Die Freundschaften, die Kinder darüber knüpfen, das Selbstbewusstsein, das sie dort gewinnen können, all das ist für die Entwicklung von Kindern zentral. Wir wollen das für alle Kinder ermöglichen durch eine Art Pass, mit dem sie die Einrichtungen kostenfrei nutzen können. Das aktuelle Bildungs- und Teilhabepaket, das die damalige Ministerin von der Leyen eingeführt hat, müssen Eltern Anträge dafür schreiben. Das erreicht deswegen viele Kinder nicht und es gehen über 100 Millionen in die Bürokratie. Wir meinen: Dieses Geld soll den Kindern zugutekommen!
Und was planen Sie für Familien?
Wir wollen die "KinderZeit Plus", das heißt das Elterngeld um zehn Monate auf 24 Monate verlängern. Acht Monate für die Mutter, acht für den Vater und acht, die sich beide teilen können. Und ich hoffe, der Pakt fürs Zusammenleben wird ins Wahlprogramm aufgenommen. Durch ihn wird neben der Ehe, die wir für alle öffnen wollen, noch eine Rechtsform geschaffen, die den Alltag vereinfacht. Familie ist dort, wo Menschen kontinuierlich Verantwortung füreinander übernehmen. Und das sollte der Staat unterstützen. Denn Solidarität zu fördern, hilft der Gesellschaft, wieder mehr zusammenzuwachsen. Die Gesellschaft baut darauf auf, dass Menschen füreinander da sind. Egal, ob in der Ehe, in der Alten-WG, oder Alleinerziehende, die auf einem Stockwerk wohnen und sich gegenseitig helfen. Dafür brauchen sie im Alltag auch eine Absicherung, wenn der einen zum Beispiel etwas zustößt und ins Krankenhaus muss und die andere sich dann um die Kinder kümmert. Das Ziel des Pakts fürs Zusammenleben ist ein guter rechtlicher Rahmen für diese neuen und modernen Formen des Zusammenlebens. Das will ich voranbringen, denn davon bin ich sehr überzeugt.
Interview-Serie zur Bundestagswahl
Lesen Sie ab dem 5. Juli das nächste Interview unserer Serie zur Bundesttagswahl 2017 mit Marcus Weinberg, dem familienpolitischen Sprecher der CDU.
Was frauen fordern
Wir wollen, dass am Morgen der Bundestagswahl eines sicher ist: Frauen sind gehört worden! Unsere Leben, unsere Wünsche, unsere Ideen sind nicht "Frauen, Familie und Gedöns", wie Gerhard Schröder einmal sagte, sondern entscheidend für die Zukunft dieses Landes. Deshalb starten wir die Aktion: #wasfrauenfordern.
In einer großen, bundesweiten, altersübergreifenden Umfrage werden wir nach Ihren Forderungen fragen. Konkret und direkt. Denn das ist der EMOTION-Weg: nichts vorsetzen, sondern hinhören. Klicken sie auf wasfrauenfordern.de und werden sie Teil der größten Aktion, die EMOTION je umgesetzt hat. Ihre Meinung ist uns wichtig! Wir sind viele! Begleitet wird unsere Aktion von einer Interviewreihe mit Politikerinnen.
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