Hast du Älterwerden bis 18 toll gefunden – und jetzt könnte das gern aufhören? Dann lies mal, wieso Greta Silver mit 70 keine Minute jünger sein will – und freu dich auf jeden neuen Tag.
Es gibt Dinge, die kann man nicht vorhersehen. Etwa als Hausfrau und Mutter mit Ende vierzig die Gelegenheit zu einem Job zu bekommen, obwohl man davon eigentlich keine Ahnung hat, außer der: Das könnte spannend werden. Oder mit siebzig einen Bestseller zu schreiben. Was Greta Silver bei beidem geholfen hat, ist eine gewisse Nonchalance. Ungezwungen und unbekümmert etwas Neues auszuprobieren, Chancen willkommen zu heißen – denn, hey, was soll schon passieren?
Als wir uns treffen, trägt sie eine schwarze Biker-Jacke, rotes T-Shirt, Jeans und Chucks. Es passt auf eine selbstverständliche Art zu ihr, aber sie hat sich das nicht immer getraut. "Ich war mal eine Zeit lang ein bisschen matronig", sagt sie. Heute hat sie die Idee von einem Dresscode fürs Alter abgeschüttelt und trägt, wozu sie Lust hat. Und sie tut, wozu sie Lust hat.
Bloggerin und YouTuberin mit über 60 Jahren
Sie bloggt, hat mit 60 die Möglichkeit ergriffen zu modeln ("obwohl ich mich auf Fotos früher immer ganz seltsam fand") und mit 66 ihren eigenen YouTube-Kanal "Greta Silver – zu jung fürs Alter" gestartet, den heute mehr als 12 000 Frauen und Männer abonniert haben (greta-silver.de). Die weißen Haare hat sie – keine Angst vor Falten! – aus dem Gesicht frisiert, sie ist zart geschminkt und wir sind gleich beim Du, wie sie es von ihrer YouTube-Community gelernt hat.
Bei ihren ersten Beiträgen ist sie zunächst förmlicher gewesen, und das Übersprudelnde, das sie verströmt, wenn man ihr begegnet, wirkt in ihren YouTube-Videos auch heute noch gezähmt. Doch ihr Anliegen ist von Anfang an klar: Mut machen, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. In jedem Alter – und gerade im Alter!
Als eine Frau von Anfang 60 ihr mal erzählt habe, dass sie jetzt eigentlich nichts groß anderes mehr erwarte als das Ende, das sie gerade bei ihrer Mutter mit 87 erlebt hatte, war Greta Silver fassungslos. "Die Zeit von 60 bis 87 ist genauso lang wie die von 33 bis 60 – wir können diese Jahre doch nicht einfach absitzen", sagt sie, entschieden, dem Bild vom grauen Alter und dem weitverbreiteten Grauen davor etwas entgegenzusetzen.
Die Zeit von 60 bis 87 ist genauso lang wie die von 33 bis 60 - wir können diese Jahre doch nicht einfach absitzen.
Greta Silver, InfluencerinTweet
"Darin liegt doch eine große Freiheit. Endlich haben wir die Zeit für uns, nach der wir uns immer gesehnt haben", sagt die dreifache Mutter und dreifache Großmutter, "wir haben nicht mehr den Druck, allem gerecht werden zu müssen, der Familie, dem Partner, den Eltern, dem Job. Und wir haben eine Schatzkiste an Erfahrung, wie wir mit Situationen umgehen können, da macht uns so leicht keiner was vor!"
Glücklichsein ist keine Frage des Alters
Seit ihr Buch "Wie Brausepulver auf der Zunge" Woche für Woche die Spiegel-Bestseller-Liste nach oben klettert, wirbt sie als Rentnerin, die "nichts mehr muss, aber noch jede Menge will", in Talk-Shows von Hamburg bis Köln für einen neuen Blick auf diese Zeit. Und wenn sie dabei ein bisschen aufdreht, liegt das auch daran, weil sie andere mitreißen will.
Sie ist überzeugt, glücklich sein ist nicht nur alterslos, sondern vor allem eine Frage der Entscheidung. "Ich habe viel von meiner Community gelernt", sagt sie, "es beeindruckt mich immer wieder, wenn manche erzählen, wie sie trotz Krankheit Glück finden." In ihrem Buch und auf YouTube hinterfragt sie so freundlich wie schonungslos Jammern, Opferrollen und erstarrte Gewohnheiten. Ihr Video "Warum Loslassen die Seele befreit" wurde über 42.000-mal geklickt.
Natürlich weiß sie, dass sie auch Glück hat: Sie ist gesund, finanziell unabhängig, ihre Kinder leben wie sie in Hamburg und das Verhältnis ist so gut, dass sich Weihnachten alle drei samt Anhang bei ihr im Haus einquartieren, genau wie ihr Exmann, mit dem sie nach der Trennung nach 37 gemeinsamen Jahren eine tiefe Freundschaft verbinde.
Der Gedanke "Ich trage die Verantwortung für mein Glück selbst" hat sie erst erschreckt. Doch sie begann zu ahnen: "Das bedeutet Freiheit."
Greta Silver, InfluencerinTweet
Aber auch jenseits des Ehe-Aus' ist in ihrem Leben nicht alles nur glatt gelaufen, wie sie in ihrem Buch erzählt. Halb Memoir, halb Ratgeber teilt sie wichtige Erlebnisse und Aha-Momente.
Der Tod ihres Vater formte Greta Silver zu einer selbstbewussten jungen Frau
Greta war nicht von klein auf extrovertiert. Ihr Vater nahm sein schüchternes Kind mal mit in ein kleines Kaufhaus, wo sie sich ein Fahrrad mit allem Drum und Dran aussuchen durfte, einzige Bedingung: Sie musste es der Verkäuferin selbst sagen. "Ich bin damals mit hängenden Schultern und ohne Rad abgezogen." Der geliebte Vater, der ihr dann doch mit allerlei Tricks aus der Schüchternheit heraushalf und der ihr alles zugetraut hat, starb, als sie 19 war. Und ihre starke Mutter war plötzlich unerwartet abhängig von Greta, der jüngsten Tochter.
"Schlagartig war meine heile Welt kaputt", erinnert sie sich. Die Trauer habe sie lange so tief in sich vergraben, dass sie selbst nicht mehr herankam. "Wie ein wabernder Nebel umgab mich das Gefühl: Du wirst nie mehr ganz glücklich sein", erzählt sie. Acht Jahre später saß sie in einer Aufnahmeprüfung, wurde gefragt, was sie am positivsten geprägt habe? "Ich dachte spontan: Der Tod meines Vaters – und habe mich dann über mich selbst erschreckt. Der Gedanke war wie ein Sakrileg."
Doch ihr wurde klar, wie sehr sie das einschneidende Erlebnis zu der unabhängigen jungen Frau gemacht hatte, die sie geworden war. "Ich konnte plötzlich den Tod meines Vaters als etwas annehmen, was zu meinem Leben dazugehört, und meinen Blick weiten", sagt sie. Natürlich hätte sie niemals das Schlimme für diese Erkenntnis gewählt. Aber heute hilft ihr das, "viel früher bewusst auf die Suche nach dem Positiven zu gehen".
Was es wirklich bedeutet, glücklich zu sein
Die nächste große Herausforderung: das lange Warten auf ein Kind. Nach zwei Jahren, da war sie dreißig, entschlossen sie und ihr Mann sich zur Adoption und kaum waren alle Formalitäten erledigt, war sie schwanger. Das Glück währte nur kurz. Die Fehlgeburt stürzte sie in ein Loch. Und schließlich führte sie dazu, sich grundlegende Fragen zu stellen: "Brauche ich wirklich Kinder für mein Glück? Was bedeutet Glück für mich? Woher kommt es, und wer ist dafür verantwortlich?"
Greta Silver fällt es leichter mit Unglück umzugehen, wenn sie einen Sinn darin finden kann. Im Buch erzählt sie, wie sie dadurch erkannte, dass sie mit den Menschen um sich herum, bis hin zu ihrem ungeborenen Kind "Geheimverträge" geschlossen hatte: "Ich hatte ihnen die Verantwortung für mein Glück übertragen und auch die Schuld für mein Unglück zugewiesen." Es war eine schmerzhafte Phase, bis in ihrem Innersten ankam: "Ich selbst trage die Verantwortung für mein Glück." Der Gedanke hat sie zunächst erschreckt. Doch sie begann zu ahnen: Das bedeutet Freiheit.
"Die Gewissheit, das Leben geht weiter, nur anders und da wird auch wieder Fröhlichkeit sein – das ist ein Geschenk des Alterns", sagt sie. "Die Greta mit 30 hätte weniger gelitten, wenn sie das gewusst hätte. Aber ich bezweifle, dass sie irgendetwas hätte anders machen können." Pause. "Ich glaube, manche Dinge muss man erleben und schmerzhaft erfahren." Heute fragt sie nicht mehr: Warum passiert mir das? "Ich nehme das jetzt als Anlass zum Innehalten."
Nur wir selbst können entscheiden, was für ein Leben wir führen wollen
Sie hat dann drei gesunde Kinder bekommen. Als Mutter wollte sie anfangs alles machen: Kinder, Hobbys, Kultur, Freunde. "Da war ich dann mit Ersatzflaschen, Keksen und ich weiß nicht was auf dem Weg ins Museum und habe mir einen Stress hoch zehn gemacht." Sie schüttelt den Kopf über sich. "Mir ist dann klar geworden, man darf Dinge hintereinander machen." Jungen Frauen wünscht sie, sich zu trauen, entspannter zu sein, auch was eine berufliche Auszeit angeht. Bei ihr waren es 14 Jahre. "Ich habe mit der Schreibmaschine aufgehört und bin mit dem Computer wieder eingestiegen."
Zufällig bekam sie die Chance, ein Großraumbüro neu zu gestalten. Nach drei Wochen Computerkurs zog sie mit ihren frisch erworbenen Kenntnissen los, fotografierte alles, was sie für das Projekt brauchte, trug es in eine Excel-Tabelle ein, kalkulierte, besprach, setzte um – und hatte Spaß. Es folgte der Auftrag eine Hausbootflotte einzurichten, Ferienhäuser und dann ein Vier-Sterne-Hotel. Dazu übernahm sie PR-Aufgaben für die Projekte. Sie warf sich in diese unerwartete Karriere so hinein wie vorher ins Familienleben und ihre Begeisterung trug sie durch Phasen, in denen sie kaum mehr als vier Stunden Schlaf die Nacht bekam.
Lässigkeit bedeutet bei ihr nicht, alles im Handumdrehen hinzubekommen, sondern offen zu sein für Neues und das, was sie tut, als ihre eigene Wahl zu begreifen. "Und ich kann ganz gut sagen, so, wie es ist, ist es gut, und – auch wenn es ein bisschen überheblich ist – der Rest ist mir schnurzpiepegal."
Ihr Aufbruch wurde dadurch getrübt, dass ihr Mann seinen Job verlor und sie das Gefühl hatte, dass er begann sich aus dem Leben zurückzuziehen. Sie waren nett miteinander, aber einander nicht mehr nah. Sie ist noch 23 Jahre geblieben. "Was hätte ich gewonnen, wenn ich gegangen wäre?", sagt sie, "es stand ja niemand an der Ecke. Ich habe mich für mein Ideal vom Familienleben entschieden." Sie ist überzeugt, dass niemand bewusst selbstlos ist.
Keine Lust auf Opferrolle
Eine neue Liebe? Ach, die Männer ihres Alters guckten doch eher nach jüngeren Frauen... Ihr selbst sei egal, ob jemand dick sei, klein oder keine Haare habe, an Äußerlichkeiten sei sie nicht gebunden. Auf Augenhöhe – das müsse sein. Aber sie will nicht suchen und sich "wie das Schwein mit Apfel im Maul auf dem Silbertablett" vorkommen. Dann sagt sie: "Ich frage mich, ob ich seit meiner Ehe die Gedankenschleife in mir habe: Wenn ich Nähe nicht bekommen kann, dann brauche ich das auch gar nicht – und will das auch nicht. Der Gedanke hat mich erschreckt." Da ist sie wieder, die Greta, die keine Lust auf Opferrolle hat. Und sie erzählt von einer Begegnung im Museum, wo ein Mann mit ihr einen Kaffee trinken wollte. "Ich bin geradezu vor ihm weggelaufen." Sie ist über sich selbst amüsiert. Als sie einer Freundin davon erzählte, habe die gesagt: "Das nächste Mal erklärst du den zur Frau. Denn mit jeder Frau wärst du Kaffee trinken gegangen und hättest gesagt: Wow, was für eine interessante Begegnung." Lässige Idee. Und wer wäre besser darin, so eine Chance zu ergreifen, als Greta Silver.