Regisseurin Anika Decker, 43, leitet mit ihrem Bruder eine Filmproduktionsfirma in Berlin. Sie ist Markenbotschafterin für Triumph.
Seit Anika Decker 2007 mit "Keinohrhasen" der Durchbruch als Drehbuchautorin gelang, erschafft sie fürs Kino immer wieder neue, mutige Frauenfiguren. Sie selbst setzt sich für mehr Gerechtigkeit ein – im Filmgeschäft und im wirklichen Leben.
EMOTION: Frau Decker, Sie haben in "Keinohrhasen" eine Frau mit Hornbrille und Schlabberpulli zur Heldin gemacht und seitdem viele unkonventionelle Frauenrollen geschrieben. Das gefällt uns gut. Aber muss es nicht noch weiter gehen?
Anika Decker: Unbedingt! Die Welt ist bunt und ich langweile mich, wenn ich immer nur weiße, heterosexuelle, dünne Menschen auf der Leinwand sehe. Das ist nur ein kleiner Teil der Menschheit und ich finde, dass man da mehr zeigen muss. Ich schreibe für die breite Masse und fühle mich verantwortlich. Mit jedem Film möchte ich ein wenig weiter gehen. Aber das ist nicht leicht.
Warum nicht?
Ich habe oft zu einem Stoff gehört: "Das ist nicht kommerziell genug" und deshalb keine Finanzierung bekommen. Bei "Keinohrhasen" haben damals alle zu Til Schweiger und mir gesagt, eine Öko-Brillenschlange als Heldin funktioniert nicht. Und über meinen Film "Traumfrauen" hieß es, ein Film mit ausschließlich weiblichen Hauptrollen macht keine Kasse. Aber beides hat funktioniert. Man sagt den Frauen in meiner Familie eine gewisse Bockigkeit nach. Vielleicht habe ich mich deshalb hier und da durchsetzen können.
Viele Autoren müssen hart für ihre Ideen kämpfen. Ist dieser Kampf für Autorinnen noch härter?
Als junge, blonde Frau im Filmgeschäft muss man sich tatsächlich dauernd mit dummen Sprüchen auseinandersetzen. Man wird anders und auch weniger gesehen. Aber faktisch mangelt es grundsätzlich und geschlechterübergreifend an Respekt für Autoren. Die Leute stellen sich die Filmwelt so glamourös vor. In Wirklichkeit ist das sehr viel Arbeit und sehr viel Zeit für wenig Geld. Weil es aber so viele Autoren und so wenige Jobs gibt, ist es manchmal auch ein ziemlich rechtsfreier Raum. Das macht den Missbrauch von Macht möglich.
Die Leute stellen sich die Filmwelt so glamourös vor. In Wirklichkeit ist das sehr viel Arbeit und sehr viel Zeit für wenig Geld.
Anika Decker, RegisseurinTweet
Engagieren Sie sich deshalb für "Kontrakt 18", einer Initiative vom Sommer dieses Jahres, die mehr Rechte für Drehbuchautoren und -autorinnen fordert?
Ja. Als Anfängerin behandelte man mich ohne Respekt – so wie andere Autoren auch. Es kommt vor, dass man ersetzt wird, ohne davon zu erfahren. Würde man es wagen, nachts die Kollektion eines Designers umzuschneidern? Wohl kaum. Auch bei uns muss es klare Grenzen geben.
Nutzen Sie Ihre Popularität eigentlich auch für andere Projekte?
Ich bin eine wirklich schlechte Organisatorin. Aber ich hänge mich gern an andere ran, die sich engagieren. Wie etwa an Maria Furtwängler und ihre Malisa-Stiftung, die sich unter anderem für Gendergerechtigkeit und Gleichberechtigung in den Medien einsetzt. In Kindersendungen sind viermal so viele Jungs wie Mädchen zu sehen. Diese Bilder haben unheimlich viel Einfluss.
Auch Sprache hat viel Macht. Wie schwierig ist es, beim Schreiben nicht versehentlich in gängige Vorurteile abzurutschen?
Ich überprüfe mich ständig und überlege zweimal, ob ich eine Figur etwas Rassistisches, Sexistisches oder Homophobes sagen lasse. Und falls ja, muss ich mich fragen: Spricht jemand etwas aus, um die Sache zum Thema zu machen? Und wie wird dann gekontert? Solche Dialoge können interessant sein. Je älter ich werde, desto bewusster bin ich mir dessen. Vielleicht lässt man sich als 23-Jährige von einem Produzenten zu mehr Klischees überreden als später im Leben, wenn man mehr Erfahrung hat und sich wehren kann.
Haben Sie manchmal das Gefühl, etwas Ernsteres machen zu müssen?
Nein, warum? Ich spreche ja ernste Themen an: Sich nach einer Trennung wieder selbst zu finden ist ein ernstes Thema. Einen Chef zu haben, gegen den man nicht ankommt, ist ein ernstes Thema. Schwanger zu sein und sich zu fragen, ob man das Kind bekommen soll – ernstes Thema. Ich glaube, eine Komödie funktioniert gar nicht ohne ein ernstes Thema als Basis.
Was kann Humor denn besonders gut?
Humor ist eine schöne Verpackung: Problemen begegnet man auf diese Weise viel lieber. Ich bin durch und durch Komödie. Mir tut es gut zu lachen, besonders wenn ich etwas bewältigen muss. Und es ist der größte Erfolg für mich, wenn jemand fröhlicher aus einem meiner Filme rauskommt, als er reingegangen ist.
Sie haben mal gesagt: "Ich tue etwas Sinnvolles, weil ich Leuten mit meiner Arbeit Freude mache. Aber ich rette keine Leben." Sind Ihre Drehbücher mit den unterschiedlichsten Frauen so etwas wie Ihr Dienst an der Gesellschaft?
Ja, vielleicht. Aber ehrlich gesagt versuche ich einfach, meinen Job so gut wie möglich zu machen. Punkt. Allerdings glaube ich, jede Lehrerin hat auf die Gesellschaft mehr Einfluss als ich. Ich hatte zum Beispiel zwei supertolle feministische Lehrerinnen, die mir irre viel beigebracht und mich stark beeinflusst haben. Deswegen bin ich überzeugt davon: Jeder kann etwas tun.