Urinstinkte stecken tief in uns und können uns in die Quere kommen. Das gilt auch für die Geldanlage. Welche Fehler uns auf diese Weise unterlaufen können, wie wir Fallen umgehen und besser rational handeln, erklärt uns die Finanzexpertin Chantal Henig.
finanzielle: Manchmal stehen wir uns bei langfristigen Entscheidungen selbst im Weg. Wie kommt das?
Chantal Henig: Wir alle haben Verhaltensmuster verinnerlicht, denen wir seit Jahrtausenden unser Überleben verdanken oder die uns helfen, die Welt zu verstehen. Diese Instinkte helfen uns, vor allem schnell zu entscheiden. Zum Beispiel der Fluchtinstinkt: Wenn unsere Vorfahren in den Zeiten der Jäger und Sammler einem wilden Tier begegneten, konnten sie nicht lange überlegen, wie sie nun mit der Situation umgehen sollten. Sie nahmen die Beine in die Hand.
Und auch in anderen Situationen haben wir Denkmuster entwickelt, die uns helfen, schnell Entscheidungen zu treffen und uns nicht von einer riesigen Menge an Informationen erdrücken zu lassen. Zum Beispiel nehmen wir Informationen, die unsere Sichtweise bestätigen, stärker wahr als solche, die uns widersprechen. Denn es wäre unglaublich anstrengend, unsere Meinungen ständig zu hinterfragen. Aber solche Instinkte haben auch einen Haken.
Wie sieht das bei Entscheidungen rund um Finanzen und Geldanlage aus?
Beim Thema Geld ist eine gute Entscheidung oft eine, die überlegt ist, viele Informationen einbezieht und langfristig orientiert ist. Dafür müssen wir viel Kraft aufwenden, um unseren Instinkten zu trotzen. Zum Beispiel ergreifen viele Anleger:innen die Flucht, wenn es an den Märkten mal turbulent wird. Doch das kann bares Geld kosten – nämlich wenn man aussteigt, nachdem die Märkte längst gefallen sind, oder den richtigen Zeitpunkt zum Wiedereinstieg verpasst. Anleger:innen fahren entgegen ihrer Urinstinkte langfristig oft besser damit, einfach investiert zu bleiben und Turbulenzen auszusitzen.
Was kann ich tun, um mich gegen meine Urinstinkte zur Wehr zu setzen und rational zu handeln?
Grundsätzlich hilft es immer sich klarzumachen, auf welcher Basis man eine Entscheidung trifft. Über die eigene finanzielle Zukunft sollte man mit klarem, kühlem Kopf entscheiden, also nicht, wenn Gefühle hochkochen. Viele überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten als Anleger:in und werten einen Glücksgriff am Aktienmarkt als einen Beweis für das eigene Können. Das führt manchmal dazu, dass sie immer größere Risiken eingehen, weil sie sich zu sicher fühlen.
Chantal Henig ist zertifizierte ETF-Spezialistin und unterstützt beim Finanzdienstleister Vanguard Anleger:innen dabei, mit einer kostengünstigen und breit gestreuten Geldanlage ihre finanzielle Zukunft zu planen.
Bescheidenheit hilft also auch. Man sollte möglichst gut informiert sein und bereit sein, die eigenen Annahmen infrage zu stellen. Ich gebe zu, es ist anstrengend, so zu denken und handeln. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass das mit etwas Übung immer leichter wird.
Gibt es auch nützliche Urinstinkte?
Man sollte sich bei der Geldanlage vielleicht nicht immer von seinem Bauchgefühl leiten lassen, aber darauf achten lohnt sich schon. Wenn die Möglichkeit von Verlusten oder eine schwierige Marktphase dir große Sorgen machen, ist es zwar nicht ratsam, deshalb überstürzt zu handeln. Aber versuche zu verstehen, warum du dich so fühlt. Fehlt dir vielleicht das Wissen, um aktuelle Marktereignisse richtig einzuordnen? Oder machst du dir bei Marktturbulenzen Sorgen, weil dir ein Notpolster für kurzfristige Ausgaben fehlt? Dieses Verständnis kann einem Finanzplan nur guttun.
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