Wir schauen bei Frauen vorbei, die Deutschland zu ihrer Heimat gemacht haben. Für ihre Freiheit musste Türkin Ayse Auth erst kämpfen. Vielleicht hat sie ihrer Münchner Wohnung deshalb so viel Leichtigkeit verliehen.
Die Tür zu Ayse Auths Dachwohnung über der Münchner Innenstadt geht auf und fröhliche türkische Popmusik schallt uns entgegen. "Ich hoffe, das stört euch nicht", sagt die blonde Frau, die vor uns steht, und bietet uns gleich das Du an. "Aber ich liebe den Sänger Tarkan! Übermorgen gehe ich zu seinem Konzert, bis dahin muss ich noch die Texte von dem neuen Album auswendig lernen!"
Mit einer einladenden Geste dreht sich Ayse auf ihren hohen Schuhen um und geht vor uns in die Küche. Billie, die französische Bulldogge, springt aufgeregt um ihre Beine. "Als ich die Wohnung zum ersten Mal sah, wusste ich sofort, die ist es", erzählt die 44-Jährige, während sie für uns Kaffee kocht. Hinter ihr an der Wand hängen gerahmte Fotos von Freunden, Familienmitgliedern – und Kundinnen ihresFriseursalons, zu denen auch Medienstars wie Patricia Riekel und Petra Gerster gehören.
"Was ich besonders mag", fährt die Hausherrin fort, "sind die Dachschrägen. Hier oben fühle ich mich geborgen – und gleichzeitig frei wie ein Vogel. Ich kann aus allen Fenstern in den Himmel blicken und meinen Gedanken freien Lauf lassen, wie damals als Kind." Damals als Kind lebte Ayse mit ihrer Zwillingsschwester Hatice bei der Großmutter in der Türkei. In einem Haus aus gestampftem Lehm. Die Mädchen nannten es "das Erdhaus". Unter dem weit geöffneten Zimmerfenster träumte sich Ayse in eine andere Welt: nach Deutschland, wo die Eltern Gastarbeiter waren. Jeden Sommer kamen sie mit Spielzeug und Kleidern bepackt zu Besuch. Endlich, mit 16, durfte Ayse zusammen mit Hatice ebenfalls nach Darmstadt. Im Eiltempo lernte sie Deutsch, machte den Hauptschulabschluss und absolvierte eine Friseurlehre.
Zum Nachwohnen
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Fundstücke nicht nur vom Flohmarkt
#image6260left "Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich ein kleines bisschen frei", sagt sie. Doch dieses Gefühl war nur von kurzer Dauer. Denn der Vater verheiratete sie – ohne ihre Einwilligung. Als Ayses Sohn Cenk vier Jahre alt war, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und verließ den Ehemann. Von dieser Entscheidung und vielen anderen schreibt sie in ihrem Buch "Freiheit schmeckt nach Tränen und Champagner" (Integral). Im Vorwort heißt es: „Mein Leben kennt keine geraden Linien. Es gab tiefe Brüche, es verlief in schwindelerregenden Kurven, und es überraschte mich mit plötzlichen Wendungen."
24 Jahre war sie alt, als sie endlich ihre erste eigene Wohnung in Deutschland bezog: "Ich war fest entschlossen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen", erinnert sie sich. Zur Wohnungseinweihung schenkte ihr die geliebte Zwillingsschwester eine Kommode, die sie seitdem durch alle Wohnungen begleitet hat – und nun in dem Münchner Apartment neben dem Himmelbett steht.
Die Power Twins
Auf der anderen Seite des Betts sieht man einen Bücherturm, der von Ayses Leidenschaft für die Literatur erzählt: "Ich lese sehr viel, interessiere mich für sinnliche Bücher, etwa von Paulo Coelho. Immer noch lerne ich Ausdrücke auf Deutsch dazu, unterstreiche mir Sätze, die mir besonders gut gefallen. Die Bücher, die ich gelesen habe, kann ich niemandem leihen oder weitergeben, denn die sind immer voller Notizen und Anmerkungen."#image6261left
Bevor Ayse hier in ihrem Nest mit Himmelsblick landete, führte ihr Weg sie von Darmstadt über Hannover nach Frankfurt, wo sie mit ihrer Zwillingsschwester 1992 den ersten „Haarwerk“-Salon eröffnete. Die Münchner Filiale gründete sie vor fünf Jahren. Die beiden schönen und erfolgreichen Schwestern werden in den Medien gern als „Power Twins“ bezeichnet – und von ihrer Familie lachend als "echte deutsche Karrierefrauen".
Gewürze und Rezepte. Buddhas und Elefantenfiguren
Wovon Ayse heute noch träumt, wenn sie von ihrer Maisonette-Wohnung über die Dächer der Stadt blickt? "Zum Beispiel davon, dass mein Sohn Cenk mit mir eines Tages eine ‚Haarwerk‘-Dependance in New York eröffnet." Und davon, die Welt zu bereisen. Gerade ist sie mit ihrem Lebensgefährten aus Thailand zurückgekommen: "Von dort habe ich Gewürze und Rezepte mitgebracht." Davon inspiriert hat sie die Wohnung mit Buddhas und Elefantenfiguren geschmückt. "Deshalb stehen auch gerade überall Orchideen. Früher mochte ich diese Blumen überhaupt nicht. Aber seit unserem wunderbaren Urlaub finde ich sie super", schwärmt sie.
Ayse Auth ist nicht hin- und hergerissen zwischen zwei Welten. Dafür ist ihr Leben viel zu facettenreich. "Ich fühle mich weder deutsch noch türkisch", sagt sie. "Sondern als Kosmopolitin mit deutschem Pass." Und wenn man jetzt in ihre leuchtenden Augen schaut, ahnt man: das mit New York klappt bestimmt auch noch!