Nichts inspiriert unsere Chefredakteurin so sehr wie andere Menschen. Jeden Monat erzählt sie hier von ihren Treffen. Diesmal sprach sie mit Künstlerin und Grafikerin Rosa Loy.
Smylla, der Mops von Rosa Loy, begrüßt mich aufgeregt als ich die Künstlerin in ihrem Atelier in der alten Spinnerei in Leipzig treffe. Sie hat etwas Verschmitztes und strahlt und ist noch ganz inspiriert von einem Abend unter Frauen im Frankfurter Städel Museum. Wir sprechen über Weiblichkeit, Stärke und Rollenbilder.
In Ihren Werken setzen Sie sich sehr stark mit dem Thema Frau auseinander. Wie definieren Sie Weiblichkeit?
Ich bin in der DDR aufgewachsen. Da hat man versucht, uns beizubringen, Männer und Frauen seien gleich. Aber das war nur Theorie, denn wir wurden immer ungleich behandelt. Gerade erleben wir, dass sich vieles in der Welt grundlegend wandelt, wir haben so viele Probleme zu lösen, dass wir neue Strategien benötigen. Und dazu brauchen wir Frauen.
Was bringen Frauen Besonderes mit?
Wenn ich an den gestrigen, lustvollen Abend mit 300 Frauen denke, dann spüre ich wieder diese großartige Energie. Da sprühte es, jede fand sich wunderschön, war tolerant, hatte Spaß am Austausch. Diese feminine Energie, dieses "Weiblichsein" und die Möglichkeiten, die es bietet – damit wollte ich mich immer beschäftigen. Ich wollte nie, wie Käthe Kollwitz, die arme Mutter oder die gepeinigte Frau zeigen, sondern die Stärken und die Schönheit von Frauen.
Welche Stärken sehen Sie?
Empathie. Frauen können auf etwas verzichten. Sie können eher einen Misserfolg hinnehmen, besonders, wenn es ein Vorteil für die Allgemeinheit ist. Sie gehen eher Kompromisse ein, sogar wenn sie was draufzahlen müssen. Sie sind hervorragende Manager, kümmern sich um die Familie, arbeiten und gehen ihren Hobbys nach.
Sie machen auch in Ihren Werken auf die Stärken der Frauen aufmerksam...
Ja, denn wenn ich mich mit Weiblichkeit beschäftige oder schöne Frauen male, oder etwas über tolle Frauen lese, dann widme ich meine ganze Aufmerksamkeit, Energie und meine Zeit diesem weiblichen Aspekt. Und damit gebe ich ihm die Möglichkeit schon in meinem Umfeld zu wachsen. Und wenn ich das mache und vielleicht auch noch ein paar weitere Menschen, dann kann eine Weiblichkeit erstarken und sich verbreiten.
Denn wenn wir merken, dass unser Kind schwach entwickelte Eigenschaften hat, fördern wir diese, denn sie erstarken, wenn ich sie unterstütze. Und so habe ich auch die Möglichkeit Frauen zu unterstützen, wenn ich mich mit ihnen beschäftige.
Ist Solidarität auch eine Stärke von uns Frauen?
Ich glaube wir wollen gerne solidarischer sein und sich auch ein Netzwerk aufbauen. Aber uns fällt das oft noch schwer. Männer können das. Wir Frauen möchten es gerne, bekommen es aber selten hin. Vielleicht sind wir zu kritisch?
Feminismus in Deutschland ist schwierig, denn man verbindet ihn oft gleich mit Alice Schwarzer und von der sich nicht jede Frau vertreten fühlt. Wie geht es Ihnen?
Feminismus heißt eigentlich Gleichberechtigung. Aber der Begriff ist durch diese violette Alice-Schwarzer-Bewegung diskreditiert worden. Und damit können wir uns mit ihm nicht mehr identifizieren. Und Frauen reagieren darauf dann oft gleich ganz abwertend. Ich mache dann gerne gleich etwas anderes.
Was inspiriert Sie zu Ihrer Arbeit?
Mein eigenes Ich. Was ich sehe, was ich lese. Es gibt für mich gewisse Zeitkreuzpunkte, aus den sich dann ein Thema ergibt, das ich dann selbst untersuche und subjektiv betrachte. So verstehen es andere viel besser. Denn das Authentische fordert den Betrachter heraus zu äußern, wie er etwas erlebt und empfindet, ob er ähnliche Erfahrungen gemacht hat oder nicht.
War Malen von Beginn an, Ihre eine Berufung?
Eigentlich, ja. Seit ich drei Jahre alt bin, habe ich gezeichnet und gemalt, fast überall, was meine Mutter auch gefördert hat. Da ich aber aus einer Gärtnerfamilie stamme und die Älteste war, fühlte ich mich dennoch verpflichtet, zu studieren und habe daher mein Diplom als Gartenbauingenieurin gemacht. Eine Vernunftentscheidung. Das Studium hat mir Spaß gemacht, aber die Arbeit danach nicht mehr. Wir haben uns - in der Abteilung für Umweltschutz bei der Stadtverwaltung - so viel überlegt und geplant, konnten im Endeffekt aber nichts umsetzen, da durch die Planwirtschaft eh nichts möglich war. Das war sehr deprimierend. So habe ich mit 25 beschlossen, noch mal neu durchzustarten und mein Hobby zu studieren und habe mich dann an der Hochschule beworben - und später meinen ersten Beruf zum Hobby gemacht. Denn heute bin ich in unserem großen Garten tätig, wenn ich mich entspannen möchte.
Ihre Arbeit war Ihnen immer wichtig.
Ja, sie gehört zum Leben. Was wäre ich sonst für ein Vorbild für meinen Sohn gewesen, wenn ich zu Hause geblieben wäre und nichts gemacht hätte? Ich finde es auch wichtig, dass Kinder in einer großen Familie aufwachsen, und dazu zähle ich auch die Tagesmutter oder die Nachmittagsbetreuung. Es ist doch verrückt: Wir fliegen auf den Mond, aber bekommen es immer noch nicht gebacken, die Kinderbetreuung zu regeln.
Wenn es um moderne Rollenbilder geht, sind wir in der Theorie schon sehr weit. Die Realität sieht aber anders aus.
Dass Männer immer noch viel mehr verdienen als Frauen, ist ein großes Hindernis. Wenn dann nur die Frau arbeitet, hat die Familie oft viel weniger Einkommen. Auf der anderen Seite leben wir nicht lange mit unseren Kindern zusammen, und wenn wir uns dann noch darum prügeln, wer sich um die Kinder kümmern muss, kann ich das nicht verstehen. Die Zeit mit unseren Kindern ist doch ein Geschenk.
Haben Sie sich mit Neo Rauch, Ihrem Mann, die Aufgaben aufgeteilt?
Zunächst bin ich zu Hause geblieben. Unser Sohn ist dann relativ früh in die Kinderkrippe gegangen. Dann haben wir uns abgewechselt mit dem Abholen und Hinbringen. Aber man kann das nicht verallgemeinern. Man muss sein Herz einfach für die Familie öffnen.
In welchem Sinn?
Entscheidend ist, dass jeder bereit sein muss, Verantwortung zu übernehmen. Eine Familie ist eine Gemeinschaft. Wenn man eine Familie gründet, übernimmt man eine Verantwortung. Und wenn ich ein Kind in die Welt setze, werde ich doch wohl die 20 Jahre meines Lebens durchhalten.
Sie werden oft gefragt, wie es sich als Ehefrau eines viel erfolgreicheren Künstlers lebt. Nervt das?
Das ist nur eine Wahrnehmung von außen, das bin ja nicht ich. Manche Sachen werden mit mehr Geld bezahlt als andere. Das heißt aber nicht, dass sie in der Beziehung mehr wert sind. Ich bin in unserer Beziehung diejenige, die alles managt. Die Fähigkeiten, die jeder von uns in die Beziehung einbringt, greifen wie Zahnräder ineinander. Wenn die Wertschätzung in der Partnerschaft stimmt, ist es egal, wie unterschiedlich der Erfolg von außen wahrgenommen
wird. Ich habe auch den Eindruck, man sieht es in Deutschland nicht so gern, wenn beide gleich erfolgreich sind. Und dass man als Partnerin eines sehr erfolgreichen Mannes abgestraft wird. Damit muss man einfach zurechtkommen.
Stehen Sie darüber?
Ja, auch weil es in der Kunst sowieso Quatsch ist. Denn man wird eh nicht nur nach Qualität bezahlt. Wir sind ein Zweierkollektiv, und 50 Prozent davon sind sehr erfolgreich und 50 Prozent erfolgreich. Was will man mehr?
Kein bisschen verletzend?
Natürlich gibt es die Situation, dass jemand zu mir sagt: "Ach, und Sie malen auch?" Und die Frage, wie es sich im Schatten meines Mannes anfühlt, verletzt mich manchmal durchaus. Aber ich bin in einer luxuriösen Situation. Denn ich werde auch mit meiner eigenen Arbeit wahrgenommen, ich habe tolle Galerien, und ich kann die Ausstellungen machen, die ich möchte. Es nimmt auch zu, dass ich in Gesprächen höre, "ja man sieht, dass sie zwar auch figurativ arbeiten, aber doch auch sehr unterschiedlich. Dass bei ihnen aber der weibliche Ansatz der stärkere ist, d.h. die Frau eine viel größere Rolle spielt. Und dass bei ihrem Mann mehr männliche Themen im Fokus sind." Solche Kommentare kommen immer öfter und das ist sehr schön. Und das ist das, was mich mehr interessiert.
Vor vier Jahren haben Sie im Essl Museum in Österreich gemeinsam ausgestellt. Wollen Sie das fortsetzen?
Wir haben schon immer mit vielen anderen Künstlern ausgestellt, aber nie als Ehepaar. Das scheint in Deutschland verpönt zu sein. Umso schöner war die Resonanz, die wir als Paar bekommen haben. Deshalb machen wir am 30. September zu unserem 30. Hochzeitstag
eine gemeinsame Veranstaltung im Kunstverein Zwickau. Das Thema wissen wir noch nicht. Vielleicht zeigen wir die Arbeiten, die wir uns über die vielen Jahre gegenseitig geschenkt haben.
Work-Life-Balance - ein Modebegriff. Verschwimmen die beiden Bereiche bei Ihnen oder trennen Sie?
Als Künstler schaut man natürlich alles mit diesem besondere Auge an. Wir haben bewusst Arbeit und Wohnen getrennt. Ich genieße auch immer die Stunde Abstand, um alles loszulassen. Wir arbeiten Montag bis Freitag. Am Wochenende ist Entspannung angesagt. Im Sommer machen wir oft statt Urlaub, einen Tag länger Wochenende. Zuhause mache ich nur Büroarbeiten, Texte schreiben oder mich um das Archiv kümmern. Oder einfach Nichtstun. Entspannen ist Gartenarbeit, Lesen, Denken...
Was waren für Sie wichtige Wendepunkte im Leben?
Es gab mehrere. Meine Eltern sind zu früh gestorben. Als meine Mutter gestorben ist, war ich 32. Meine Mutter hatte Krebs und ich habe sie bis zum Ende Zuhause gepflegt. Und mich dabei selbst vergessen. Fünf Jahre später war ich dann selbst krebskrank. Dabei hatte ich viel Glück, denn der Krebs wurde sehr früh entdeckt, ich musste nicht mal zur Chemotherapie und hatte auch nie wieder einen Befall. Dennoch war es ein großer Einschnitt in meinem Leben. Ich war 37 Jahre alt und das Erlebnis hat mich noch länger begleitet. Der Krebs hat mich aber auch dazu gebracht, zu überlegen, was für mich im Leben wirklich wichtig ist. Man fängt anders zu denken. Man beschäftigt sich mehr mit Emotionen, ist dann nicht mehr nur mental. Beschäftigt sich mehr mit dem Thema Glauben. Plötzlich wurde mir klar, dass ich in der pantheistischen Weltanschauung erzogen bin. Ich glaube an die Natur. An die Dinge, die passieren. Wie wenn ich zum Beispiel am See vorbeiradle und sehe welche Vögel da sind. Gestern habe ich zum Beispiel einen Storch fliegen gesehen! Zuhause fliegen manchmal die Schwäne über unser Haus hinweg. Das sind dann meine kleinen Glücksmomente, die mein Leben bereichern.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Mut und Neugier sind für mich wichtig. Wenn ich den Mut verliere, ängstlich werde oder wenn mich alles langweilt, dann könnte ich mir das Leben nicht mehr vorstellen.
Rosa Loy kam 1958 in Zwickau/Sachsen zur Welt. Sie wurde zunächst Diplomgartenbauingenieurin und studierte dann an der Kunsthochschule in Leipzig. Sie ist mit dem Maler Neo Rauch verheiratet (siehe Foto).