Nie hatten Frauen so glänzende Perspektiven in den "MINT-Branchen" Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. Doch zu wenige nehmen die Chancen wahr. Warum, erklärt die Soziologin Prof. Dr. Susanne Ihsen. Plus: vier überzeugende Karriere-Beispiele.
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"Es ist ein kulturelles Problem"
Zahlreiche Initiativen unterstützen weibliche MINT-Karrieren - mit Erfolg: der Frauenanteil an Unis und in Unternehmen steigt. Prof. Dr. Susanne Ihsen (Soziologin und Expertin zum Thema Gender-Studies in den Ingeneur-Wissenschaften) über die aktuelle Situation.
EMOTION: Wie weit sind wir noch von einer Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern in den MINT-Branchen entfernt?
Susanne Ihsen: Erstrebenswert ist zunächst mal ein Frauenanteil von 30 Prozent. Das ist die Marke, ab der sich eine Gruppe nicht mehr als Minderheit empfindet und auch nicht als solche wahrgenommen wird. Das Ziel erreichen wir im Moment gerade mal in der Mathematik. Aber in den Ingenieurwissenschaften liegt die Zahl der Absolventinnen nur bei knapp über 20 Prozent. Im Maschinenbau sind es nur zehn, in der Informatik ca. 15 Prozent. Es gibt also noch viel zu tun.
Ist das eigentlich ein typisch deutsches Problem?
Nein. Aber es ist ein westliches Problem in Europa und Nordamerika. Es ist also ein kulturelles - kein generelles Geschlechterproblem. Das ist gut, denn damit ist es veränderbar. Schlecht ist, dass solche Veränderungen langwierig sind.
Welche Hemmschwellen hindern Frauen also hartnäckig daran, in Richtung MINT zu gehen?
Da sind viele gesellschaftliche Einflüsse am Werk. Es fängt an beim Kinderspielzeug an und setzt sich in den Schulen fort. Lehrer - und Lehrerinnen! - gehen unterschiedlich mit Mädchen und Jungs um. Mädchen werden am Computer eher angeregt, vorsichtig zu sein. Beim Praktikum in einem technischen Unternehmen landen sie schonmal im Sekretariat - in der Fertigung sei es zu schwer und zu schmutzig. Die Berufsberatung ziehlt bei jungen Frauen so stark auf Sicherheit des Arbeitsplatzes ab, dass viele ein Unternehmen gar nicht in Erwägung ziehen, sondern direkt in Richtung Lehramt oder öffentliche Verwaltung gehen. Und wenn die Freundinnen es uncool finden, Mathe zu mögen, hat das auch Einfluss.
Schreckt auch der Faktor "Männerdomäne" ab?
Die Frauen, die sich für Technik interessieren und sich für diesen Weg entscheiden, finden es nicht schlimm, eine "Exotin" zu sein. Sie erleben dann auch keine soziale Diskriminierung mehr; in den letzten Jahren sind Pfiffe und blöde Witze aus den Hörsälen verschwunden. Erst im Job merken sie wieder stärker, dass doch Unterschiede gemacht werden.
Inwiefern?
In vielen Unternehmen werden Frauen wegen der immer noch starken Verlinkung von Schwangerschaft und Familienbetreuung als unkalkulierbar hinsichtlich einer systematischen Personalentwicklung gesehen. Es wird geradezu erwartet, dass eine Mutter ihre Karriereambitionen zugunsten der Kinderbetreuung nach Hause verlagern wird. Als Bremse wirkt allerdings auch die überkritische Selbsteinschätzung von Frauen. Sie bewerben sich zögerlicher als Männer auf gute Positionen.
Was können Initiativen wie der Nationale Pakt "Komm mach MINT" leisten?
Zahlen belegen, dass der Anteil der Mädchen und jungen Frauen, die sich für Informationsveranstaltungen interessieren, enorm gewachsen ist. Die Anzahl der Studentinnen steigt stetig und Organisationen, Hochschulen und Unternehmen sind besser sensibilisiert und miteinander vernetzt. Aber wie gesagt: Kulturen verändern sich nur langsam.
Mehr zum Thema Frauen in MINT-Berufen?
Stöbern Sie durch unsere Link-Sammlung!
Komm mach MINT
Ist eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
MINT Zukunft schaffen
Ist Ansprechpartner für Unternehmen in den MINT-Branchen. Hat zum Ziel mehr junge Menschen (insbesondere Frauen) zu MINT-Studiengängen zu motivieren.
MINT bei der Bundesargentur für Arbeit
Hilfreiche Link-Sammlung und viele gute Tipps für Frauen, die in den MINT-Branchen durchstarten wollen.
Frauen in MINT Berufen, Baden-Württemberg
Initiative in Baden-Württemberg mit Veranstaltungskalender, Wettbewerbsaufruf und Kontakten zu Unternehmen in der Branche.
Wir stellen vor: Frauen in MINT Berufen.
"Wenn man sich treu bleibt, ergibt sich der richtige Weg ganz von selbst"
MIRKA WILDERER
ist 34 und arbeitet für Siemens in Colorado Springs/USA: seit Januar 2012 ist sie als Leiterin Produktmanagement Water Technologies dafür zuständig, mehrere hundert Produktlinien marktfähig zu machen. Ihr Studium der Wirtschaftssoziologie an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg schloss sie mit Promotion ab.
DER BRANCHEN-WANDEL: Als Soziologin wollte ich eigentlich zur UN, machte ein Praktikum in Brüssel, fand es dort aber zu bürokratisch. Als Siemens-Praktikantin war ich in China und für ein Strom-Projekt im Kongo. Mit Aufgaben, die die Grundbedürfnisse der Menschen berühren, konnte ich mich besonders gut identifizieren. Man hat kaum Ahnung von den Job-Möglichkeiten. Erst später öffnen sich unzählige Türen.
DER AUFSTIEG: 2004 stellte mich Siemens fest an, erst für ein Joint Venture in China, seit 2009 in den USA. Dort habe ich im Bereich Water Technologies zuletzt die Strategieabteilung geleitet, führe jetzt das Produktmanagement. Wenn man tut, was einem Spaß macht, und sich selbst treu bleibt, ergibt sich der richtige Weg von selbst.
DAS WISSEN: Für Technik habe ich mich schon immer interessiert. Trotzdem fehlte mir am Anfang viel Ingenieurswissen. Aber ich bin von Neugier getrieben, löchere meine Kollegen mit Fragen und mache Schulungen.
DIE STÄRKE: Dass ich mich in einer Männerbranche durchsetzen kann, verdanke ich auch meinen beiden älteren Brüdern. Ich erlebe aber keine Vorurteile, im Gegenteil: Oft freuen sich männliche Kollegen, wenn mal eine Frau ins Team kommt. Schwierig ist es eher, eine relativ junge Chefin zu sein.
KIND ODER KARRIERE: Für mich keine Entweder-oder-Frage! Mein Sohn ist 5, meine Tochter eins. Ich habe bei beiden Kindern nur ein paar Wochen ausgesetzt. In Deutschland herrscht deider immer noch die Meinung, man sei mit Beginn der Schwangerschaft nicht mehr leistungsfähig. In Amerika sagt der Chef nur: Herzlichen Glückwunsch!
"In technischen Meetings wurde ich anfangs bestimmt unterschätzt"
TANJA BECK
ist 37 und begann 2001 beim Raumfahrtunternehmen Astrium (EADS) in Ottobrunn. Sie schrieb ihre Diplomarbeit als Vermessungsingenieurin in der Abteilung Satellitennavigation, deren stellvertretende Leiterin sie 2008 wurde. Das Studium absolvierte sie an der TH Karlsruhe.
DER JOB: Zur Zeit leite ich ein Projekt, bei dem wir eine Bodeninfrastruktur entwickeln, die letztlich dazu dient, die Genauigkeit von GPS-Anwendungen zu verbessern. Meine erste Projektleitung bekam ich 2007, in den Jahren davor habe ich hauptsächlich programmiert.
DIE BERUFUNG: Mein Vater ist Schreiner, meine Mutter Altenpflegerin. Es gab trotzdem nie Zweifel, dass ich mal in Richtung Naturwissenschaft oder Technik gehen würde. Die Geodäsie und Geo-Informatik lag nahe, denn dieses Ingineurstudium ist pure Mathematik und Physik - Meine Lieblingsfächer in der Schule.
RESPEKT: Dass ich in einer Männerdomäne unterwegs bin, hat mich nie gestört. In der Abteilung war ich sofort akzeptiert. Nur bei externen Terminen habe ich vor allem bei älteren Männern ein gewisses Erstaunen gespürt, wenn ich als junge und damals noch einzige Frau zu technischen Meetings kam. Da wurde ich sicher oft unterschätzt. Mit zunehmendem Alter und Erfahrung hat sich das aber gegeben.
KOLLEGINNEN: Die Zahl steigt auch bei uns in der Abteilung. Von ca 50 Mitarbeitern sind ca. 6 Frauen. Ich finde es gut, dass es Initiativen gibt, die Frauen über ihre Chancen in den Ingenieursberufen informieren. Wer Talent hat, aber trotzdem zweifelt, bekommt so den entscheidenden Anstoß.
FLEXIBILITÄT: Offiziell habe ich eine 40-Stunden-Woche, in den Projektphasen werden es aber oft mehr, auch durch Wochenendarbeit. Die Überstunden werden aber durch Freizeit wieder ausgeglichen. Wäre ich Mutter, könnte ich hier auch in Teilzeit arbeiten - mit der Projektleitung würde es dann allerdings schwierig werden. Wie in anderen Berufen eben auch.
"Vorurteilen über Frauen und Technik begegne ich mit Kompetenz"
MIRIAM NEY
Ist 24 und seit Oktober 2011 im Rahmen der Microsoft Academy for College Hires (MACH) Associate Consultant bei Microsoft in München. Studiert hat die Kölnerin Informationstechnik an der Dualen Hochschule in Mannheim und Informatik an der FU Berlin.
DIE JOB-ENTSCHEIDUNG: Nach lehrreichen Jahren in der Forschung wollte ich in der freien Marktwirtschaft und in einer internationalen Umgebung arbeiten. Von einem Ex-Studienkollegen erfuhr ich vom MACH-Programm und bewarb mich.
DIE AUFGABE: Ich berate Kunden bei der Einführung von Share Point Lösungen. Dazu muss ich nicht nur die Technik hinter der komplexen Software verstehen, sondern auch, was der Kunde genau will.
WUNSCH & WIRKLICHKEIT: Berater reisen viel - das hat mich gereizt. Das erste halbe Jahr im Job war aber von Schulungen geprägt, um mich fit für den Einsatz beim Kunden zu machen. Jetzt freue ich mich auf die Einsätze vor Ort.
VORURTEILE: Ich bin es gewöhnt, eine Exotin zu sein. Dass Frauen und Technik nicht zusammenpassen, geistert immer noch in vielen Köpfen herum. Im Studium gab es die ein oder andere unangemessene Bemerkung. Ich habe mit Kompetenz das Gegenteil bewiesen.
ERZIEHUNG: Ich war auf einem Mädchengymnasium und meine Eltern unterstützten mich bei jeder Entscheidung. Ich liebe das logische Kombinieren und freute mich schon als Schülerin, wenn ich die richtige Lösung fand.
ZUKUNFT: Ich kann mir vorstellen, ein paar Jahre Beraterin zu sein - und irgendwann eine Managementrolle zu übernehmen.