Coaching funktioniert nicht nur bei Spitzensportlern, die es selbstverständlich nutzen, um sich zu verbessern, sondern auch in der Führungsebene: Der Blick von außen macht versteckte Lösungen sichtbar.
Wenn ich Manager coache, denke ich öfter an einen Satz aus der Zeit, als die ersten Gastarbeiter angeworben wurden. "Sie haben Arbeiter geholt, aber es sind Menschen gekommen." Dieser Satz fasst das Dilemma der Führungskräfte zusammen. Manager haben die Aufgabe, Menschen zu Leistung zu führen. Menschen - also nicht Planstelleninhaber, Kostenstellenbesetzer, Arbeitsplatzverweser. Wir haben es mit Menschen zu tun, die zwischen Leistungs-Flow und Leistungs-Flucht pendeln, zwischen Rekordeinsatz und innerer Kündigung.
Das Dilemma der Führungskräfte
Bis in die 1990er-Jahre hinein stand eine psychologische Couch-und-Kuschel-Pädagogik bei der Menschenführung hoch im Kurs. Das ist heute anders: An vielen Arbeitsplätzen geht es eher nach dem alten Motto der preußischen Junker zu: "Geld regiert die Welt - und der Knüppel die Menschen." Der Knüppel ist heute der "Arbeitsplatzabbau". Aber Angst ist ein schlechter Motivator. Außerdem schüren Arbeitsplatzabbau einerseits und Top-Einkünfte und Rekordgewinne für die Arbeitsplatzabbauer andererseits soziale Spannungen. Zwischen den Fronten stehen die Führungskräfte unterhalb der Vorstandsebene. Das Gebot der Stunde heißt: Coaching. Denn aus dieser Ecke kommen die Tools zur Menschenführung, die endlich greifen!
Weil Coaching heißt, für sich selbst Klarheit zu schaffen, die Ziele zu klären und einen Businessplan für das Erreichen der Ziele aufzustellen. So erreichen Manager Selbstsicherheit, strahlen sie damit aus und gewinnen Autorität. Weil mithilfe menschenorientierten Coachings Mitarbeitern Raum geschaffen wird für gute Leistungen, Sicherheit gegeben wird für Selbstverantwortung und Klarheit für persönliche und unternehmerische Ziele.
Das gewisse Etwas: Mut
Bei manchen Klienten habe ich mich gefragt: "Was will dieser Mensch im Coaching? Er lebt prima, ist erfolgreich, tut die richtigen Dinge." Die Antwort wurde mir nach und nach klar. Auch kluge, erfolgreiche, gut motivierte Menschen brauchen manchmal jemanden, der ihnen Mut macht. Und auch die, denen ich bei der Umsetzung ihrer Wünsche in konkrete Handlungsschritte noch aktiv helfen musste, brauchten nicht in erster Linie das Know-how, sondern das viel wichtigere "Du darfst": "Du darfst entscheiden, was du möchtest", "Du darfst dein Leben nach deiner Vorstellung gestalten."
Coaching ist nicht Ratgeben
Es geht beim Coaching nicht darum, kluge Ratschläge zu geben, sondern dem anderen Menschen zu helfen, seine eigenen Lösungen zu finden. Und genau deshalb ist die Lebenserfahrung des Coachenden kein Hindernis, sondern praktische Ergänzung.
Natürlich muss der Coach Erfahrung mit dem Thema haben, um das es geht. Ein Coach, der - wie viele Menschen, die von der Psychotherapie her kommen - noch nie ein Team geführt hat, sollte ein paar Jahre "in die Produktion" gehen. Sonst muss fehlende Erfahrung durch angelerntes Wissen oder eigene Fantasie und Kreativität ersetzt werden. Und jeder, der sich schon einmal im Überschwang der Begeisterung über die eigene Kreativität hat mitreißen lassen und wunderbare Projekte und Planungen für sein Gegenüber entwickelt hat, kennt die Ratlosigkeit in dessen Blick, der signalisiert: "Was soll ich?" Und er hat gelernt, dass er damit seinem Gesprächspartner keinen Gefallen tut.
Nutzanwendung für Sie als Führungskraft: Wenn Sie Mitarbeiter coachen, geben Sie ihnen keinen Rat und keine Lösungen vor. Seien Sie sicher: Die Mitarbeiterin, der Mitarbeiter kennt den eigenen Arbeitsplatz besser als Sie. Und außerdem wissen Sie, dass auch Ratschläge Schläge sind, meist ins Wasser. Was sollten also Führungskräfte beachten, wenn sie ihrer Verantwortung als Coach für ihre Mitarbeiter gerecht werden wollen?
Schluss mit der Demotivation
Vom "Push" zum "Pull"
In Managementseminaren werde ich immer wieder gefragt: "Was kann ich tun, um meine Mitarbeiter zu motivieren?" Meine Standardantwort: "Vergessen Sie diese Frage. Hören Sie einfach auf, sie zu demotivieren, das würde schon völlig reichen."
Ich war 25 Jahre lang Angestellte in verschiedenen Verlagen. Dort ist mir immer wieder aufgefallen, wie demotivierend mit Mitarbeitern umgegangen wurde. Ein Beispiel: Ein neuer Chefredakteur wird eingestellt. In der ersten gemeinsamen Konferenz würde ich erwarten, dass er sagt: "Liebes Team, ich brauche eure Hilfe. Der Verleger ist unzufrieden mit der Auflage, mit dem Anzeigenerlös. Gemeinsam werden wir es schaffen, bessere Ergebnisse zu erzielen." Die meisten würden innerlich die Ärmel aufkrempeln und versuchen, dabei zu helfen (nur ganz wenige Menschen lassen sich grundsätzlich nicht mehr begeistern).
Den inneren Griffel fallen lassen
Das haben die Chefredakteure und Chefredakteurinnen, die ich kennengelernt habe, aber nie gemacht. Sie kamen in die erste Konferenz und verkündeten: "1. Urlaubssperre, 2. Gehälter werden eingefroren, 3. wir müssen von draußen mal richtig gute Leute holen." Man kann sich vorstellen, wie alle Anwesenden sofort den inneren Griffel fallen ließen.
Ich beobachte auch als Trainerin und Coach in Abteilungen diese Missachtung von Expertenwissen und Begeisterungsfähigkeit von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Da treiben Vorgesetzte ihre Mitarbeiter an, mehr zu leisten, nennen wir es "Push", anstatt sie zu begeistern und mitzureißen, das nennt man "Pull". Ziel muss es sein, eine Sogwirkung zu erreichen. Und es geht. Gute Führungskräfte schaffen es, dass sie und ihre Mitarbeiter die Galeerenruder aus der Hand legen können und die Hände frei bekommen, um aktiv zu gestalten.
Wir wollen Teil eines Ganzen sein
Studien zeigen: Menschen sind der Menschen größte Motivatoren. Mitarbeiter möchten gemeinsam mit den anderen gute Ergebnisse erzielen, Erfolgserlebnisse haben, stolz auf Geschaffenes sein. Mitarbeiter brauchen Wertschätzung und das Gefühl, Teil eines wichtigen Ganzen zu sein - keine Nummern, die man möglichst bald auch wegrationalisiert. Menschen sind bereit, Höchstleistungen zu bringen, wenn man sie wie Menschen behandelt. Leider stecken sie auch auf, wenn man ihnen nur oft genug sagt: "Du bist völlig unwichtig."
Die Begeisterungsfähigkeit von Mitarbeitern lässt sich nutzen. Viele Unternehmen holen sich Berater ins Haus, um Veränderungen zu planen und umzusetzen. Was machen diese meist als Erstes? Sie befragen die Mitarbeiter. Mein Tipp an Führungskräfte: Fragen Sie Ihre Mitarbeiter doch gleich selbst. Nutzen Sie die Expertise, die Beobachtungsgabe und die Erfahrung Ihrer Mitarbeiter! Die stehen an den Maschinen, sind Teil des Prozesses, kennen die Zahlen, haben Kontakt zu den Kunden und Lieferanten, wissen, wo es hakt und was zu verbessern wäre. Aber sie sagen es nur, wenn der Vorgesetzte es auch hören will.
Die fünf Grundlagen der positiven Psychologie
Der amerikanische Psychologieprofessor Martin E. P. Seligman hat einige einfache, aber wertvolle Einsichten darüber zusammengestellt, wie Arbeits- und Leistungsmotivation aufgebaut wird. Er verweist auf die fünf Grundlagen positiver Psychologie:
1. Signaturstärken nutzen
Es gibt im Arbeitsleben eine eindeutige, klare Beziehung zwischen positiven Emotionen und hoher Produktivität, geringer Fluktuation und hoher Loyalität. Die persönlichen Fähigkeiten und Talente in der Arbeit ausüben zu können, löst positive Emotionen aus. Und das bringt eine hohe Selbstmotivation.
2. Ziele und Visionen entwickeln
Eine der größten Herausforderungen für Führungskräfte ist es, die Unternehmensziele auf die Zielsetzung der Abteilung und des einzelnen Mitarbeiters umzusetzen. Ohne klare erreichbare Ziele ist ein Mitarbeiter nur mit halbem Tempo unterwegs.
3. Werte vorleben und leben
Autorität entsteht durch Authentizität. Nie waren Führungskräfte so wertvoll wie heute. Intelligente Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen schauen genau hin: Leben unsere Führungskräfte, was sie predigen?
4. Wachstum ermöglichen
Führungskräfte sollten Raum schaffen, damit Mitarbeiter ihr Bestes geben können und ihr Potenzial weiterentwickeln können.
5. Wohlbefinden
Das Wort Geborgenheit gehört leider noch nicht zur Managementausbildung. Das wird sich ändern müssen. In Zukunft werden die befähigtesten Mitarbeiter in das Unternehmen gehen, das den höchsten Wohlfühlfaktor bietet. Wo sie ein starkes Wir-Gefühl erleben und sich als wichtigen Teil einer Gemeinschaft fühlen können.
Fazit
Mut zur Menschlichkeit heißt also, den Erfolgsfaktor Mensch mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Zu erinnern, dass Menschen Ideen und Lösungen generieren; dass Menschen von Menschen kaufen, die sie mögen. Dass ein starkes Wir-Gefühl Bestleistungen ermöglicht. Roboter brauchen vielleicht nur Strom, Menschen brauchen Menschen, die sie begeistern und motivieren, die sie fördern und fordern - und die sie achten können.