Viele empfinden es als Scheitern, wenn es ihnen nicht gelingt, in einem Konflikt sämtliche Forderungen durchzusetzen - und übersehen dabei, dass Verzicht manchmal der erste Schritt zu einer Lösung ist, die alle bereichert.
Eine Freundin fasste kürzlich bei einem Glas Wein den Vorsatz, endlich Schluss mit all den Kompromissen zu machen; ab sofort würde sie viel häufiger das tun, was sie eigentlich wolle. Und das bedeutete unter anderem, dass sie nicht länger bereit sein würde, dauernd mit ihrem Mann ins Ferienhaus nach Schweden zu reisen – und ihr Sehnsuchtsland Andalusien nur in kurzen Wochenendtrips mit alten Freundinnen zu entdecken.
Doch wann ist ein Kompromiss tatsächlich ein Opfer, ein Zurückstecken – und wann ist er einfach nur etwas anderes? Eine Alternative, die man wählen kann, ohne dass dadurch ein Gefühl des Verlustes entstehen muss? Eine gleichwertige Möglichkeit, die eben nicht nur ein Weniger von etwas bedeutet, das man eigentlich hatte erreichen wollen?
Kompromiss - eine Definition
Ein Kompromiss – so könnte eine mögliche Definition lauten – ist die Lösung eines Konflikts, für die jeder etwas von seinen ursprünglichen Zielen oder Forderungen aufgibt, um gemeinsam zu einer Entscheidung zu kommen – und zwar ohne dass man sich dabei die Köpfe einrennt oder beleidigt die Arme verschränkt.
Der dritte Weg der Rechtssprechung
Wenn wir einen Kompromiss eingehen, geben wir etwas her, und je nachdem, wie wichtig uns unser ursprüngliches Ziel gewesen ist, umso mehr kann ein Kompromiss schmerzen. Schon in der römischen Antike war dieser "dritte" Weg in der Rechtsprechung bekannt. Laut Cicero war ein "compromissum" das gemeinsame Versprechen zweier streitender Parteien, sich dem Schiedsspruch eines Dritten zu unterwerfen. Wer sich diesem Urteil wi- dersetzte, wurde mit einem Bußgeld bestraft. Ein Kompromiss ist also ein Mittel, um "Recht und Ordnung" wiederherzustellen, wenn sich zwei Seiten nicht einigen können, indem sie eine dritte Möglichkeit als Lösung anerkennen.
Nun kann man diesen Weg für sich als ein persönliches "Scheitern" verstehen – "ich bin nicht ans Ziel meiner Träume gekommen"; "ich kann nicht tun und lassen, was ich will" – und dann wäre jede Form von "Beschränkung" mangelhaft. Aber ist das wirklich so? Fangen wir tatsächlich an, weniger wir selbst zu sein, sobald ein anderer Mensch mit einem Haufen eigener Ansprüche in unser Leben tritt, die von nun an mit den eigenen abgestimmt werden wollen?
Der erste Schritt zum "Glück"
Ich denke, dass ein Kompromiss der erste Schritt zu dem ist, was wir uns eigentlich sehnlichst wünschen: eine echte Beziehung zu einem anderen Menschen, eine Beziehung, die immer damit zu tun hat, dass wir uns nicht nur alle Wünsche von den Lippen ablesen, sondern hin und wieder um eine Lösung ringen. Die hätten wir allein zwar nicht gewählt, aber für beide gemeinsam kann sie vielleicht genau die richtige sein. Und eben deshalb eine Bereicherung.
Zum Beispiel in Form eines längeren Paarurlaubs in Andalusien – und eines Kurztrips nach Schweden.
Ina Schmidt, 39, ist Philosophin und Autorin. Sie hat die Initiative „denkraeume“ gegründet, mit der sie die Weisheit großer Denker aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft in den Alltag holt.