Cornelia Staeubli war Anfang 30, als sie beschloss, alles zu verkaufen, weil ihr Leben nicht zu ihr passte. Sie hatte etwas Geld und ein Ticket ohne Rückflug in der Tasche. Kein halbes Jahr später war sie verheiratet und fand in London ihren Traumjob.
Die Art, wie Cornelia Staeubli das Londoner Lokal "Ottolenghi" betritt, lässt ahnen: Hier kommt eine geballte Ladung positiver Energie. Die gebürtige Schweizerin ist die rechte Hand von Yotam Ottolenghi, der mit seiner kreativen Interpretation der Gerichte aus seiner Heimat Israel zum Star der britischen Foodszene avancierte. Seit zehn Jahren ist Cornelia Staeubli als General Managerin dafür zuständig, dass in seinen Lokalen alles läuft.
Die 45-Jährige begrüsst das Team, dann reicht ein erfahrener Blick, um in die Take-out-Auslage zu greifen und die üppig-bunten Speisen noch besser in Szene zu setzen. "Ich bin hier so etwas wie die Leithenne", sagt sie und lacht warm. Am Anfang musste sie sich überwinden, anderen zu sagen, was sie machen sollen. Aber dann stellte sie fest, dass sie ein natürliches Talent hat, das Personal zu führen. Dabei hilft nicht nur ihre herzliche Art, sondern auch, "dass es mir nicht mehr so wichtig ist, was andere über mich denken."
Die unsichtbare gute Fee
Für die Öffentlichkeit bleibt Cornelia Staeubli unsichtbar. Sie ist die gute Fee, die es möglich macht, dass Ottolenghi unbelastet von Alltagskram im Rampenlicht stehen kann.
So macht sie täglich eine Tour durch jedes der vier Lokale, schaut, dass der Betrieb gut läuft, instruiert das Personal, und wenn einer der Store Manager krank ist oder im Urlaub, springt sie auch mal ein. "Ich liebe es mit Leuten zusammenzuarbeiten und packe viel lieber an, als Papierkram zu erledigen", erzählt sie. Zum Glück fällt der kaum an, denn sie ist täglich vor Ort, und wenn etwas nicht läuft, löst sie das sofort.
Vom Konservativen zur Alternative
Aufgewachsen ist Cornelia Staeubli "sehr katholisch" im schwyzerischen Goldau. Ihren Eltern gehörte die Drogerie im Ort. Man war anständig, passte sich an. Noch heute hat sie die Stimme ihrer Mutter im Ohr: "Was denken die anderen Leute!" Entsprechend geradlinig begann ihr Weg: kaufmännische Lehre bei der Gemeindeverwaltung, dann ein Marketing-Diplom und danach Jobs in der Marketingabteilung großer Schweizer Unternehmen. Und bei allem Erfolg spürte sie: Das war nicht ihr Leben. Selbst der Ausbruch aus ihrer Karriere mit Jobs in Zürcher Szenelokalen wie dem "Kaufleuten", brachte nur kurze Zeit ein Gefühl von Freiheit. "Dann war ich nur noch unglücklich, mochte nicht einmal mehr aus dem Bett kriechen", blickt sie zurück.
Abbruch und Neuanfang
Irgendwann ging es nicht mehr. Sie war Anfang 30 und beschloss, alles, was sie hatte, zu verkaufen. Dann kaufte sie ein One-Way-Ticket. "Ich hatte etwas Geld und keine Pläne. Ein tolles Gefühl. Plötzlich ging es mit wieder gut." Sie reiste nach Asien, dann nach Australien. Dort lernte sie im Greyhound-Bus Peter kennen. Engländer, Fernsehjournalist, Londoner. "Drei Monate später waren wir verheiratet und ich zog nach London", erzählt sie. "Das Beste, was ich je gemacht habe – wir sind sehr glücklich."
London ist für sie das Gegenmittel zu dem, was sie als helvetische Schablonisierung empfindet. "In einer so grossen Stadt kann man ganz gut in die Anonymität abtauchen, sein eigenes Leben führen, ohne unter sozialer Kontrolle zu stehen. Es gibt aber auch weniger Sicherheiten. Genau das finde ich befreiend."
Per Zufall zum Traumjob
Aber dass sie direkt den Job bei Ottolenghi fand, verdankt sie tatsächlich dem kleinen Stück 'braves Mädchen', das noch in ihr nachwirkte. Bei einem Familienspaziergang in Notting Hill erspähte Cornelia Staeublis Schwiegermutter ein Plakat im Schaufenster des damals ganz neuen Ottolenghi- Lokals: "We’re looking for a Sales Assistant." Perfekt, fand Schwiegermama, schliesslich war "Corniiiilia" noch ohne Job. Die dachte zwar: "Das ist doch was für Kids und nichts für mich", ging aber hinein, um einen guten Eindruck zu machen. Nach einem Probetag hatte sie den Job, den sie gar nicht wollte. "Doch dann wurde daraus die interessanteste Zeit meines Lebens", sagt sie. Ottolenghi war der place to be und Notting Hill ein aufstrebendes Viertel mit spannenden Bewohnern. "Es herrschte Aufbruchstimmung." Geblieben ist sie aber auch, weil sie innerhalb weniger Monate zur Store Managerin wurde: "Ich liebe es, Verantwortung zu tragen." Und weil ihr der Stil von Yotam Ottolenghi gefällt: "Er hat diese Just-do-it-Mentalität und macht aus jeder Situation das Beste."
Endlich angekommen
Seitdem fühlt sie sich angekommen. In der Dekade, in der sie nun zusammenarbeiten, ist aus dem ersten Lokal ein Mini-Imperium mit 200 Angestellten geworden. Einer von ihnen giesst heisses Wasser über die Pfefferminzblätter in ihrem Glas nach. "Aus dir ist ja doch noch was geworden!", neckt sie den jungen, schüchternen Kellner. Und das klingt aus Cornelia Staeublis Mund richtig nett.