Es ist ein ganz besonderer Ort, den Ewa Rotzler mit ihrem Mann Stefan, einem Landschaftsarchitekten, nahe Zürich geschaffen hat. Dort, mitten im Grünen, lebt die Familie in ehemaligen Künstlerateliers – und lädt zu Salons.
Gross wirkt sie, besonders in dem langen, bestickten Leinenkleid. Ewa Rotzler geht voran in Richtung Garten. Ein üppiger, süsslicher Duft lässt mich innehalten. Hier riecht es wie auf einem südindischen Basar, und doch passt der Geruch zum berauschenden Grün, der sich hier in Gockenhausen, an der Stadtgrenze zu Zürich wie ein Garten Eden auftut.
Prominente Schriftsteller waren häufig zu Gast
Seit 30 Jahren lebt Ewa Rotzler in den ehemaligen Künstlerateliers direkt am Waldrand, mit ihrem Mann Stefan, einem Landschaftsarchitekten, und der 23-jährigen Tochter Isabel. "Als ich das erste Mal für eine Wohnbesichtigung hier war, hatte ich drei Wochen lang schlaflose Nächte", erzählt Ewa Rotzler. "Die Abgeschiedenheit und das viele Grün haben mich fast erschlagen." Die Holzhäuser waren in den 1950er- und 1960er-Jahren von dem Künstlerpaar Gottfried Honegger, einem Maler und Plastiker, und der Illustratorin Warja Lavater erbaut worden. Prominente Schriftsteller wie Max Frisch und Jürg Federspiel waren häufig zu Gast.
Mit Ewa Rotzler und ihrer Familie ist die Künstleroase am Waldrand gewachsen. Aus zwei Ateliers sind vier geworden, plus ein Anbau, in dem das Paar lebt. Seit einem Jahr werden die Pavillons nicht mehr als Wohnungen, sondern tageweise für Kunstprojekte, Feierlichkeiten oder für Fotoshootings vermietet. Derzeit entsteht hier unter anderem der Weihnachtskatalog für die Migros. "Ich möchte diesen Ort lebendig und offen halten."
"Ich möchte diese Ort lebendig halten"
Vor sieben Jahren hat sich Ewa Rotzler eine weitere ihrer zahlreichen Visionen erfüllt: Zehnmal im Jahr lädt die Halbungarin in ihre private Räumlichkeiten zu ihrem "Salon" ein, eine Art Happening, bei dem es nicht nur wunderbare Objekte zu kaufen gibt, sondern der auch ein Treffpunkt ist für Lesungen, Konzerte und Ausstellungen. "Aber es ist nicht wie ein Ladengeschäft. Hier kann ich ganz und gar Gastgeberin sein. Es geht nicht in erster Linie ums Verkaufen der Dinge, mehr um den persönlichen Bezug dazu."
Wir sitzen am grossen runden Gartentisch. Er ist von einem kleinen Bambuswald und einer gigantischen Magnolie eingerahmt. Aus einer riesigen Feuerschale steigt noch Rauch vom Vorabend auf und mischt sich mit diesem verführerischen Duft, der mich schon am Eingang tiefer einatmen ließ. Erst jetzt merke ich, das er von Ewa Rotzler kommt. Als ich nachfrage, strahlt sie mich an: "Das ist ,Youth Dew´von Estée Lauder. Die Kleider meiner Mutter haben so gerochen.
Dazu tupfe ich noch etwas Patschuli auf." Plötzlich trabt hinter den Bambussen ein Rappe vorbei: "Das ist Lölke, ein Friese, wie die Pferde im Zirkus Knie", erklärt die Hausherrin. Dann ruft sie nach Oskar, und sofort kommt ein riesiger Berner Sennenhund angezottelt und lehnt sich mit seinem vollen Gewicht gegen meine Beine: "Der bekommt nie genug vom Schmusen."
Stück für Stück wuchs die Idylle
Pferde und Hunde, Kultur und Happenings, und dazu noch eine harmonische Familie – wie entsteht so eine grüne Idylle? "Sie ist Stück für Stück gewachsen", sagt die 50-Jährige. "Als ich jung war, hatte ich viele Talente, aber keine Ziele. Ich wusste nur, was ich nicht wollte." Zum Beispiel den ganzen Tag in einem Büro sitzen. Darum holte sie nach der Handelsschule die Matura für Erwachsene nach und studierte vier Semester Psychologie. Daneben arbeitete sie am Theaterspektakel und lebte ihre Kreativität beim Nähen aus. Als Isabel geboren wurde, startete sie mit einer Kollektion für Kinderkleider. Ewa Rotzler war Mitbegründerin der Kinderboutique Tigerfink, später kam das Geschäft Troll dazu und ein Kinder-Secondhand im Niederdorf. Nach zehn Jahren gab sie die Läden auf. "Es war schön, aber auch anstrengend. Ich wollte jede Rolle auf einmal erfüllen: die der perfekten Mutter, der Ehe- und Geschäftsfrau." Heute ist sie froh, nicht mehr die Verantwortung für Angestellte tragen zu müssen. Stattdessen vereint sie jetzt all ihre Talente an einem einzigen Ort.
Mein Blick fällt auf den Magnolienbaum; seine ausladenden Äste reichen bis zum Boden, selbst im späten August trägt er noch rosa Blüten. "Das ist für mich wie ein Geschenk", sagt meine Gastgeberin. Der Baum wurde in den 1950er-Jahren gepflanzt, die Rotzlers stutzen ihn nicht: "Ich schneide nicht mal einen Ast ab, um ihn in eine Vase zu stecken", sagt Ewa Rotzler. Irgendwie erinnert der Baum an sie, er darf sich ungehindert entfalten und ihn alle Richtungen wachsen: "Ich habe hier genau so tiefe Wurzeln geschlagen, das ist meine Heimat."