Entwicklungsökonomin Shruti Patel hält nichts von Spenden für Afrika. Sie setzt lieber auf Marktwirtschaft. Mit Frauen aus ihrer alten Heimat Kenia gestaltet sie traditionell inspirierten Schmuck. Und verhilft ihnen so zu Arbeit und mehr Selbstwertgefühl.
Fingerspitzengefühl: Kunsthandwerkerinnen stellen typisch afrikanische Papierperlen her. Dafür rollen sie winzige Papierstückchen aus Zeitschriften um eine Nadel und lackieren sie.
Die Schönheit Afrikas
Der schönste Moment ist für sie zugleich der schrecklichste: Wenn der Postbote in aller Herrgottsfrühe mit der neuesten Schmucklieferung aus Kenia vor ihrer Haustür steht. "Ich traue mich dann kaum, das Paket zu öffnen", sagt Shruti Patel. "Aus Angst, dass die Stücke nicht so sind, wie ich sie mir vorgestellt habe." Aber zum Glück kommt das heute kaum noch vor. Vor vier Jahren gründete die 35-Jährige, die mit ihrem Mann in Zürich lebt, ihr Schmucklabel "Savannah Chic". Im Namen steckt, wofür Shruti Patels Herz schlägt: die Schönheit Afrikas, seine Wärme und Weite - mitsamt seiner reichen Kunsthandwerkstradition. Vom Collierverschluss bis zum Gliederkettchen wird der Schmuck in Kenia zu 100 Prozent von Hand hergestellt. Shruti Patel ist in Kenia aufgewachsen, hat aber indische Wurzeln: Ihre Familie wanderte vor rund 100 Jahren aus, als zahlreiche qualifizierte indische Arbeitskräfte nach Afrika beordert wurden, um dort das Eisenbahnnetz zu bauen. "Meine Kindheit in Nairobi war wunderschön. Meine Geschwister und ich spielten den ganzen Tag in der freien Natur."
Zugleich liebte sie es, ihre Mutter auf den Markt zu begleiten und die farbenfrohen Schmuckstände zu durchwühlen. "Die Verkäuferinnen kennen mich heute noch, weil ich die erstandenen Stücke immer gleich auseinandernahm und neu zusammensetzte!", so Shruti Patel. Auch als sie später in England studierte, blieb sie ihrer alten Leidenschaft treu und besuchte ein paar Sommer lang Schmuckkurse an der Londoner Kreativschmiede Central Saint Martins.
"Die Mehrheit lebt von weniger als 2 Dollar am Tag"
Doch bei "Savannah Chic" geht es ihr nicht in erster Linie um ihre kreative Selbstverwirklichung. Vor allem will sie helfen, das einzigartige kunsthandwerkliche Potenzial Kenias auszuschöpfen. "Die Menschen dort sind so begabt und wissen es oft gar nicht. Sie brauchen Mentoren, die ihr Talent fördern, sie brauchen Selbstvertrauen - und vor allem einen Job."
Wenn man dem zierlichen Persönchen mit dem britischen Akzent so zuhört, wird einem schnell klar, dass die 35-Jährige heute im Grunde das Gleiche tut wie während der acht Jahre, in denen sie als Entwicklungsökonomin in der internationalen Entwicklungshilfe Strategien zur Armutssenkung umsetzte. Sie tut es jetzt einfach direkter und mit einem sichtbareren Resultat. Ihre frühere Arbeit mit Regierungen und Spenderorganisationen gab ihr zwar das gute Gefühl, dem Gemeinwohl zu dienen. Aber was es konkret bewirkte, sah sie kaum. "Die Millionen Dollar Spendengelder trugen in Kenia nur sehr wenig dazu bei, dass es den Menschen besser geht. Die Mehrheit muss immer noch mit weniger als zwei Dollar pro Tag überleben."
Der Stolz auf die eigene Arbeit
Shruti Patel wollte etwas auf die Beine stellen, was das Leben der Menschen in ihrer Heimat sofort verändert - und zwar nachhaltig. Auch wenn sie damit nicht gleich den ganzen Kontinent, sondern nur eine Handvoll Menschen erreicht. "Die Kenianer brauchen Chancen und keine Charity!"
Viermal im Jahr fliegt sie mit ihren Schmuckentwürfen und einem Riesenstapel Modemagazinen nach Nairobi und verbringt dort viel Zeit mit ihrem Kunsthandwerksteam. Das besteht im Moment aus etwa 20 Leuten, wächst aber stetig. Jede Person, die bei "Savannah Chic" Geld verdient, unterstützt damit wiederum mindestens fünf weitere Menschen: den Ehepartner, die Kinder, manchmal auch die Geschwister. Auf diese Weise erhalten mindestens 100 Menschen eine Existenzgrundlage.
Aber was langfristig fast noch wichtiger ist: Die Menschen lernen, den Wert ihres Tuns zu erkennen. "Nur wer stolz auf seine Arbeit ist, kann Ehrgeiz und Eigenverantwortung entwickeln. Und das ist das Beste, was ich meinen Landsleuten für ihre Zukunft geben kann. Wer seine Begabung kennt, kann sie gewinnbringend einsetzen." Und Talente gibt es reichlich in Shruti Patels Crew, denn in Kenia hat das Schmuckhandwerk eine jahrhundertelange Tradition. "Die Leute hier sind unglaublich geschickte Metallarbeiter und imstande, die feinsten Glieder und Verschlüsse anzufertigen. Sie haben Adleraugen und sind wahre Meister im Perlenknüpfen."
In jedem Beteiligtem ein Feuer entfachen
Eine solche Meisterin ist zum Beispiel die 35-jährige Vicky Chignall. Die Kenianerin hat lange Jahre in einem Wildreservat gelebt und weiss alles über die traditionellen Fertigungskünste von Kenias Nomadenstämmen. Mit ihren Kenntnissen verdient sie bei "Savannah Chic" so viel, dass sie ihre zwei Kinder zur Schule schicken kann. Die Arbeit ist ihr deshalb heilig, nie trifft man sie beim Klatsch mit Kolleginnen. Gesprächig wird sie erst, wenn sie über die neuen Stücke fachsimpeln kann. Das macht auch Shruti Patel am meisten Spass: "Die Menschen hier möchten weiterkommen und von mir alles über den europäischen Zeitgeist erfahren, um ihn in ihre Kreationen einfliessen zu lassen."
In dieser Art von Auseinandersetzung findet genau das statt, was sie unter Entwicklungshilfe versteht: nämlich gemeinsam neue Ideen entwickeln und in jedem Beteiligten ein Feuer zu entfachen. Damit der ersehnte magische Dreiklang entsteht: dem Einzelnen zu helfen, Jobs zu schaffen und dabei ein gutes Geschäft zu machen. Der Erfolg auf dem Schweizer Markt beweist, dass Shruti Patels Idee funktioniert. Diese Gewissheit sorgt für das nötige Durchhaltevermögen, wenn ihre Geduld wieder einmal allzu sehr auf die Probe gestellt wird. Wie neulich, als es in Nairobi drei lange Wochen ohne Unterlass wie aus Kübeln regnete. "Die Elektrizität in unserer Werkstatt fiel aus, und wir mussten die meiste Zeit bei Kerzenlicht arbeiten!"
Aber sich von solchem Details aufhalten lassen? Kommt überhaupt nicht infrage. Zu sehr ist "Savannah Chic" zu Shruti Patels Herzensprojekt geworden.
Die Melodie ihres Lebens
In dem spielt übrigens ihre Mutter eine tragende Rolle. Die einstige Modedesignerin ist ihre wichtigste Stütze vor Ort. Dass diese ein unübertroffenes Auge für Formen und Farben hat, entdeckte die Tochter erst während der Zusammenarbeit. Aber die wichtigste Lehre ist eine andere: "Meine Mutter ist so positiv. Für sie ist das Glas immer halbvoll, und sie würde es nie zulassen, dass ich aufgebe!"
Schliesslich wartet da noch ein Traum auf seine Erfüllung: "Ich möchte in Kenia eine Designschule gründen und die besten internationalen Designer für Schulungen hierher holen", sagt die Geschäftsfrau. "Das würde nicht nur das Leben der lokalen Künstler verändern, sondern den gesamten Kunsthandwerkssektor in Kenia transformieren." Man kann davon ausgehen, dass der Traum wahr wird. Denn niemand trägt seinen Namen umsonst: "Shruti" stammt aus dem Sanskrit und steht sowohl für ein Musikinstrument als auch für die Töne, aus denen sich eine indische Oktave zusammensetzt. Mit ihrem "Savannah Chic"-Projekt hat Shruti Patel die Melodie ihres Lebens gefunden. Und die wird sie weiterspielen, immer lauter, immer machtvoller.