Hinter erfolgreichen Ideen verbirgt sich oft ein simpler Gedanke. Bei dem man sich fragt: Wieso kam vorher niemand darauf? Das weiß die Luzernerin Julia Schwöbel auch nicht. Aber ihre Geschichte erzählt sie gern.
Es ist August und regnet wie aus Kübeln. Aber Julia Schwöbel mit ihrem goldbraunen Teint verbreitet Sommerstimmung und eine Wand ihres Ateliers in der Luzerner Neustadt ist so blau wie das Meer in Südfrankreich, wo sie eben ihre Ferien verbracht hat. Auf dem Tisch liegt, neben geflochtenen Lederbändern mit Silberanhängern, eine neue Kollektion runder Schlüsselkappen. Sie sind auf Hochglanz poliert und sehen mit ihren Symbolen und Mustern wie die Währung eines Wunderlandes aus. Mitarbeiterin Simona Gabriel tritt gut gelaunt, mit geschultertem Sportsack aus ihrem Büro und verabschiedet sich in die Mittagspause.
Julia Schwöbel wollte schon immer Dinge umsetzen
Bilderbuchmässiger geht es nicht. Doch hinter der Idylle steckt harte Arbeit und ein radikaler Szenenwechsel. Unter Karriere schwebte Julia Schwöbel zunächst etwas anderes vor. Nach dem Wirtschaftsstudium stieg sie bei einem großen Pharmakonzern ein. Aber dort war sie zwei Jahre lang unglücklich. Die langen Entscheidungswege, die Hierarchien, das Anonyme. Dabei wollte die Macherin vor allem eins: Dinge umsetzen. Sofort. Sie merkte, sie musste sich selbstständig machen. Alles, was fehlte, war eine gute Geschäftsidee.
Eine Marktlücke finden
Die kam an einem Sonntagabend aus heiterem Himmel, als sie mit ihrem Mann daheim beim Essen saß. Die beiden unterhielten sich, da entdeckten sie plötzlich: eine Marktlücke: Wieso nicht den Schlüssel aus dem anonymen Schlüsselmeer fischen und ihm ein persönliches Gesicht geben? Mit richtig schönen, edlen Schlüsselkappen. Das gab es noch nirgends! Wenn man von jenen farbigen Plastikdingern absah, die etliche Schlüsselbunde verunzierten. Auf der Stelle rief die damals 29-Jährige ihre beste Freundin an, eine Designerin. Die war Feuer und Flamme und machte sich sogleich ans Werk. Sie gaben Gas, gründeten eine GmbH, später eine AG und fanden einen Produzenten in Hongkong, der die erste Serie Schlüsselkappen aus Stahl und Silber herstellte.
Der erste Erfolg
Acht Monate später fand im Globus Zürich eine Promotion statt. "Wir standen zwei Wochen lang von acht Uhr morgens bis neun Uhr abends am Stand. Es war super. Am Ende musste man uns sogar mit der Verpackung aushelfen, weil unsere aufgebraucht war.", erzählt Julia Schwöbel. Erkenntnis: Ein Packaging musste her und das Logo in "KeeeART" umgewandelt werden. Denn "Key" war im Ausland schon vergeben. Und Julia Schwöbel wusste von Anfang an, dass sie irgendwann expandieren wollte. Darin bestärkte sie auch ihr Mentor der Anfangsjahre, Max Imgrüth. Er baute in den 1980er Jahren die Schweizer Uhrenmarke Swatch in Amerika auf. "Ihr müsst den Mut haben, groß zu denken.", lautete seine wichtigste Botschaft an die junge Firma.
Der erste Supergau
Pünktlich mit dem ersten Erfolg kam jedoch der Supergau: Die große Lieferung aus Hongkong fürs Weihnachtsgeschäft blieb aus. "Tomorrow, tomorrow", mailte der chinesische Produzent immer nur. "Mir wurde fast schlecht", erinnert sich Julia Schwöbel. Als sie ihrem Vater ihr Herz ausschüttete, fackelte der frisch pensionierte Ingenieur nicht lange und flog nach Hongkong, um nach dem Rechten zu sehen. "Ich geh erst zum Büro raus, wenn ich sehe, dass alles per Fedex weggeht", versprach er. Er blieb eine Woche, wartete auf die Prototypen, fand einen neuen Produzenten. Zweite Erkenntnis: Man muss vor Ort sein und seine Produkte in die Hand nehmen können.
Unsere Lieblinge:
Die Hochs und Tiefs einer Unternehmerin
Ohne die Unterstützung ihrer Eltern und ihres Mannes hätte Julia Schwöbel ihre Firma und die zwei Kinder nie unter einen Hut gebracht. Du brauchst ein Aupair, sagte ihre Mutter, als Julia Schwöbel vor fünf Jahren mit Paul schwanger war. Du darfst es nicht schlittern lassen, wenn du dich müde fühlst. Zugleich war ihre Mutter immer als Babysitterin zur Stelle, wenn ein Termin anstand. Das ist sie bis heute. Schließlich hat auch sie ihren Job nie aufgegeben. Zwar dolmetscht sie mit ihrem zwei Töchtern nicht mehr für die UNO in Brüssel, machte aber zu Hause Literaturübersetzungen.
Unternehmerin und Mutter
Klar hat Julia Schwöbel nicht immer Lust, nach Hongkong zu fliegen, um eine neue Kollektion zu besprechen. "Aber es ist wichtig. Deshalb lasse ich diese Emotion gar nicht zu.", sagt sie. Und natürlich gab es auch Zeiten, in denen sie an ihre Grenzen kam. Als Paul jährig war und Johanna gerade auf der Welt, war sie oft am Anschlag. Ihr Mann schenkte ihr damals ein Spa-Abo. "Ich lag aber nur im Ruheraum und wollte nicht einmal mein Heftli lesen. Sondern einfach meine Gedanken ordnen", sagt Schwöbel. Das Muttersein machte sie aber gelassener. Früher nahm sie Kundenreklamationen sehr persönlich. Heute nur noch sehr ernst. "Wenn es einem Kind nicht gut geht, ist das schlimmer", sagt sie. Auch Sitzungen und Diskussionen sind kürzer geworden. Dritte Erkenntnis: Man arbeitet effizienter und besser, wenn man weniger Zeit hat.
Ihr inneres Feuer für "KeeeART" brennt unvermindert
An ihrer Firma gezweifelt hat sie nie. Auch nicht, als ihre Partnerin vor vier Jahren ausstieg. Wie soll ich auch um Himmels Willen ohne Designerin weitermachen, dachte sie zuerst. Die machte einfach weiter. Und als sie eines Tages ihren damals zweimonatigen Sohn durchs Quartier schob, sah sie die Silberschmiedin Alessandra Seghizzi, deren Arbeiten sie seit Langem bewunderte. Aber sie wagte nicht, sie anzusprechen. "Ich dreh jetzt noch eine Runde mit dem Kinderwagen und wenn ich ihr dann wieder begegne, trau ich mich", dealte sie mit sich selbst. Alessandra ist seither mit im Bunde. Ihre Einsichten als Unternehmerin packt Julia Schwöbel in einfache Sätze und erspart Hochtrabendes. Der Klang ihrer Stimme verrät mehr als komplizierte Worte: Ihr inneres Feuer für "KeeeART" brennt auch nach fast zehn Jahren unvermindert. Im Jahr 2013, wenn ihre Firma Jubiläum feiert, hat auch sie einen runden Geburtstag. Sie wird 40. Ein Wendepunkt? Nein. Aber sie spürt, wie die Dinge zusammenkommen. Jetzt ist sie bereit für den deutschen Markt. Im Februar 2013 stellte sie in Berlin aus. "Das wäre vorher wegen der Kinder unvorstellbar gewesen, obwohl mich Freunde schon damals dazu drängten", erzählt sie. Erkenntnis: Die Dinge müssen zuerst in einem selber wachsen.
Wie gut sich das anfühlt, erlebte sie vor ein paar Jahren: Ihr langjähriger Traum, im Boardmagazin "Swiss" vertreten zu sein, erfüllte sich. "Swiss" meldete sich bei ihr. Mit den Worten: "Sie müssen wissen, normalerweise kommen die Marken auf uns zu, nicht umgekehrt."