Mit ihren Schachteln baut Brigit Naef ideal proportionierte Behausungen für kostbares Hab und Gut. Ihre Kartonagen begreift sie dabei als Objekte an der Schnittstelle zwischen Architektur und Kunst. Dass sie auch noch Ordnung schaffen, ist für die Verpackungsexpertin ein praktischer Nebeneffekt.
Brigit Naef steht in ihrem lauschig gelegenen Atelier am Ufer der Limmat und hält eine mit schwarzem Stoff bezogene Schachtel in der Hand. Darin liegt auf einem Polster, locker gefaltet, ein seidig glänzendes Tüchlein. Auf der Deckelinnenseite blitzt türkisfarben ein Namenszug. "Diese Schachteln mache ich für einen Vintage- Uhrenhändler", erklärt sie und streicht liebevoll über den Stoffbezug. Die Schachtel wirkt auf den ersten Blick schlicht. Erst die perfekte Ausführung und die wunderschönen Materialien machen aus ihr das Edelobjekt, das den Inhalt - mehrere Zehntausend Franken kostende Luxusuhren - würdig verpackt. Bis das Konzept für eine solche Verpackung endgültig steht, dauert es oft Monate. "Ich gehe mit meinen Kunden dafür durch einen langen Prozess", sagt Brigit Naef. Sehr oft hätten diese nur vage Vorstellungen vom Endprodukt. "Meine Aufgabe ist es, herauszufinden, was genau sie wollen. Das ist gar nicht immer so einfach. Ich beginne dann, den Stil der Kunden zu analysieren, was mögen sie und was nicht, stelle viele Fragen, bis ich begreife, worum es ihnen geht."
Bis ins kleinste Detail
Erst dann fängt die konzeptionelle Feinarbeit an. Welcher Karton passt am besten: ein optisch wertiger und säurehaltiger oder besser ein beständigerer säurefreier? Welches Schwarz ist das richtige? Soll es für den Bezug Stoff oder Papier sein? Oder gar Leder? Entscheidet man sich für eine Prägung oder für Siebdruck? "Wenn am Schluss alles stimmt und sich ergänzt - die Form, die Proportionen, die Materialien - ist das für mich ein wunderbares Glücksgefühl." Aus einer solchen Zusammenarbeit entstünden nicht nur schöne Verpackungsobjekte, sondern oft auch noch freundschaftliche Beziehungen.
Brigit Naefs Arbeit wirkt wie ein Gegengift zu unserem immer schneller rotierenden Lebensstil, bei dem alles stets und in Massen zu haben ist. "Bei mir kann man nicht vorbeikommen und sagen, bis morgen will ich zehn Schachteln", sagt die gelernte Buchbinderin. "Das geht schon rein physisch nicht. Jede Schachtel fertige ich einzeln von Hand an." Ihre Kunden haben kein Problem damit, im Gegenteil: Schliesslich ist es ja gerade das Kunsthandwerk, dessen Sorgfalt und Einzigartigkeit, das sie zu Brigit Naef zieht.
Eine gebührende Hülle schaffen
Für die gebürtige Winterthurerin sind ihre Verpackungen mehr als schön gefertigte Hüllen: "Sie sind wie kleine Lager, die den Inhalt schützen und eine gute Umgebung schaffen, damit er möglichst lange intakt bleibt." Wie etwa die aus Schokolade geformte Bärenskulptur des deutsch-schweizerischen Künstlers Dieter Roth, für die die 50-Jährige im Auftrag einer Galerie eine Verpackung herstellte. "Ich kann den Zerfall eines Werkes nicht aufhalten, ihm aber die bestmögliche Grundlage zum Altern geben", erklärt sie.
Verpackung als Kunst für sich
In Künstlerkreisen wird Brigit Naef für diese Liebe zum Objekt geschätzt: Am British Museum hat sie eigens eine Weiterbildung für Transportverpackungen von Kunstwerken absolviert. Jedes Objekt, für das sie eine passende Hülle kreiert, analysiert sie vorher bis ins Detail. "Ich habe schon so prominente Werke wie die Pelzhandschuhe von Méret Oppenheim verpacken dürfen", sagt Brigit Naef. Das surrele Kunstwerk stammt von 1936. "Da war ich natürlich schon etwas nervös. Schliesslich wurde mir ein sehr wertvolles Objekt anvertraut, damit ich die beste Hülle herstelle, die man überhaupt machen kann. Das hat mich sehr berührt."
Ihre eigenen Fähigkeiten, und darauf ist Brigit Naef verständlicherweise besonders stolz, sind auch schon Teil eines Kunstwerks geworden: "Kürzlich kam die Zürcher Künstlerin Zilla Leutenegger auf mich zu", sagt sie. "Sie wollte, dass ich für sie einen riesigen Leporello mit Zickzackfaltung zum Aufstellen herstelle. Darauf malte sie dann Fenster und Türen und stellte das Ganze so auf, dass es wie eine Wohnung aussah. Solche Arbeiten sind natürlich schon toll."
Mit dem Herzen
Ihre besondere Liebe zu Schachteln und Verpackungen entdeckte Brigit Naef während ihrer Lehre als Buchbinderin: "Mich faszinierte der spielerische Aspekt. Und dass es bei der Gestaltung von Schachteln immer auch um die Gestaltung eines kleinen Raums geht." Die Bücherwelt liess sie schnell hinter sich, machte sich auf die Spuren des alten Schachtel-Handwerks und übte die Her- stellungstechniken, jahrelang. "Mit 25 Jahren habe ich meine ersten ausgeklügelten Schachteln hergestellt - mit rotem Samt und Pompons", erzählt sie lachend, "es waren ja die Achtziger, da schätzte man Opulenz." Heute setzt sie auf reduzierte Formen und hochwertige Materialien. Auch wenn sich ihr Stil weiterentwickelt hat, ihre Leidenschaft für die Kartonage ist noch so gross wie ganz am Anfang: "Noch nie wollte ich etwas anderes machen, und ich werde wohl nicht aufhören Schachteln herzustellen, bis mir das Falzbeil aus den Händen fällt."
Die Nähe zu den Kunden kommt aus dem Herzen
Ihre persönliche visuelle Sprache setzt die Verpackungskünstlerin mit ihrer Kollektion "Boîte" um. Es sind Schachteln für Alltagsschätze - Schmuck etwa, Schreibutensilien, Münzen oder was immer man gebührend lagern möchte - die sie in Kleinserien herstellt. "Oft ist meine Kollektion auch die Grundlage, um Einzelanfertigungen für Privatkunden zu fertigen." So schaute kürzlich ein Mathematikprofessor vorbei, weil er eine besondere Verpackung für ein Geschenk an seine Frau wollte. "Das fand ich total herzig", erzählt Brigit Naef. "Und manchmal machen Frauengrüppchen einen Ausflug in mein Atelier, um Schatullen für ihren Schmuck zu erstehen." Am Strahlen, das dabei ihr Gesicht erfüllt, sieht man, dass Brigit Naef ihre Kunden, egal woher sie kommen und wer sie sind, alle in ihr Herz schliesst.