Manchmal fühlt sich das Leben an wie ein langer ruhiger Fluss und man denkt: Das kann doch nicht ewig so weitergehen! Unsere Kolumnistin hat gelernt, diesen Zustand als Geschenk zu betrachten.
Keine Frage: Es gibt diese Momente im Leben. Egal ob draußen die Sonne scheint oder graue Wolken in Kniehöhe hängen, egal ob wir allein im Bett liegen oder neben uns ein Langzeitgefährte in die Kissen schnarcht, da denken wir: Mann, ist mein Leben gerade langweilig! Wann ist eigentlich zum letzten Mal etwas Interessantes passiert? Ein Flirt, ein Lottogewinn, irgendeine Überraschung, mit der ich nicht gerechnet habe. Mein Leben dümpelt so dahin, die Luft ist raus, warum bleib' ich nicht einfach gleich im Bett?
Das Problem ist, dass der alte Hippie-Spruch "Es passiert nichts Gutes, außer man tut es" immer noch wahr ist. Aber gerade, wenn man sich langweilt, fällt einem nichts Gutes ein, was man tun könnte, um dem Leben mal wieder einen ordentlichen Kick zu geben. Der "Ich steh' früh auf, dusche kalt und dann heb' ich die Welt aus den Angeln"-Muskel, der uns dazu verholfen hat, nicht mit dem Hut in der Hand vor Karstadt zu betteln, sondern unser doch ziemlich gepolstertes Leben zu führen, der ist ein bisschen atrophisch. Der kümmert vor sich hin.
Weniger Biss?
Warum ist das so? Warum haben wir mit 40 oder 50 Jahren, trotz all unserer Lebenserfahrung, oft nicht mehr Biss als mit 20 oder 30, sondern manchmal weniger? Es gehört nun mal zum menschlichen Dasein dazu, dass die neuen, aufregenden, horizonterweiternden Dinge meist in der ersten Lebenshälfte passieren, während die zweite sich manchmal wie eine Reihe von Abschieden anfühlt. Abschied von faltenfreier Haut, nach Puder duftenden Babys und dem spannendem Einstieg in den Beruf. Alles Vergangenheit. Dafür Ärger im Job, Stress mit den Teenager-Kindern und ein Ehemann, der in uns nicht mehr die Königin sieht, sondern die Frau, der er durch die Badezimmertür zuruft, dass kein Klopapier mehr da ist.
Mitfreuen ist schwieriger als Mitfühlen
Manchmal ruft in genau so einer Stimmung eine gute Freundin aus Mallorca an. Um uns von der Mandelblüte vorzuschwärmen, von den Palmen, die sie gerade auf ihrer Finca gepflanzt hat, und von einem neuen "fünfstelligen" (!) Buchvertrag für einen Roman, der auf Mallorca spielt. Wenn wir ganz großes Pech haben, hat sie sich dazu auch noch frisch verliebt. In einen mallorquinischen Weinbauern, der nicht nur ein begnadeter Koch ist, sondern genauso gut im Bett. Nie ist das eigene Leben ja noch grauer, noch langweiliger, als wenn es bei anderen gerade so richtig glänzt.
Wir sollten öfter zur Besinnung kommen
Der Mensch ist nun einmal so gestrickt, dass wir den Royal Flush im Leben unserer Mitmenschen besser aushalten, wenn wir selbst nicht gerade die Pik Sieben gezogen haben. Mitfreuen ist eben meist schwerer als mitfühlen. Wer das nicht zugibt, der macht sich etwas vor. Aber manchmal, kurz bevor wir vollständig im Selbstmitleid versinken, ruft eine Freundin an, die gerade ihren Job oder ihren Ehemann an eine 30-jährige Osteuropäerin verloren hat, die auch im Badezimmer High Heels trägt. Manchmal ist es auch nur der Wasserschaden oder die Steuerprüfung bei der Nachbarin, die uns blitzartig zur Besinnung bringen.
Worüber jammern wir eigentlich? Darüber, dass das Leben keine Wundertüte ist, die ständig Leckerlis ausspuckt? Wenn wir gesund sind, ein Dach über dem Kopf haben, Geld verdienen und Ehemänner nur vergessen, Klopapier zu kaufen, dann ist das Leben gut genug. Es hätte nämlich
schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...