Unsere Kolumnistin fantasiert vom Fremdgehen. Sie weiß: Erotische Gedanken sind oft viel aufregender als nackte Tatsachen.
Natürlich lieben wir unseren Mann. Auch wenn uns sein Anblick mit offenem Mund auf dem Sofa – und zwar so weit offen, dass wir problemlos sein Zäpfchen sehen können – nicht unbedingt erotisch beflügelt. Magic Moments sehen anders aus. Aber wir sind einsichtsvoll genug, um zu wissen, dass der Zahn der Zeit an jeder längeren Beziehung nagt.
Trotzdem ist es manchmal da, dieses: Und das soll's jetzt gewesen sein? Mit diesem Mann bis ans Ende unserer Tage? Eine Vorstellung, die bisweilen truübselig machen kann. Sind wir nicht immer noch, im tiefsten Grund unserer schwarzen Seele, das wilde Luder, das sich in dunklen Toreinfahrten vernaschen ließ? Und zwar von dem Mann, der sich jetzt gerade mit einem kleinen Schnaufer von rechts nach links dreht. Oh, süße Nostalgie! Und heute? Heute blühen sie in unseren Köpfen: die erotischen Träume, in denen er, dem wir gefühlte 6794 Mal das Klopapier ins Bad gereicht haben, keine Rolle mehr spielt.
Aber wer dann? Der knackige Handwerker, der kürzlich unsere Bleirohre gegen Kupferrohre ausgetauscht hat? Der frisch geschiedene Klavierlehrer unserer Tochter? Der alte Schulfreund, der sich wieder gemeldet hat? Nein, keiner von ihnen macht uns so richtig an. Denn je älter wir werden, desto anspruchsvoller werden wir auch. Außerdem wollen die Hormone im alltäglichen Gehetze zwischen Büro, Kinderballett, Gemüsestand und Yoga nicht immer so leicht in Wallung geraten. Klar würden wir uns gern mal wieder so gut durchblutet fühlen wie nach einer heißen Nummer: die Wangen rot, die Äuglein blitzend! Aber so ein Fremdgang muss gut geplant sein. Und da fängt der Stress schon an.
Schluss mit der Lust
Also selbst wenn es einen Kandidaten gäbe, den man will und der auch willig ist: Wohin mit ihm? Nimmt man ein Tageszimmer? Nur die Hartgesottenen unter uns. Oder bucht man eine Nacht in einem romantischen Hotel? Aber wie will man das zu Hause erklären? Vielleicht den Besuch einer Fortbildung vortäuschen? Kann klappen, wenn der Gatte nicht weiter nachfragt, warum man sich als Sportlehrerin plötzlich für das Thema "Homöopathie – Segen oder Fluch" interessiert. Eine Freundin von mir hat es ausprobiert – und war dann doch überrumpelt, als der Mann, den sie bis dahin nur im Anzug kannte, plötzlich fast nackt vor ihr stand. Sie selbst hatte sich natürlich in vorauseilender Ekstase ganzkörperrasiert und trug Dessous.
Er hingegen lächelte ihr in ausgeleierter Unterhose und wadenlangen Socken entgegen. Schluss mit der Lust! In so einem Moment können wir nur froh sein, dass wir vorher eine Freundin eingeweiht haben. Ruft diese dann zum vereinbarten Zeitpunkt an, haben wir die Wahl. Entweder sagen wir genervt ins Handy: "Ich melde mich später." Oder voller Aufregung: "Was! Ihr fahrt ihn gerade in die Klinik? Natürlich komme ich." Wir schauen den Mann, mit dem wir fast gesündigt hätten, bestürzt an: "Mein Hund hatte einen Unfall. Ich muss sofort zu ihm." Tja, und selbst eine erotische Schlappe wie diese hat ihre positiven Seiten. Wir wissen wieder, was wir an unserem Ehemann haben, auch wenn er schnarchend auf dem Sofa liegt. Es hätte nämlich sehr viel schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine), Frauen (ist ja eine).