Unserer Koluministin hat ein verschwundenes Portemonnaie und ein mieser Rückflug fast das tolle London-Wochenende verleidet. Fast! Denn eigentlich ist Unglück oft nur eine Frage der Perspektive
Es war ein richtig tolles Wochenende. Ich hatte meine Freundin in London besucht, sie hatte mir ihre Lieblingslokale und -plätze gezeigt, müde und zufrieden saß ich im Flieger.
Wir standen bereits auf dem Rollfeld, als der Kapitän eine leider tropfende Hydraulik bedauerte, 30 Minuten später, dass wir die Maschine verlassen müssten. Es folgten Endlosschlangen, Umbuchung, Umsteigen in Frankfurt, insgesamt neun Stunden Verspätung und als ich zu Hause war, entdeckte ich, dass mein Portemonnaie mit 380 Euro, Führerschein, Personalausweis und allen Kreditkarten weg war. Geklaut oder aus der Tasche gerutscht, keine Ahnung.
Die Zukunft ist nicht vorhersehbar
"Und, wie war's in London?", wollten meine Freunde wissen. "Toll, aber der Rückflug hat alles versaut", sagte ich und jammerte eine Runde. "Gut, dass du das nicht vorher gewusst hast", sagte eine Freundin. Sie hatte recht.
Wir können nicht in die Zukunft blicken und das ist, außer beim Kauf eines Lottoscheins, ein ganz großer Segen. Wenn ich zum Beispiel vor knapp 30 Jahren, als ich zum ersten Mal mit meinem Mann in einer Bahnhofskneipe so wild herumknutschte, dass der Wirt uns vor die Tür setzte, auch nur geahnt hätte, wie laut mein zukünftiger Gatte schnarcht, wie regelmäßig er vor dem Fernseher einschläft, wie heftig wir uns manchmal streiten würden, wer weiß, ob ich ihn überhaupt geheiratet hätte?
Vielleicht hätte ich auch meine Kinder gleich wieder auf die Wolke zurückgebeamt, wenn ich gewusst hätte, wie stressig sie in der Pubertät werden würden und wie viel Geld sie mich noch immer kosten. Ich hätte auch mein erstes Drehbuch nicht mit so viel Begeisterung geschrieben, wenn mir klar gewesen wäre, dass es nie verfilmt werden würde. Mit anderen Worten – als Hellseherin wäre mir viel Freude im Leben und ein schönes Wochenende in London entgangen. Gut auch, dass man, wenn man optisch noch eine Rosenblüte ist, nicht weiß, wie grau und zerknittert man mit 50 aussieht. Jedenfalls kurz nach dem Aufstehen, ohne Make-up, ungünstig beleuchtet. Und Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude, und die bleibt ja auch auf unserer mentalen Festplatte, wenn das, was man wochenlang herbeifieberte, ein Riesenflop wird.
Das Leben ist ein Überraschungsei
Umgekehrt dagegen ist es ein Geschenk, wenn man sich vor einer Vorsorge oder einem Bewerbungsgespräch so richtig eingegrault hat, und dann alles, alles gut wird.
Das Leben ist ein Überraschungsei. Daran sollte man denken, wenn sich Erwartungen nicht erfüllen oder ein Scheißtag auf ein Superwochenende folgt. "Beschwer dich nicht, wenn du nur ein Bein hast, denk an den, der keine mehr hat" – dieser weise Satz meiner Mutter lässt sich auf vieles im Leben anwenden. Alles eine Frage der Perspektive. Was London angeht – das Portemonnaie bekam ich wieder, allerdings nachdem ich die Karten neu beantragt und mir ein neues gekauft hatte. Es hätte schlimmer kommen können.
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Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...