Natürlich freut es unsere Kolumnistin, dass ein alter Freund sich frisch verliebt hat. Wenn nur ihr eigenes Liebesleben plötzlich nicht so alt aussähe.
Als sich vor Kurzem ein Freund nach einer schlimmen Scheidung verliebte, waren er und seine neue Liebe eine Zumutung für mich. Weil sie diese strahlende Verliebtheit, dieses "Mein Gott, bin ich heiß auf dich"-Aroma ausdünsteten, das meinen Mann und mich wie ein frustriertes Frührentnerpaar wirken ließ. Sie waren rosig durchblutet, wir grau vertrocknet, sie küssten mit Zunge und nicht mit einem "und tschüs" auf die Wangen. Ihr junges Glück wirkte wie ein mentaler Alterungsschub auf mich. Wenn wir uns zu viert im Restaurant trafen, lag seine Hand mit Besitzerstolz auf ihrem Oberschenkel. Wann lag die meines Mannes zuletzt auf meinem? Wann hatte er zuletzt verliebt in mein Ohr geflüstert? Außer: "Du hast da ein langes Haar am Hals, soll ich das ausreißen?" Als sie in dieser heißen Anfangsphase bei uns zum Essen waren, fiel mir ihr verklärter Gesichtsausdruck auf, der nichts mit der von meinem Mann zubereiteten Spargelsuppe zu tun haben konnte, denn die war leider versalzen. Zufällig schaute ich unter den Tisch und sah, wie unser Freund zärtlich ihre Füße knetete. Es reicht, dachte ich. Ich liebe nämlich Fußmassagen, aber mein Mann weigert sich.
Wenn das Kribbeln verschwindet
"Wollt ihr das Dessert nicht lieber mit nach Hause nehmen?" Ich hörte selbst, dass ich wie eine in Essig getunkte Zitrone klang. "Du bist so was von peinlich", schimpfte mein Mann. Er hatte ja recht. "Schöne Tage – nicht weinen, dass sie vergangen, sondern lächeln, dass sie gewesen", dieser viel benutzte Satz in Traueranzeigen trifft auch auf unsere Gefühle beim Liebesglück meiner Freunde zu. Und gehabt haben wir es ja alle mal. Das Kribbeln, die unbändige Lust, den Ganzkörperglücksrausch. Der, wie Wissenschaftler erforscht haben, ein paar Monate anhält, bevor im Idealfall aus Verliebtheit Liebe wird, die auch dann andauert, wenn sich langsam Alltag und Gewohnheit einschleichen.
Ein Glücksfall, aber einer, den wir Glücklichen oft nicht erkennen. Weil uns, an der Käsetheke im Supermarkt, beim Kloputzen, wenn der Sohn aus der Ausnüchterungszelle anruft oder der Liebste lieber einen Krimi lesen als Sex mit uns haben will, keine Dankbarkeit für ein ziemlich gelungenes Leben, sondern das Gefühl beschleicht: "Ich bin so bunt, warum ist der Rest so grau?" Dann ist das Glas nicht halb voll, sondern leer, dann hadern wir und kriegen hässliche Mundfalten, weil wir nicht mehr lächeln.
Ihre Welt versank, ich seufzte
Einmal waren wir zu dritt im Blockhouse, das Liebespaar und ich, mein Mann war verreist. Die beiden saßen mir als menschliche Brezel gegenüber, ihre Welt versank, ich seufzte tief, weil ich kein Buch dabei hatte und nicht wusste, wohin ich gucken sollte. Der Kellner kam mit den Getränken und stellte mir ein ziemlich volles Cognacglas hin. "Hab ich nicht bestellt", sagte ich. „Weiß ich“, erwiderte er, "aber Sie sehen so aus, als wenn Sie einen starken Schluck gebrauchen können." Wir lächelten uns an. Ich trank auf ex. Es hätte schlimmer kommen können.
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Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...