Ein kleines unbedeutendes Dorf im Nirgendwo. Die meisten sind schon weg, denn das Dorf soll geflutet werden, ein Staudamm ist geplant, und jetzt wird es ernst, in einem halben Jahr wird das Dorf geräumt.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von Elvira Willems, freie Übersetzerin und Lektorin.
Annika Scheffel: Bevor alles verschwindet
Ein kleines unbedeutendes Dorf im Nirgendwo. Die meisten sind schon weg, denn das Dorf soll geflutet werden, ein Staudamm ist geplant, und jetzt wird es ernst, in einem halben Jahr wird das Dorf geräumt. Eine Handvoll Menschen sind noch da: Im Mittelpunkt die Zwillinge Jula und Jules, mit denen die Geschichte beginnt und endet und die zu Anfang so unzertrennlich sind, dass die Eltern sich Sorgen machen, ob so viel Nähe noch "gesund" sei. Mona, "in deren Bauch immer noch ihre Mutter hockt". Marie, im Kindergartenalter, aber völlig klar in ihrem Berufswunsch "Blutabnehmerin", die das Vergnügen hat, ihre erste Diagnose zu stellen, und so wunderbare Wörter gebrauchen lernt wie "heikel". Wacho, der Bürgermeister, und sein siebenundzwanzigjähriger Sohn David, der das Geld verdient für sich und seinen Vater, sich dessen Gewaltausbrüchen aber nicht erwehren kann. Greta Mallnicht, die partout nicht fort will, sondern zu ihrem Ernst auf den Friedhof. Milo, der eines Tages einfach da ist und eine seltsame Anziehungskraft auf David ausübt. Und der blaue Fuchs, den Marie gemalt hat – und der eigentlich rosa werden sollte –, doch eines Tages sitzt er einfach auf dem Brunnenrand und ist von da an nicht mehr wegzudenken.
Die Geschichten dieser Menschen erzählt Annika Scheffel in einer präzisen Sprache und in gekonnt gesetzten Bildern. Oft deutet sie sie auch nur an, episodenhaft, erzählt sie nicht zu Ende. Angesichts des "Untergangs" bleibt vieles vage und wird nur in Ausschnitten erzählt. Die "Verkündung" markiert den Beginn der Geschichte, die Flutung ihr Ende. Dazwischen, vielfach verflochten, die Wege dieser Menschen, von denen jeder auf seine Art mit der Bedrohung durch den Verlust der Heimat fertig wird. Vielleicht also so etwas wie ein Heimatroman? Kann sein, aber dann von der allerfeinsten Sorte. Und obendrein wunderbar gelesen von Martin Baltscheit, der jedem Charakter seine ganz eigene Stimme verleiht.
Elvira Willems übersetzt Krimis, historische Romane, Frauenliteratur und Jugendbücher aus dem Englischen. Nach Stationen im Buchhandel, einem MA in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft und Komparatistik, Jobs als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Bibliotheken, zwei Jahren als Geschäftsführerin eines kleinen Verlags und einem Pressejob bei einem Berliner Kleinverlag hat sie in gut fünfzehn Jahren als Freie fast achtzig Bücher übersetzt und unzählige lektoriert. Sie freut sich, dass sie diesen Beruf auf dem Land ausüben kann, wo sie sich das Haus und den großen Garten mit zwei Katzen teilt und mit Leidenschaft ihrem Beruf nachgeht. Sie ist Mitglied im Netzwerk der Bücherfrauen (www.buecherfrauen.de).
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"