Ein englisches Pärchen lädt jedes Jahr Gäste ein, die ein "wenig anders" sind: mal waren sie muslimisch, mal Juden, mal Palästinenser. In diesem Jahr sind es zwei Schwule.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von Doris Hermanns, Antiquarin und Autorin.
Ali Smith: Er hätte mir genauso
Jedes Jahr zum Sommeranfang lädt ein englisches Paar Gäste ein, "die ein bisschen anders waren", mal waren sie muslimisch, mal Juden, mal Palästinenser. In diesem Jahr sind es zwei Schwule.
Es beginnt wie üblich, es wird über dieses und jenes geplaudert, bis einer der beiden diesjährigen Gäste, Miles Garth, während der Dinnerparty aus dem Raum geht und sich in einem Gästezimmer einschließt. Alles gute Zureden nutzt nichts, er bleibt dort für lange Zeit, für Tage, Wochen, Monate. Sehr unerwünscht gerät die ganze Situation in die Presse und entwickelt sich eine regelrechte Fangemeinde in der Nähe des Hauses.
Eine sehr ungewöhnliche Gesichte, aber ein brillianter Roman, der aus der Perspektive von vier verschiedenen Menschen erzählt wird, die Miles Garth mehr oder weniger kannten: Anna, eine flüchtige Bekannte, die in den 1980er Jahren mit ihm auf einer Europatour schreibender Jugendlicher gewesen war, Mark, derjenige, der ihn zu dem Essen mitgebracht, ihn aber auch erst kurz vorher kennengelernt hatte, May, eine alte Frau, deren verstorbene Tochter mit ihm befreundet war und die er jedes Jahr an deren Todestag besuchte. Und nicht zuletzt Brooke, ein kluges Mädchen, das Wortspiele liebt, und wohl die Klügste von allen ist. Sie löst die die ganze Situation am Ende auf verblüffend einfache Weise.
Auch wenn der Roman aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, so bleibt der unerwünschte Gast doch der rote Faden. Es zeigt sich, wie leicht bürgerlicher Alltag auf den Kopf gestellt werden und wie schnell ein Medien-Hype entstehen kann. Mit wunderbarem Sprachwitz zeigt die Autorin auf, wie schnell sich ein Leben ändern kann. Diejenigen, die die Kurzgeschichten von Ali Smith kennen, wissen, dass sie eine Meisterin der Kleinigkeiten und des genauen Hinsehens ist; bei ihr sind es oft gerade die kleinen Dinge, die sich verändern und damit großen Einfluss auf das Alltagsleben nehmen. Ein großer wunderbar erzählter Roman.
Doris Hermanns, 52, geb. in Deutschland, lebt seit 1990 in Utrecht/Niederlande, wo sie als selbstständige Antiquarin arbeitet. Daneben ist sie als freie Journalistin tätig und schrieb zahlreiche Artikel und Buchbeiträge sowie diverse Kurzbiografien. Neueste Veröffentlichung: Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela. Die Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe. Sie ist Mitglied im Netzwerk der Bücherfrauen (www.buecherfrauen.de).
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"