Amélie Nothomb korrespondiert und das ist bekannt. Eines Tages erhält sie einen Brief von einem in Bagdad stationierten amerikanischen Soldaten. Er ist dick, richtig fett, um genau zu sein...
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von der Übersetzerin Inka Marter.
Amélie Nothomb: So etwas wie ein Leben
Die belgische Schriftstellerin Amélie Nothomb korrespondiert. Sie beantwortet die Briefe, die sie bekommt und schätzt diese besondere Form der irgendwie kontrollierten, irgendwie distanzierten Kommunikation. Eines Tages erhält sie einen Brief des in Bagdad stationierten amerikanischen Soldaten Melvin Mapple, der – direkt, offen, dreist? – ihr Verständnis für seine Situation einfordert. Damit beginnt eine immer ungewöhnlicher werdende Korrespondenz.
Mapple ist dick, richtig fett, um genau zu sein. Und er nennt seinen fetten Körper Sheherazade. Und wie Sheherazade wickelt er Amélie (und uns) mit seinen Geschichten um den Finger. Er berichtet mal auf poetische Weise von seinen körperlichen Empfindungen, mal erzählt er in dramatischen, schrecklichen Episoden vom Spott der anderen, von der schwierigen Situation der fetten Soldaten im Lager in Bagdad. Und mal erklärt er, dass sein schweres Übergewicht eine Sabotage der amerikanischen Armee darstellt, da er Kosten verursacht: immer mehr Essen, immer größere Uniformen.
Amélie, die sich ungern persönlich mit Leuten trifft, hat eigentlich sogar Regeln für den Briefaustausch, aber jetzt weicht sie manchmal davon ab. Es gibt immer etwas in Mapples Briefen, das sie Mitgefühl und Sorge, aber auch Ärger und Unbehagen empfinden lässt, und während sie der Leserin noch ihre klugen Regeln erklärt, hat sie sich schon darüber hinweggesetzt und antwortet umgehend und unüberlegt. Mapple reizt sie, sein ausuferndes körperliches Wesen stößt irgendetwas in ihr an und sie gleichzeitig ab.
Das so harmlos und leicht wirkende Buch ist im guten Sinne schweren Gehalts. Es handelt von Kommunikation zwischen Menschen, den unkontrollierbaren Gefühlen, die dabei im Spiel sind, und den Lügen, ohne die wir nie ganz auskommen. Es handelt von der geradezu körperlich wuchernden Realität der Fiktion. Und es ist sehr, sehr schön übersetzt von Brigitte Große.
Inka Marter Inka Marter studierte in Hamburg Spanisch, Portugiesisch und Lateinamerikastudien und zog dann für eine Weile nach Köln, um an der dortigen Uni über das Erzählwerk der argentinischen Autorin Norah Lange zu promovieren. Nach Abschluss der Promotion entschloss sie sich, Teile dieses Erzählwerks selbst zu übersetzen. Bisher erschien 2010 Norah Lange: Kindheitshefte im Lilienfeld Verlag. Heute lebt und arbeitet Inka Marter als Literaturübersetzerin in Hamburg.
www.marterial.de
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"