Wer heute schick sein will, kritisiert den Kapitalismus. Die Kinder steckt man trotzdem auf teure Privatschulen. Wem soll das was bringen, fragt unsere Kolumnistin.
Vor ein paar Wochen saß ich in Berlin in einer Runde von acht erfolgreichen Frauen, alle zwischen 30 und 50 Jahren alt. Tolle Frauen. Mit dabei waren unter anderem zwei Ärztinnen, eine Richterin und eine Steuerberaterin – Karrieren wie aus dem Bilderbuch. Gut aussehend, verheiratet, die Kinder gehen auf Privatschulen, großer Garten, großes Haus, keine großen Sorgen. Wir unterhielten uns, diskutierten angeregt miteinander, und über einem guten Wein war es spät geworden. Schließlich seufzte eine: "Der Kapitalismus kann’s auch nicht wirklich sein." Ach ja, die Finanzkrise. "Hat Marx nicht vielleicht doch recht gehabt?", fragte eine andere provokativ in den Raum. War das nun das Sahnehäubchen des Abends, dass alle noch mal schnell Kapitalismus-Skepsis äußerten? Sich die Frauen, die sich ihrer privilegierten Lebenssituation durchaus bewusst waren, links gaben?
Die meisten Menschen, die ich kenne, haben ein ganz klares Wertesystem dafür, wie sie die Welt für sich einteilen, nämlich in links und in kapitalistisch. Sprich: in eher gut und eher böse. Und dies übrigens, ohne dass die Begriffe links oder kapitalistisch irgendwie brauchbar definiert wären:
Konsum ist doof, Konsum ist super. Verschwendung ist unmoralisch, aber Luxus zu genießen ist angenehmund kurbelt außerdem auch noch die Wirtschaft an. Der Sozialismus ist gut für die Armen. Der Kapitalismus ist gut für die Reichen. Alle Menschen sind gleich, aber natürlich nicht ganz gleich. Menschen sollten anderen Menschen nicht als Untergebene dienen. Aber dass es Menschen gibt, die für andere Kartoffeln schälen, das Klo sauber machen, den Müll entsorgen, das ist eine Selbstverständlichkeit. Logisch, denn wie sollte man sonst angenehm verreisen, essen gehen, das Theater besuchen, mit dem Flugzeug fliegen?
Bei aller Kritik: Auf den eigenen Luxus möchte keiner verzichten
Fast alle meine Bekannten und Freunde haben überraschend viele dieser Vorstellungen im Kopf, die einfach nicht zusammenpassen wollen, schier schizophren sind. Und fast alle fühlen, dass es schick ist, ja sogar die Beliebtheit und auch die Karriere beflügelt, wenn man sich mit einer leichten Süffisanz über die Kapitalisten und das Kapital mokiert.
Aber natürlich ist es auch schick, eine Rolex am Handgelenk zu tragen, ein Champagner-Wochenende in einem Fünf-Sterne-Wellness-Hotel zu verbringen oder auf eine exklusive Veranstaltung eingeladen zu sein. Tatsächlich wurde noch nie so viel und so breit der pure Luxus zelebriert, wie es im Moment in Deutschland der Fall ist. Trotz angeblicher Kapitalismuskrise. Deswegen scheint die inzwischen weitverbreitete antikapitalistische Attitüde – ohne dass man sich wirklich mit Alternativen beschäftigt, die bisher sowieso keiner parat hat – wenig hilfreich. Ja, es gibt die Verlierer. Doch kümmert man sich tatsächlich um sie, wenn man zwar links redet, aber
kapitalistisch lebt?