Längst nutzen wir die kleinen Programme jeden Tag. Mehr als 80 000 Jobs sind durch sie in Europa entstanden. Wir stellen drei Apps und ihre Entwicklerinnen vor – und verraten, warum die Branche gerade für Quereinsteigerinnen geeignet ist
Kitchen Stories
von Mengting Gao, 25, und Verena Hubertz, 27
"Die Idee für unsere App ist direkt am Herd entstanden. Wir haben schon als Studentinnen zusammen gekocht und uns Ideen aus dem Internet geholt – auf Foodblogs aus den unterschiedlichsten Ländern. Aber während meine Freundin Mengting ein echter Rezepte-Profi ist, bin ich heillos überfordert, wenn die Anleitungen nicht ganz genau sind. Nicht jeder weiß, wie man blanchiert!
Das Kochbuch 2.0
Und so stellten wir fest, dass genau das fehlt: ein Produkt, mit dem wir beide bestens klarkommen. Ein Kochbuch 2.0 als App, das mit Videos arbeitet. In Deutschland ist das Thema angestaubt, die Seiten im Netz und die Kochsendungen sind nicht modern. Dabei ist das Thema Kochen so emotional. Am Anfang wurden wir für die Idee belächelt: Was, eine Koch-App? Aber wir hatten gründlich recherchiert und nichts Vergleichbares gefunden. Zudem sind wir schon während des Studiums mit dem IT-Gründergeist infiziert worden. Wir haben nämlich beide an der Business School WHU im rheinland-pfälzischen Vallendar studiert, wie auch die Macher von Zalando und eDarling.
Berlin - die Entwicklerstadt
Eine gute Stadt, um Entwickler für eine Idee wie unsere zu finden, ist Berlin. Da gibt es so viele Start-ups und in der Szene unterstützen sich alle gegenseitig. Das Team war schnell zusammen, wir gründeten eine GmbH mit 25 000 Euro Eigenkapital – und legten los: sprachen mit Profi-Köchen, entwarfen den Look, drehten Videos. Nur sechs Monate später sind wir live gegangen. Und dann kam die Überraschung: Die Firma Apple fand unsere App so gut, dass sie sie als "Beste neue App" empfahl. Was für eine Referenz! Damit gingen wir auf die Suche nach Investoren, die heute übrigens unsere engsten Berater in Strategiefragen sind, weil fast alle aus der Mobile-Branche oder aus Medienverlagen kommen.
Globales Kochen
Mittlerweile funktioniert die App in 20 Sprachen und hat eine Million Downloads. Kein anderes Kochformat ist so international. Wir sind froh, nicht nur zwei Schräubchen im Getriebe zu sein und darauf warten zu müssen, dass unsere Zeit irgendwann mal kommt – oder auch nicht. Deshalb heißt unsere GmbH auch: "Alles jetzt, nichts später". Der perfekte Claim für ein digitales Produkt, weil man es so schnell realisieren kann. Es braucht keine aufwendige Logistik, keine Immobilie und Waren, die finanziert werden müssen. Außerdem ist es toll zu sehen, wie global Kochen ist: Der Cheesecake schmeckt nicht nur in New York!"
Kitchen Stories: Dein Video- und Fotokochbuch
Apps & ihre Erfinderinnen: Clue
Clue
von Ida Tin, 35
"Eigentlich hatte ich nur ein privates Problem: Ich wollte die Pille nicht mehr nehmen. Aber die Suche nach einer alternativen Methode zur Verhütung war ernüchternd, nichts hat mich überzeugt. Also musste ich das Problem selber lösen. Nur wie?
Zur gleichen Zeit kam das erste Smartphone auf den Markt. Plötzlich shoppte man mobil, erledigte Bankgeschäfte übers Handy und speicherte Informationen im digitalen Notizbuch. Das Telefon entwickelte sich zum ständigen Begleiter und persönlichen Nachschlagewerk. Warum sollte man also nicht auch seinen Zyklus mobil verfolgen können?
Kein Mädchen-Design
Von IT hatte ich bis dahin zwar keine Ahnung, dafür aber eine Vision. Ich wollte eine Zyklus-Tracking-App entwickeln, die Frauen hilft, wiederkehrende Muster in ihrem Zyklus zu erkennen. Sie sollte ein Schlüssel dafür sein, die hormonellen Veränderungen im Körper zu verstehen. So entstand auch der Name: "Clue". Beim Design der App war mir wichtig, dass es kein Pink-Thing wird. Sie sollte ernst genommen werden, weil sie eben auch gesundheitliche Aspekte beinhaltet.
Ideal für Paare mit Kinderwunsch
Als wir 2009 anfingen, die Idee Realität werden zu lassen, stellte sich heraus, dass gerade junge Frauen nicht mehr bereit sind, Hormone zu nehmen. Wir lagen also im Trend. Fünf Jahre habe ich mit meinen drei Mitgründern – übrigens alles Männer – getüftelt. Und auch das war eine tolle Erfahrung: wie begeistert die Männer bei der Sache waren und wirklich verstehen wollten, was im Körper einer Frau vorgeht. Deshalb haben wir uns entschieden, dass man die App mit seinem Partner teilen kann. Ideal natürlich für Paare, die sich ein Kind wünschen.
Mehr als nur den Eisprung anzeigen
Aber natürlich ist sie nicht nur dafür da, den Eisprung anzuzeigen. Sondern bietet die Möglichkeit, verschiedenste Empfindungen, Stimmungen oder Schmerzen festzuhalten. Der Vorteil zu Stift und Zettel: "Clue" kann all diese Daten zu Statistiken zusammenführen und Zusammenhänge darstellen. Wie gut das funktioniert, beweisen die Verkaufszahlen: Frauen aus mehr als 180 Län- dern nutzen "Clue" – und unser Angebot wird immer noch individueller."
Verfolge deinen Zyklus mit der Clue-App
Apps & ihre Erfinderinnen: Circle of Six
Circle of Six
von Christine Corbett Moran, 34
"Ich weiß selbst genau, wie es sich anfühlt, wenn man sich abends auf der Straße nicht sicher fühlt. Denn während meiner Zeit an der Universität in Boston wurde ich von einem Stalker verfolgt. Als ich mit Freunden und Kommilitonen darüber sprach, war ich erstaunt, dass viele Frauen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dagegen muss man doch was tun können! Als Informatik-Studentin lag es nahe, dass ich vor allem darüber nachdachte, wie man die Technik nutzen kann, um Frauen zu schützen, damit es im besten Fall gar nicht erst zu Übergriffen kommt.
Frauen senden ein Signal mit ihrem Smartphone
Um so begeisterter war ich, als ich hörte, dass die Aktivistin und Regisseurin Nancy Schwartzman mit dem Designer Thomas Cabus eine App entwickeln wollte, mit der Frauen ein Signal mit ihrem Smartphone senden können, wenn sie sich bedrängt fühlen. Nancy hatte bereits Interviews geführt, um herauszufinden, was sich Frauen von einer Notfall-App wünschen.
Ein Kreis aus sechs Unterstützern
Wir haben die App "Circle of six" getauft, weil sie wie ein Hilfsnetzwerk funktioniert. Ein Kreis aus Unterstützern, die immer erreichbar sind. Wer das Programm runterlädt, wählt sechs Vertrauenspersonen aus seinen Kontakten aus. Diese werden per SMS informiert, müssen die App aber selbst nicht installieren. Der Vorteil an der Kommunikation per SMS ist, dass die Frau in Not nicht erst durch ihr ganzes Telefonbuch wischen muss, um nach Hilfe zu rufen, sondern alles mit einem Fingertipp machen kann.
Der Clou: Man verschickt automatisch seine Position
Die App bietet drei Funktionen: Es gibt erstens einen einfachen Chat, zweitens den Telefon-Button, wenn man direkt angerufen werden möchte. Und für den absoluten Notfall drückt man auf das Autosymbol. Dieses Signal bedeutet für den Empfänger: "Hol mich ab!" Der Clou: Man verschickt damit automatisch seine Position. Zusätzlich bieten wir noch persönlichen Service, unter anderem Beratungs-Hotlines für Opfer häuslicher Gewalt. Irgendwann haben wir festgestellt, dass 30 Prozent unserer Downloads aus Indien kommen. Einerseits dachten wir: Wie gut, dass wir auch dort helfen können. Andererseits war uns natürlich klar, dass die Frauen schon rein aus sprachlichen Gründen nicht unser komplettes Angebot wie etwa die Hotlines in Anspruch nehmen konnten. Also haben wir Kontakte in Indien recherchiert und ein kleines Team aufgebaut, um auch dort eine Vollversion der App anbieten zu können.