Am 26. September 2013 feiert Othella Dallas ihren 88. Geburtstag. Am Tag darauf steht sie in Zürich auf der Bühne, denn die Grand Old Lady des Jazz ist gerade auf Schweiz-Tournee. Ein Gespräch über die Abs und Aufs im Leben.
EMOTION: Frau Dallas, Sie haben mal gesagt: "Tanzen ist wie Atmen für mich."
Othella Dallas: Als ich aus dem Bauch meiner Mutter kam, war meine erste Frage: Mummy, wo sind meine Tanzschuhe? Seit ich denken kann, wollte ich immer nur tanzen.
Sie sind in den 20er-Jahren im Süden der USA aufgewachsen, in Memphis, und es heisst, Sie hätten von der Schweiz geträumt. Wie kam das?
Ich hatte darüber gelesen und wollte unbedingt Schnee berühren und einen Schweizer kennenlernen. In den Südstaaten war es damals schrecklich. Es herrschte Rassentrennung und für uns Schwarze war so etwas, wie Tanzstunden zu belegen, fast unmöglich. Ich hatte das unglaubliche Glück, dass meine Tante bei einer weissen Tanzlehrerin putzte, die mir Unterricht gab.
Wann wurden Sie entdeckt?
Mit 19. Nach einer Schulaufführung bekam ich die Einladung, in New York an der Tanzschule von Katherine Dunham zu studieren, einer der Pionierinnen des "Black Dance".
In den 40er-Jahren waren Sie dann Solo-Tänzerin des Ensembles.
Wir tanzten damals auf der halben Welt – von Rio über Los Angeles bis Paris. Dort trat ich unter anderem mit Josephine Baker und Edith Piaf auf.
In Paris erfüllte sich dann auch Ihr zweiter Kindheitstraum: Sie lernten einen Schweizer kennen, den Ingenieur Peter Wydler.
Peter und ich hatten da bereits zwei Jahre korrespondiert. Die Freundin von Arvell Shaw, dem Bassisten von Louis Armstrong, hatte uns als Brieffreunde vermittelt. Sie kam aus Vevey und wusste von meinem Faible für ihr Heimatland.
War es Liebe auf den ersten Blick?
Ja. Bei unserem ersten Treffen war ich schrecklich nervös und etwas betrunken. Geheiratet haben wir zwei Jahre später, ebenfalls in Paris, zwischen zwei Tanzvorstellungen.
Kurze Zeit später gaben Sie Ihre Karriere als Tänzerin auf. Wieso?
Weil ich in Zürich eine Tanzschule eröffnete. Alle wollten bei mir lernen, auch die Volksschauspieler Margrit Rainer und Ruedi Walter.
Wie kamen Sie zum Singen?
Als ich unseren Sohn, er heisst auch Peter, in den Schlaf wiegte, sang ich ihm immer wieder "RockabyeBaby" vor, ein etwas rockiges Wiegelied. Mein Mann fand, ich hätte eine tolle Stimme und fing an, Lieder für mich zu suchen. Er war ein grosser Jazzliebhaber.
Und so kehrten Sie doch auf die Bühne zurück. Als Sängerin.
Ja, mein erstes Konzert habe ich 1952 im "Carrolls" in Paris gegeben. Sidney Bechet, damals einer der besten Klarinettisten der Welt, stand mit mir auf der Bühne.
Ihre Karriere ist begleitet von vielen grossen Namen.
Das hat sich so ergeben. Einige Jahre später stand ich im "Apollo Theater" in New York mit Sammy Davis Jr. auf der Bühne. Und Duke Ellington schrieb zwei Lieder für mich: "Strictly for the Tourists" und "Nine, Twelve and Three".
Was bedeutet Ihnen die Bühne?
Ohne Bühne, ohne Publikum kann ich nicht leben.
Aber nach dem Tod Ihres Mannes 1982 traten Sie vier Jahre nicht auf.
Es tut immer noch weh, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Ich bin damals in ein Loch gefallen und frage mich bis heute, warum mein Mann schon mit 62 Jahren sterben musste. Es war unfair von Gott. Aber er wird seine Gründe gehabt haben.
Was brachte Sie auf die Bühne zurück?
Die Musik. Nach den vier dunklen Jahren erlebte ich eines Morgens einen Moment der Erkenntnis.
Was war geschehen?
Mir ging durch den Kopf, wie schrecklich es war, dass mein Mann nicht mehr lebte. Aber er hätte niemals gewollt, dass ich keine Musik mehr mache. Denn er liebte die Jazzmusik über alles und wollte immer, dass ich singe. Mir wurde auf einmal bewusst, wie traurig er gewesen wäre, wenn ich meine Talente für den Rest meines Lebens ignoriert hätte. In dem Augenblick wusste ich: Ich möchte nie mehr mit Singen und Tanzen aufhören.
Sie sind jetzt 88. Wird Ihr Instrument, Ihr Körper, nie müde?
Gott hat mir diese Begabung geschenkt. Ich möchte sie nutzen, bis ich sterbe.