Annette Bischof-Campbell arbeitete erst als Geografin, Journalistin, Webdesignerin, in einem Frauenhaus und als Online-Sexualberaterin, bevor sie ihre Berufung fand: Mit 43 begann sie Psychologie zu studieren. Auslöser war die lapidare Frage eines Laufbahnberaters.
EMOTION: Sie haben einen bunten Berufsweg hinter sich und dann kurz vor Ihrem 50. Geburtstag Ihren Master in Psychologie gemacht. Wie kam es dazu?
Annette Bischof-Campbell: Nach der Matur hatte ich zuerst begonnen, Psychologie zu studieren, und bin nach einem Monat geflohen. Meine Eltern waren beide Psychologen der Uni, und als ich in der Vorlesung meines Vaters sass, wurde mir klar: Das ist "too close to home". Und ich entschied: "Alles, nur nicht Psychologie!"
Und das Geografiestudium war Ihre zweite Leidenschaft?
Das war eher einer Notlösung. Ich litt damals furchtbar unter Entscheidungsnot. Studierte mal dies, mal das, bereitete mich auf die Kunstakademie in München vor, schrieb mich an der Uni für Architektur ein und zerriss die Anmeldung im letzten Augenblick. Dann kam mir der erleichternde Gedanke, dass mein Studium nicht mein ganzes Leben bestimmen muss. Ich sagte mir: "Du darfst nach dem Studium etwas ganz anderes tun." Nur so habe ich durchgehalten. Und warum Geografie? Weil man sich da nicht spezialisieren muss: Da geht es ja um die ganze Erde, um alle Menschen.
Haben Sie auf dem Beruf gearbeitet?
Kurz. Weil mir nichts Besseres einfiel, war ich zwei Jahre für Entwicklungshilfeprojekte tätig, für die ich unter anderem Satellitenbilder bearbeitete. Als das abgeschlossen war, wusste ich nicht weiter. Ich las den Stellenanzeiger von vorn bis hinten und achtete darauf, wo mein Herz höherschlug. Das tat es bei journalistischen Stellen. Also bewarb ich mich bei einer Fernsehzeitschrift. Ich frohlockte: "Das ist es!" Aber nach fünf Jahren langweilte ich mich, weil ich fand: "Andere Leute leben das Leben, ich schreibe bloss darüber."
Wie haben Sie sich abermals neu orientiert?
In einer Bar sprach mich ein Wildfremder an und schwärmte vom Internet. Ich musste zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nie davon gehört hatte. Es war 1996 und die Welt des Internets noch neu. Ich war sofort Feuer und Flamme. Eine Woche sass ich bei diesem Unbekannten zu Hause, und wir gründeten ein Internetbusiness. Das Geschäft ging zwar den Bach runter, aber mit dem Wissen, das ich mir an geeignet hatte, wurde ich die erste Webmasterin für den "Beobachter". Doch nach vier Jahren war mir wieder langweilig.
Das war die vierte Branche. Wie ging es weiter?
Leute kamen mit Anliegen und Ideen auf mich zu: Eine Freundin bot mich in einer Ehekrise als Mediatorin auf. Die Ressortleiterin einer Zeitschrift überredete mich zu einer wöchentlichen Psychologie-Seite. Meine Schwester lud mich ein, in einem Frauenhaus in den USA zu arbeiten. Stets fragte ich: "Wieso ich?" Die Antwort war immer: "Weil du das kannst." Ich dachte, ich könne nicht mit Menschen arbeiten. Doch in den zwei Jahren im Frauenhaus – mitten im Wespennest – blühte ich richtig auf. Heute ist mir klar: Die Menschen um mich herum kannten mich damals besser als ich mich selbst.
Fiel dort der Entschluss, doch noch Psychologie zu studieren?
Noch nicht. Meine US-Zeit im Frauenhaus habe ich als Auszeit gesehen. In der Schweiz bräuchte es für so eine Arbeit einen Psychologie-Abschluss. Als ich 2005 zurück in die Schweiz kam, fühlte ich mich wie eine berufliche Zigeunerin. Ich arbeitete dann als Webmasterin, Webdesignerin, Dolmetscherin, Journalistin und Online-Sexualberaterin.
Wie kamen Sie dann mit 43 doch noch zurück an die Uni?
Ich war bei einem Karriereberater und erlebte dort einen echten Aha-Moment. Er riet mir: "Studieren Sie Psychologie!" Ich erklärte ihm, dass das absolut nicht drin liege. Er fragte: "Wieso nicht?" Ich antwortete: "Weil ich mir gesagt habe, dass ich das nie studieren werde." Er schaute mich mitleidig an. Ich probierte es weiter: "Weil ich Statistikvorlesungen nicht mag." Er blickte noch mitleidiger. Zehn Minuten später verliess ich die Sitzung und war versessen darauf, Psychologie zu studieren. Und weil ich noch ein halbes Jahr bis zum Studienbeginn warten musste, sass ich einfach schon mal in den Vorlesungen. Das Studium fiel mir dann auch viel leichter als mein erstes, obwohl das Bologna-System viel anspruchsvoller ist und ich parallel in meinen verschiedenen Berufen gearbeitet habe. Selbst die verhasste Statistik ging locker.
Woher kam dieser Sinneswandel?
Die Abneigung gegen das Psychologiestudium war zu einem Automatismus geworden. Der mitleidige Blick des Beraters und seine lapidare Frage "Wieso nicht?" zwangen mich, bewusst darüber nachzudenken. Ich merkte, dass meine Verweigerung verjährt war – ein Überbleibsel der längst überwundenen Phase der Ablösung von meinen Eltern.
Hat sich mit dem Studium das Verhältnis zu Ihren Eltern verändert?
Ja. Von da an genoss ich es, mit meinen Eltern über Psychologie zu reden und über die Uni zu tratschen. Sie erzählten mir Klatsch aus ihrer Zeit als Uni-Professoren, ich von dem, was jetzt so lief. Ich habe mit Freuden die Psychologiebücher, die beide gerade schrieben, gegengelesen und redigiert. So etwas habe ich früher auch schon gemacht, aber damals war es eine Qual und jetzt einfach eine Freude.
Wie oft werden Sie sich noch neu erfinden?
Ich glaube, ich bin angekommen. Wenn ich früher gesagt habe "Ich bin Webmaster" oder "Ich bin Journalistin", merkte ich, das stimmt nicht, das mache ich zwar, aber das bin ich nicht. Wenn ich mit Menschen arbeite, bin ich einfach nur glücklich. Heute identifiziere ich mich rundum mit meiner Arbeit. Ich spüre: Das bin ich.
Annette Bischof-Campbell, 50, ist endlich bei sich angekommen. Heute berät sie als Psychologin junge Menschen auf lilli.ch zum Thema Sexualität, unterstützt die Arbeitsgemeinschaft Ess- Störungen (AES) und bildet sich als Sexualtherapeutin weiter.