
Wie dein Körper wieder dein Freund wird
Stressiger Alltag, ungesundes Essen, falsche Prioritäten: Und dann spürst du dich einfach nicht mehr. Und gefährdest sogar deine Gesundheit. Dabei trägst du das Wissen darüber, was dir guttut, in dir, sagt die australische Ernährungswissenschaftlerin Dr. Libby Weaver im Interview. Du musst dich nur wichtiger nehmen.
Dr. Libby Weaver gehört zu den führenden Ernährungswissenschaftlern. Als Bestseller-Autorin und begehrte Vortragsrednerin weiß sie genau, welches Zusammenspiel von Ernährung, Emotionen und Biochemie des Körpers nötig ist, um sich gesund und glücklich zu fühlen.
Frau Dr. Weaver, zuletzt haben wir mit Ihnen über das „Rushing-Woman-Syndrom“ gesprochen. Ist dieses Leben im Dauerlauf der Hauptgrund dafür, dass so viele Frauen den Kontakt zu ihrem Körper verloren haben?
Das ist ein wichtiger Aspekt. Man kann nur durch ein vollgestopftes Leben hetzen, wenn man Signale seines Körpers ignoriert, die einen dazu auffordern, das Tempo zu drosseln und sich zu schonen.
Was können das für Botschaften sein, mit denen unser Körper uns konkret sagen will: Da läuft etwas falsch in deinem Leben, ändere es?
Die ersten Signale, die unser Körper sendet, können ganz klein sein. Etwas scheinbar Unbedeutendes wie chronische Verstopfung oder Kopfschmerzen. Aber wenn wir dem keine Aufmerksamkeit schenken, weitet sich das Problem aus, und irgendwann stehen wir vor ernsteren Herausforderungen für unsere Gesundheit. Die Folgen sind bei jedem, abhängig von der eigenen Anfälligkeit, individuell verschieden. So leiden weltweit etwa elf Prozent unter einem Reizdarm-Syndrom, Frauen häufiger als Männer. Eine zunehmende Zahl leidet an Schlafstörungen, unerklärlicher Unfruchtbarkeit oder ständigen Menstruationsbeschwerden.
Warum hören wir denn nicht auf unseren Körper und nutzen seine Weisheit klug für uns?
Die meisten Menschen bemerken die Signale, aber sie machen sich nicht bewusst, dass sie etwas dagegen tun können. Viele akzeptieren die Symptome ihres Körpers als „normal“, obwohl sie das in Wahrheit nicht sind. Wenn wir Sodbrennen haben, nehmen wir einen Säureblocker und denken nicht darüber nach, was unser Körper uns über unsere Verdauung sagen will oder wie er sich mit dem Essen fühlt, das wir zu uns genommen haben. Wir haben das Feingefühl dafür verloren zu erforschen, was hinter einem Symptom steckt.
Dafür müssten wir vermutlich mehr Vertrauen in unseren Körper haben und in das, was er uns sagen will. Viele Frauen betrachten ihn aber eher als Feind. Warum sehen sie keinen Freund in ihm?
Viele Frauen haben das Gefühl, ihr Körper verrate sie. Sie verstehen nicht, dass er nicht so auf Dinge reagiert, wie sie es gern hätten. Ich weiß, es ist frustrierend, wenn man alles probiert und sich nicht das ändert, was man verändern möchte. So verliert man das Gespür dafür, was der Kör-per von Natur aus braucht. Das gibt den Frauen das Gefühl, ihrem eigenen Körper gegenüber machtlos zu sein. Hinzu kommt, dass viele ihr persönliches Wohlbefinden auf ihrer Prioritätenliste ganz weit nach unten setzen. Sie haben so viele Dinge im Kopf, dass es sich nur wie ein weiteres „Problem“ anfühlt. Und schließlich ist da noch der gefühlte Druck, dem sich die Frauen durch unsere moderne Gesellschaft ausgesetzt fühlen. Viele glauben, sie müssten eine perfekte Mutter, Ehefrau, Angestellte und Freundin sein, um erfolgreich zu sein. Und ein Teil davon ist, gut auszusehen. Sobald etwas nicht in dieses Bild passt, wird es beurteilt und kritisiert.
Aber warum haben so viele Frauen ein so schlechtes Bild von sich selbst?
Irgendwann in unserem Leben, meistens in der Kindheit, erleben wir etwas, das unseren Glauben daran zementiert, dass wir so, wie wir sind, nicht genügen. Ein abfälliger Kommentar von Mutter oder Vater – und schon denken wir, dass wir besser sein müssten, als wir sind, um geliebt zu werden. Für ein kleines Kind ist es überlebenswichtig, geliebt zu werden. Als Erwachsene wissen wir, dass wir auch ohne dieses Gefühl zurechtkommen. Trotzdem lebt die große Mehrheit noch so, als wenn wir Liebe zum Überleben bräuchten. Jedes Mal, wenn sie meinen nicht zu genügen, wird die Angst getriggert, nicht geliebt zu werden. Für einen Erwachsenen, dessen Hirn und Herz das nie hinterfragt haben, fühlt sich das dann an, als wäre sein ganzes Leben in Gefahr.
Menstruation, Schwangerschaft, Geburt – das sind besondere Erfahrungen mit dem Körper, die Frauen ihre weibliche Kraft zeigen. Wie können diese zu einer Quelle für Vertrauen, Energie und Selbstliebe werden?
Es ist absolut unglaublich, wozu der Körper einer Frau fähig ist. Aber wir haben den Kontakt mit dem Wunder des Lebens verloren, den Kontakt mit unserem Privileg. Viele Frauen kämpfen sogar mit den Dingen, die sie von Männern unterscheiden. Sie leiden unter PMS, Beschwerden in den Wechseljahren, der Herausforderung der Geburt und empfinden diese Erfahrungen als Last. Dabei könnten sie Geschenke sein, die uns helfen können, die Welt mit neuen Augen zu sehen. Wenn wir neugierig sind, statt zu beurteilen, und über das „Warum“ staunen, statt uns selbst zu kritisieren, werden wir uns durch eine komplett andere Brille sehen. Von da an können wir das Wunder des Lebens anzapfen und darin die Quelle finden für Vertrauen, Energie und Selbstliebe, die schon in uns wohnen.
Wie können wir uns selbst ein starkes Fundament für unser körperliches und seelisches Wohlbefinden schaffen?
Es ist sehr schwer zu spüren, was unser Körper braucht, wenn wir industriell verarbeitete Lebensmittel essen. Ein erster Schritt ist deshalb, vollwertige, frische, möglichst natürliche und unverfälschte Nahrungsmittel zu verwenden. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Selbstfürsorge auf unserer persönlichen Prioritätenliste weiter nach oben rückt. Im Flugzeug erinnert uns die Demonstration der Sicherheitsvorkehrungen daran, zuerst selbst die Sauerstoffmaske anzulegen, bevor wir anderen helfen. Daran müssen wir uns in allen Bereichen unseres Lebens erinnern. Wenn unsere Gesundheit leidet, unser Energiepegel sinkt, betrifft das auch jeden anderen um uns herum.
Wie können wir herausfinden, was wirklich wichtig für uns ist, um ein glückliches Leben zu führen?
Selbst wenn etwas jeden Tag direkt vor unserer Nase ist, ist es niemals unseres, wenn wir uns nicht selbst gestatten, es zu nehmen und uns bewusst daran zu erfreuen. Es wird niemals zur Essenz des Guten gehören, das die Grundlage für unsere Gesundheit und Energie ist. Wenn wir uns das Betrachten des Sonnenuntergangs nach einem anstrengenden Tag nicht gönnen, verleugnen wir uns selbst. Gestatten wir uns also, all das zu genießen, was wir bereits haben. Diese Freude ist überall, und sie schenkt uns eine unersetzliche Tiefe an Energie.