
Nochmal ganz von vorne anfangen - ja, das geht!

Seit sie mit 33 einen tollen Job aufgab, um zum zweiten Mal zu studieren, fühlte sich unsere Kollegin oft wie aus der Zeit gefallen: „In meinem Alter!“ Heute ist sie 38, beruflich angekommen und rät anderen: Macht euer Ding – egal, wie verrückt es sich manchmal auch anfühlen mag
Vor sechs Jahren, mit 33, war wieder Praktikantin, bei EMOTION. Und habe damals einen Text darüber geschrieben: nach 8 Jahren Berufstätigkeit wieder zurück auf Start. Hat es sich aus heutiger Sicht gelohnt? Ja, denn die Entscheidung, meinen beruflichen Weg zu ändern, hat nicht nur mein Leben, sondern auch mich verändert – und tut es immer noch.
So fühlte es sich vor sechs Jahren an:
Gestatten, ich bin Kristina, 33 Jahre alt, Praktikantin. Ja, wirklich: Praktikantin. Jedes Mal, wenn ich meine Geschichte erzähle, schüttele ich über mich selbst den Kopf. Nach meinem ersten Studium und acht Jahren im Beruf spürte ich plötzlich, das hat sich alles ganz anders entwickelt, als ich es mir ausgemalt hatte. Das war nicht mehr der Job, den ich mir ausgesucht hatte, der Job, für den ich mal brannte. Ich hatte keinen Plan B – nur dieses sichere Gefühl: Das kann es nicht sein. Ich ging. Und gönnte mir den größten Luxus überhaupt: eine neue Ausbildung, ein zweites Studium – einen Neuanfang.
Heute kann ein Freitag in meinem Leben so aussehen: Facebook-Aufruf in der Uni-Gruppe, „Freunde! Vorglühen in Kristinas Wohnung. Läuft!“ Abends ab halb zehn klingeln nach und nach 20 junge Leute, mit denen ich studiere, fragen brav, ob sie die Schuhe ausziehen sollen und packen ihre Mitbringsel in meinem Kühlschrank. Sie sitzen auf dem Boden, auf der Couch, auf dem Fensterbrett und stöbern durch meine CD-Sammlung, für sie ein Relikt vergangener Tage. Ich liebe es, dass sie sich bei mir wie zu Hause fühlen. Aber unweigerlich kommt er, der Moment, an dem ich merke, dass zehn Jahre zwischen uns liegen. Zum Beispiel, wenn Josef meine Eierbecher entdeckt und begeistert in ihnen eine Runde Wodka-Ahoj-Brause ausschenkt. Ich lehne dankend ab und gönne mir lachend lieber ein weiteres Glas Primitivo.
Ist es Zeit? Wann ist es Zeit? Und Himmel – wann ist es zu spät?
Meine Samstage hingegen sehen immer häufiger so aus: Treffen bei einer Freundin. Ab 18 Uhr. Als ich ankomme, sitzt eine stillende Mutter selig auf dem Sofa, eine Schwangere nippt an ihrer Bionade. Ich stelle den Weißwein in der Küche ab, wo sich die Konversation gerade um die Frage dreht, wer auf der anstehenden Hochzeit das Babysitten soll. Da ist es, das Zwicken in der Magengrube. Der Moment, in dem ich mich klein und unzulänglich fühle. Kurz genug, dass ich ihn wieder verdrängen kann, aber gerade lang genug, dass ich ihn bemerke. Die Gewissheit: Ich habe hier nichts beizutragen. Und daran ändert es auch nichts, dass ich die Erste bin, die bei der Verkündung einer Schwangerschaft in den Laden rennt, um kleine, gepunktete Geschenke zu kaufen. Die Allererste, die eine flammende Rede auf das Brautpaar hält. Aber eben auch die Erste, die vor dem Brautstrauß davonrennt, wenn er durch die Luft fliegt.
Muss ich das auch wollen? Partnerschaft, Karriere, sesshaft werden? Ist es Zeit? Wann ist es Zeit? Und – wann ist es zu spät? Ich bin zum ersten Mal ernsthaft auf der Suche nach meinem Weg durch mein Leben. Beruflich wie privat wühle ich mich mal neugierig, mal panisch durch meine Möglichkeiten. Und ich gebe zu, ich schwimme. An manchen Tagen so sehr, dass ich zu ertrinken glaube, während alle anderen in großen Booten an mir vorbeifahren, bestimmt auf dem Weg in ein 5-Sterne-Resort mit Kinderbetreuung. Kein Witz. Wirklich nicht.
Was ist der Maßstab mit fast 40?
Was ist der Maßstab? 40 ist das neue 30. So viel steht fest. Doch das beantwortet noch nicht die Frage, was „30“ denn nun bedeutet? Fester Job? Fester Partner? Finanzielle Unabhängigkeit? Vielleicht. Klare Ziele? Sich selbst (er)kennen? Bessere Entscheidungen treffen? Schon eher. Leider trifft gerade nichts von alldem auf mich zu.
Mein Kopf ist 38 (heute bin ich 39!) meinem Gesicht nimmt man die 28 ab (naja, meistens), mein Herz ist höchstens 18 (immer noch…). Ganz im Ernst: Ich bin freiheitsliebend, begeisterungsfähig, manchmal schockverliebt, ständig wütend, und die meiste Zeit einfach nur verwirrt. Wie soll man sich entscheiden, selbst wenn einem die Welt buchstäblich offensteht?
Ein anderes Wochenende. Ich sitze rotweinschwanger im Kreise meiner Lieben. Mit dem mir eigenen Sarkasmus stelle ich mir wieder mal die Frage, wie alt ich werden muss, um endlich was zu erreichen. Plötzlich sagt jemand: „Na und? Du tust doch was! Du machst immer weiter.“ Und: „Das war so mutig, neu anzufangen.“
Ich finde das wahnsinnig nett. Und ein bisschen wahr. Für einen Moment ist alles gut. Ich bin am richtigen Ort zur richtigen Zeit – zumindest kurz. Und dann merke ich, so bin ich eben. Meine Zweifel gehören wohl einfach zu mir. Kein Grund zum Verzweifeln. Denn sie haben ja recht, ich tu was und bin auf dem Weg.
Und so ist mein Blick von heute: Hat es sich gelohnt?
Es hat mir Freude gemacht, diesen Text jetzt nochmal zu lesen. Und es ist ein gleichermaßen trauriges wie vertrautes und gutes Gefühl, dass ich mich immer noch durch diese Augen betrachte. Ich kann diese Gedanken des Defizitären, des Hinterherhängens, noch immer genau nachvollziehen. Und während sich wahnsinnig viel getan hat – wirklich verändert hat sich nicht viel. Ich bin immer noch nicht bereit für Ehe und Familie und bin ziemlich sicher, dass ich das auch niemals sein werde. Ich bin immer noch auf der Suche nach „meinem Ding“. Aber der ganz große Unterschied ist: ich weiß ganz sicher, dass ich damals die richtige Entscheidung getroffen habe. Und das gibt mir Vertrauen inmitten meiner alten, neuen und ganz aktuellen Zweifel: Wenn etwas kommt, was mich reizt – wenn jemand kommt, der mich reizt – oder wenn ich merke: „ich muss raus hier“ – dann werde ich wieder springen, Kopf voraus in etwas Neues.