Die Modeindustrie ist eine der größten Umweltsünderinnen. Immer mehr Designer:innen lassen sich neue Konzepte einfallen, mit denen man dem Problem entgegenwirken kann. Einer dieser Ansätze heißt Zero Waste Mode.
Zero Waste Mode – was ist das eigentlich?
Als Zero Waste Mode bezeichnet man Textilien, die in der Produktion keinen Müll verursachen. Textiler Müll ist eines der größten Umweltprobleme der Modeindustrie. 73% der jährlich produzierten Kleidung befinden sich in einem linearen System, in dem Mode produziert, verkauft, getragen und anschließend weggeworfen wird – das fand die Global Fashion Agenda (eine Non-Profit-Organisation, die sich für Nachhaltigkeit in der Modewelt einsetzt) in ihrer Fashion CEO Agenda im Jahr 2021 heraus. So werden aufgrund dieses linearen Systems alleine in Deutschland jährlich 391.752 Tonnen Textilabfall produziert.
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Doch der Müll entsteht schon, bevor die Kleidung überhaupt im Laden hängt: Zusätzlich zu jenen 73% der jährlich hergestellten Kleidung, die nach dem Kauf und nach dem Tragen auf dem Müll landen, gehen 12% bereits in der Herstellung, zum Beispiel als Verschnitt oder Überbestand, verloren. Weitere 12% werden zu Putzlappen oder Füllmaterial für Matratzen recycelt. Weniger als 1% der jährlich hergestellten Kleidung wird in einem geschlossenen Kreislauf, also zu Produkten in ähnlicher oder gleicher Qualität wie das Ausgangsprodukt, recycelt. Das fand die Ellen MacArthur Foundation – eine Wohltätigkeitsorganisation, die sich für 'circular economy', also eine Kreislaufwirtschaft, einsetzt – im Jahr 2017 heraus. Die Erkenntnisse wurden in der Publikation "A new textiles economy: Redesigning Fashion's future" veröffentlicht. Die Fashion CEO Agenda wiederum fand heraus, dass – angenommen, die Weltbevölkerung wächst bis 2030 wie angenommen tatsächlich auf 8,5 Millionen Menschen – eines von fünf Kleidungsstücken statt in einem linearen System in einem Kreislaufsystem hergestellt werden muss, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. In anderen Worten: Die Modebranche ist noch sehr weit davon entfernt, auch nur im Ansatz nachhaltig zu sein. Das Zero-Waste-Prinzip ist einer jener neuer Ansätze, die versuchen, diesen Umstand zu bekämpfen.
Wie funktioniert das Zero-Waste-Prinzip?
Wie genau funktioniert der Herstellungsprozess von Mode, die den Anspruch hat, in der Produktion keinen Müll zu erzeugen? Das Hauptziel von Zero Waste Fashion ist es, den Verschnitt von Stoffen und anderweitige textile Abfälle zu vermeiden. Die britische Brand JOSEPH macht es anhand des Prinzips "Aus alt mach neu" vor: Für die "The Waste Project: Waste Yarn"-Kollektion wurden Pullover, Schals, Pullunder und Taschen per Hand aus 20 verschiedenen Restgarnen gestrickt. Die limitierte, fünfteilige Kollektion wurde von Designs der ikonischen JOSEPH TRICOT-Strickmode inspiriert – schließlich startete die Brand im Jahr 1983 als Stricklabel. So macht es auch die deutsche Brand Iris von Arnim: In ihrer limitierten "RE EDITION"-Kollektion werden Kaschmirpullover aus 100% Restgarnen gefertigt, das Label am Saum besteht aus recyceltem Polyester. Noch weiter geht der New Yorker Daniel Silverstein, dessen Zero-Waste-Label "Zero Waste Daniel" kaum textilen Müll produziert. In einem Interview mit Refinery29 sagte er, sein Team würde ungefähr 12 bis 18 Monate brauchen, um einen handelsüblichen Küchen-Müllbeutel zu füllen. Wie geht das in einer Branche, in der viele Unternehmen Berge an Müll produzieren – und das tagtäglich? "Zero Waste Daniel" verwendet für seine Designs Materialien, die ansonsten weggeworfen werden würden – zum Beispiel Stoffreste. "Jedes Objekt oder Material, das eines Tages wiederverwertet werden könnte, bewahren wir in Einmachgläsern oder Boxen in unserem Studio auf", sagt Silverstein selbst. Die deutsche Designerin Natascha von Hirschhausen verfolgt einen "radikal nachhaltigen und Zero Waste"-Ansatz: Ihr gleichnamiges Modelabel produziert "on demand", produziert ein Teil also nur, wenn es tatsächlich bestellt wurde. Dank innovativer Schnittmuster und einer speziellen Zuschnitt-Technik reduziert das Unternehmen den Verschnitt laut eigenen Angaben auf unter 1%.
Kann sich Zero Waste Mode durchsetzen?
Zero Waste Mode ist der Versuch, aus dem derzeit vorrangig linearen System der Modebranche ein zirkulares zu machen, in dem Kleidungsstücke nicht zu Putzlappen verkommen oder gar auf dem Müll landen, sondern zu einem gleichwertigen oder zumindest einem Produkt von ähnlicher Qualität recycelt oder Second Hand verkauft werden. Und obwohl Sustainability und auch Zero Waste gerade gern verwendete Schlagworte in der Modebranche sind, ist die Anzahl tatsächlich gut und konsequent durchgesetzter Nachhaltigkeitskonzepte noch nicht groß genug, um Fast Fashion und dem linearen Modesystem tatsächlich die Stirn zu bieten. Zero Waste Mode wird – zumindest in den nächsten Jahren – mit Sicherheit nicht das Konzept von Fast Fashion ablösen – aber es ist ein vielversprechender Anfang. Gerade für junge Nachwuchsdesigner:innen bieten nachhaltige Konzepte und Ansätze wie Zero Waste Mode einen wichtigen Nährboden, um die Modebranche umzukrempeln. Und dennoch liegt es nicht allein an der Modebranche, nachhaltige Konzepte zu etablieren, sondern auch an der Politik. Madeleine Darya Alizadeh, Sustainability-Influencerin und Gründerin eines Fair-Fashion-Labels, fragt sich im EMOTION-Interview: "Warum ist es steuerlich günstiger, unethisch und unökologisch zu produzieren? Da muss für mich der Diskurs stattfinden!" Es liegt also noch ein längerer Weg vor uns. Denn diese Konzepte sind wichtig und sollten dementsprechend unterstützt werden. Das Problem: In Deutschland wird die Modebranche immer noch nicht als bedeutender Wirtschaftszweig angesehen – und das, obwohl die Bundesrepublik im Jahr 2018 laut der Studie "Status Deutscher Mode" des Fashion Council Germany (FCG) der zweitgrößte Modeproduzent in der EU direkt hinter Italien war.
Wie kann man Mode nachhaltig konsumieren?
Neben innovativen Herstellungsprozessen wie bei der Zero Waste Mode gibt es noch weitere Wege, Mode in einem Kreislaufsystem und nachhaltig zu konsumieren. So kann man seine Kleidung auf Flohmärkten, in Second-Hand-Shops oder auf Second-Hand-Plattformen sowohl kaufen als auch wieder verkaufen. Ihr muffiges Image hat Kleidung aus zweiter Hand längst abgelegt, mittlerweile gibt es auch einen großen Markt für Designer-Second-Hand-Kleidung, zum Beispiel Online-Plattformen wie Vestiaire Collective oder Rebelle. Auch Kleidung zu tauschen ist eine Möglichkeit: entweder im Freundeskreis oder beispielsweise auf der Second-Hand-Plattform Vinted. Laut Greenpeace würde auch die Verlängerung der Lebensdauer unserer Kleidung von einem auf zwei Jahre die CO2-Emissionen um 24% reduzieren. Statt ein Kleidungsstück wegzuwerfen, kann man es mit ein bisschen Kreativität in einem Do-it-yourself-Projekt optisch verändern (Knöpfe tauschen, Patches oder Perlen hinzufügen). Ist die Kleidung kaputt oder muss angepasst werden, lohnt sich ein Besuch bei Schuster:in oder Schneider:in. Denn nur, wer seine Kleidung auch pfleglich behandelt und wertschätzt, konsumiert sie nachhaltig.
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