Die Schauspielerin Nilam Farooq stand lange im Nebenrollenschatten des deutschen Films. Also suchte sie sich auf YouTube selbst den Platz im Rampenlicht. Im Interview erzählt sie, wie sie sich kopfüber in das Abenteuer Leben stürzt und sich dabei immer treu bleibt.
Mit dem Glockenschlag 12 Uhr klingelt mein Telefon. "Ich bin tendenziell zu pünktlich", sagt Nilam Farooq am anderen Ende der Leitung beinahe entschuldigend. Die gefeierte Schauspielerin aus Berlin kann auf viele unterschiedliche Erfahrungen zurückgreifen: Sie hat das Latinum und das Graecum, war zeitweilig als "daaruum" die größte YouTuberin Deutschlands, ihre Mutter ist als Polin Christin, ihr Vater ein muslimischer Pakistani. Aber eins steht fest: Sie will noch viel mehr erleben.
EMOTION: Eine große Frage zu Beginn: Worauf kommt es im Leben wirklich an?
Nilam Farooq: Darauf, Gelegenheiten wahrzunehmen und im besten Fall am Ende sagen zu können, man bereut nicht sonderlich viel. Wenn mir gerade etwas passiert, was vielleicht nicht so toll ist, beruhige ich mich mit dem Gedanken: Das ist hoffentlich in zwei Wochen, Monaten oder Jahren eine schöne Geschichte, die ich meinen Freund:innen oder einmal meinen Kindern erzählen kann.
Du bist also Geschichtensammlerin?
Voll. Ich habe ein Tattoo, auf dem "Chapter" steht. Ich unterteile mein Leben tatsächlich in Kapitel, auf die ich zurückblicken kann und die irgendwann in Gänze mein Leben ergeben. Es hilft in manchen Situationen, das so zu sehen.
Ist das eine Sichtweise, die dich in schmerzhaften Momenten tröstet?
Absolut. Wenn ich von Emotionen übermannt werde, hilft es mir, drei Schritte zurückzutreten und zu überlegen: Ist das wirklich ein Drama oder mache ich nur eines daraus?
Gibt es denn ein bestimmtes Lebenskapitel, nach dem du dich manchmal zurücksehnst?
Ja, ich habe letztens erst gedacht: Scheiße, ich bin erwachsen! Manchmal möchte ich noch ein Kind sein, keine Entscheidungen treffen müssen. Dabei bin ich gerade in einem Lebensabschnitt, an den ich mich später, glaube ich, gerne zurückerinnern werde.
Du hast ein sehr enges Verhältnis zu deinen Eltern. Welcher Rat von ihnen hat dich in deiner persönlichen Entwicklung weitergebracht?
Am meisten hat mich geprägt, von meinen Eltern gesagt zu bekommen: "Du hast zwei gesunde Arme, du hast Grips im Hirn – es liegt an dir, etwas daraus zu machen." Mir vor Augen zu führen, dass ich eigentlich schon privilegiert bin, das hat viel mit mir gemacht.
Meine Eltern haben gesagt: 'Du hast zwei gesunde Arme und Grips im Hirn – es liegt an dir, etwas daraus zu machen.' Das hat mich sehr geprägt.
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Also hast du gleich zugepackt und früh dein eigenes Geld verdient: Du hast Eis verkauft, mit 14 angefangen, zu drehen, dir mit 17 eine Vespa gekauft. Gibt es einen Vorteil, wenn man nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren worden ist?
Dass man Dinge mehr schätzt. Es fällt leichter, dankbar zu sein, wenn man nicht immer Geld hatte. Und es hilft, auf dem Boden zu bleiben, wenn später finanzielles Glück dazukommt.
Ist Ehrgeiz ein Thema für dich?
Mir wird oft nachgesagt, ehrgeizig zu sein. Ich habe immer Angst, dass das negativ konnotiert ist, im Sinne von "verbissen". Ich glaube aber, dass man in meiner Branche ehrgeizig sein muss. Wenn ich mich nicht gut finde, wird mich auch niemand anderer gut finden.
Und was ist mit Selbstoptimierung?
Die ist leider und zum Glück ein großes Thema meiner Generation. Ein Ansporn, aber auch sehr anstrengend. Ich tue mich schon sehr schwer damit, okay mit mir zu sein. Generell gucke ich nicht darauf, was ich gut gemacht habe, sondern was ich hätte besser machen können. Ich bin ständig auf der Suche.
Du spielst in deinem neuen Kinofilm "Eingeschlossene Gesellschaft" eine ambitionierte Referendarin. Hast du in der Schule als Streberin gegolten?
Mit einem Abischnitt von 2,1 eher nicht. Offen gestanden habe ich nicht viel reingesteckt in die Schulzeit. Ich kann auch nicht sagen, dass ich gerne in die Schule gegangen wäre. Ich finde, das Schulsystem müsste mehr auf den Einzelnen zugeschnitten sein. Nicht alle fixt alles an. Aber Bildung ist das A und O! Ich selbst habe eine gute Bildung genießen dürfen. Ich kann mich artikulieren, Dinge formulieren, diskutieren.
Kannst du dich bei Diskussionen gut in andere hineinfühlen?
Ja, ich habe als Waage-Geborene eine ganz gute Fähigkeit, immer mehrere Positionen einzunehmen und mich in andere hineinzuversetzen. Es gibt nicht eine Wahrheit, jeder hat seine eigene.
Wem kannst du leichter Kontra geben: Menschen, die dir nahestehen, oder Wildfremden?
Da mache ich eigentlich keinen Unterschied. Klar gibt es Nuancen, wie vehement man widerspricht. Auf jeden Fall gebe ich gerne und viel Kontra, bisweilen habe ich da richtig Spaß dran. Wobei ich nicht beleidigend werde – ich bin sehr gut erzogen. Ich finde es erfrischend, was passiert, wenn du jemandem widersprichst, dem jahrelang nicht widersprochen wurde. Und oft finden solche Leute das auch erfrischend. Ich hatte bisher nicht das Gefühl, mir damit Chancen verhagelt zu haben. Eher sage ich damit: Du darfst mich ernst nehmen! Es ist gut, früh klarzustellen, dass man nicht zu allem Ja und Amen sagt.
Ich finde es erfrischend, Leuten zu widersprechen, denen lange nicht widersprochen wurde.
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Was ist für dich denn ein absolutes No-Go?
Ich poche sehr auf Respekt und Loyalität. Wenn die fehlen, haben wir ein großes Problem.
Wie sehr beharrst du auf deinen eigenen Standpunkten?
Ich bewundere Menschen, die nach einem Streit oder sogar schon während einer Diskussion einlenken können. Ich bin sehr stur, brauche erst mal Zeit. Ich bin sehr hart in dem, was ich denke, fühle und sage. Manchmal wünschte ich mir mehr Weichheit. Tendenziell bin ich eher eine Pessimistin. Ich wäre gerne eine Optimistin. Dann lebt es sich schöner und einfacher, glaube ich. Wobei die Pessimistin in mir sagt: Sei lieber keine Optimistin, dann musst du immer Angst vor Enttäuschungen haben.
Welche Eigenschaft würdest du sonst noch gerne an dir ändern?
Ich bin schon sehr sensibel, fast hochsensibel. Um alles mache ich mir fünf Millionen Gedanken, spiele jedes Szenario acht Millionen Mal durch. Da wäre ich schon gerne entspannter.
Kommen wir noch einmal zurück zu deinen Eltern: Inwiefern nimmst du dir an ihrer Beziehung ein Vorbild?
Meine Eltern sind immer noch verheiratet. Und glücklich. Nachdem wir Kinder aus dem Haus waren, haben sie sich neu ineinander verliebt. Das finde ich fantastisch – zumal bei ihnen ja der kulturelle Clash dazukam. Sie haben uns vorgelebt, wie wichtig Kompromisse und Toleranz sind. In Zeiten, in denen alles möglich ist und man tausend Optionen hat, war das ein Riesenlearning. Ich werde dafür kämpfen, nicht die nächstbeste Lösung zu suchen, wenn es in einer Partnerschaft einmal schwierig werden sollte.
Meine Eltern haben uns vorgelebt, wie wichtig Kompromisse und Toleranz sind. In Zeiten, in denen alles möglich ist und man tausend Optionen hat, war das ein Riesenlearning.
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Im Netflix-Hit "Du Sie Er & Wir", in dem du eine der Hauptrollen spielst, versuchen zwei Paare, ihre Liebe durch Partnertausch zu beleben. Wäre so etwas für dich auch privat eine Option?
Ich hatte schon immer eine sehr klassische – andere würden vielleicht sagen: spießige – Einstellung. Polyamorie kommt in meinem Gedankenbild überhaupt nicht vor, das könnte ich mit meinem Ego gar nicht übereinbringen.
Gibt es was, wo du sagst: Das ist für mich das allergrößte Kompliment?
Ich finde immer am allerschönsten, wenn mich jemand inspirierend findet. Ich mag diese Zwischenstufe, dass man sich von jemandem etwas abguckt und daraus etwas Eigenes macht.
Die Gelegenheit, andere zu inspirieren, ist sprunghaft gestiegen, seit Sönke Wortmann dir die Hauptrolle im Kinofilm "Contra" angeboten hat. Jetzt stehst du in der ersten Reihe ...
Ich nehme seit zwei Jahren ein größeres Interesse an meiner Person wahr, dabei bin ich schon seit 15 Jahren Schauspielerin. Ich stand lange in der zweiten Reihe im Schatten. Das war nicht immer so toll, aber andererseits habe ich diese Zeit genutzt, um schauspielerisch zu lernen und auch, um zu beobachten, wie die Branche funktioniert.
Was steht jetzt noch auf deiner Lebensliste?
Gerade in diesem Jahr merkt man wieder, dass frei und gesund zu leben das Größte ist, was man sich wünschen kann. Wenn dazu noch ein paar schöne Reisen und Abenteuer kommen, bin ich sehr froh!
Apropos Abenteuer: Magst du den Adrenalinrausch?
Schon. Meinen Tauchschein habe ich in einer Höhle in Mexiko gemacht; neben diversen Bungeesprüngen habe ich mich auch schon mal mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug fallen lassen. Und ich habe beim Edge Walk den 356 Meter hohen CN Tower in Toronto von außen umrundet, in einem Klettergeschirr hängend mit dem Gesicht nach unten. Ich bin generell der Meinung: Soweit es möglich ist, sollten wir immer versuchen, unsere Ängste zu überwinden – und wenn es nur ist, um Stoff für ein weiteres Kapitel im Buch des Lebens zu haben.
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