Dass sie mit über 40 noch mal für eine Boygroup schwärmen würde, hätte Nadine Finsterbusch nie gedacht. Bis sie auf die K-Pop-Gruppe "BTS" stieß. Für die lernt sie sogar Koreanisch.
Als ich meinen letzten großen Fan-Moment hatte, war ich 13 oder 14. Da stand ich eine Woche lang jeden Tag nach der Schule vor dem Dortmunder Hotel, in dem "Take That" während ihrer Tour abgestiegen waren. Irgendwann stand ich dann tatsächlich Mark Owen gegenüber. Davon hatte ich monatelang geträumt. "You are beautiful", stammelte ich. Er guckte mich kurz an und ging weiter. Da wurde mir klar: Ich war ihm, ich war der Band einfach komplett egal. Und das war es dann für mich mit "Take That", mit dem Fan-Ding an sich. Ich dachte, ich hätte damit für immer abgeschlossen.
Ganz große Gefühle
Bis zu diesem einen Abend, mitten im Lockdown. Ich war in dieser Zeit einsam, litt unter der Kontaktsperre, habe viel YouTube geguckt. Ich kannte die koreanische Popgruppe "BTS" vorher schon, aber sie hatte mich nie besonders interessiert. Dann wurde mir ein Konzertmitschnitt von "MTV Unplugged" vorgeschlagen. Ich habe ihn mir bis zum Ende angeguckt – und die ganze Zeit geheult. Die Texte waren auf Koreanisch, aber ich habe alles verstanden. Besonders ein Song, bei dem es ums Weitermachen in schweren Zeiten geht, hat mich krass berührt. Es klingt kitschig, aber bei mir ist alles hochgekommen, Gefühle, die ich nicht wahrgenommen, nicht verstanden, mir nicht erlaubt hatte, haben sich plötzlich gelöst.
Mittlerweile habe ich auch andere Fans getroffen, die ähnliche "Erweckungserlebnisse" hatten. Die es sich nicht erklären können, aber sagen: Das hat ihr Leben verändert. Und das würde ich auch sagen: Das hat mein Leben verändert. Ich habe die Songs, in denen es viel um mentale Gesundheit geht, gehört und gedacht: Ich möchte mich mehr um mich selbst kümmern. Und ich wollte natürlich auch mehr über die Band wissen, die mich so gut zu verstehen schien.
Mehr als nur eine Boyband
Für mein Umfeld war das anfangs ein bisschen anstrengend, weil ich so viel über die Gruppe gesprochen habe. Ich dachte: Warum finden die "BTS" nicht genauso toll? Aber meine Freund:innen sehen natürlich die Rahmenbedingungen, die Marketingstrategien, den Drill, der in den koreanischen Pop-Akademien herrscht. Ich rufe mir auch hin und wieder ins Gedächtnis, dass "BTS" professionelle, mediengeschulte Musiker sind. Aber es gibt für mich eine Ebene von Authentizität, die davon unberührt bleibt. Eine Ebene, auf der ich einfach an das glaube, was diese sieben jungen Männer mir erzählen.
Merchandise, Social Media & Co.: Die Welt der Fans
Vielleicht können das nur andere Fans verstehen. Mittlerweile kenne ich viele Erwachsene, die meine Obsession teilen. Es ist nämlich ein Vorurteil, dass nur Teenies K-Pop hören. Nachdem ich "BTS" entdeckt hatte, habe ich viel Zeit auf Twitter, Instagram und in Foren verbracht: Zu der Band gibt es jede Menge Fanfiction, dann das Real People Play, wo du als dein Lieblingsbandmember online mit anderen chattest, die selbst Rollen aus der Band einnehmen. Dann die vielen (Liebes-)Gerüchte. Merchandise-Artikel, für die du Unsummen ausgeben kannst. Alle, die ich kenne, kaufen Sachen. Ich selbst investiere eher Zeit. Mich faszinieren die Musik, die Visuals und die Konzepte hinter den Alben. Auch deshalb lerne ich mittlerweile Koreanisch.
Mein größter Wunsch ist, "BTS" zu treffen und zu interviewen. Ich habe sogar ein Buch mit Fragen angelegt, vor allem zur Musik oder den Entstehungsprozessen der Songs. Ich möchte keine 08/15-Fragen stellen. Natürlich überlege ich aber auch, ob es dann so ein böses Erwachen geben würde wie damals bei "Take That", dass "BTS" all das, was sie für mich repräsentiert haben, gar nicht sind, dass sie nur Rollen gespielt haben, um Platten zu verkaufen. Ich weiß ja selbst, dass meine Hingabe komplett ungefiltert ist. Aber sie hat mich eben auch sehr glücklich gemacht.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 1/2 22/23.
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